Elke Twesten hat gewonnen

Niedersachsen Die SPD triumphiert, eine Große Koalition oder Jamaika sind möglich. Jener Seitenwechsel im Landtag hat sich also ausgezahlt
Stephan Weil kann sich als SPD-Ehrenretter in der behaglichen politische Mitte feiern lassen. Nicht im Bild eine andere Gewinnerin: Elke Twesten
Stephan Weil kann sich als SPD-Ehrenretter in der behaglichen politische Mitte feiern lassen. Nicht im Bild eine andere Gewinnerin: Elke Twesten

Foto: Alexander Koerner/Getty Images

Es scheint zunächst, als hätte dieser Wahlsonntag ein Ergebnis gebracht, das begrüßt, wer sich selbst in der behaglichen politischen "Mitte" verortet: eine recht stabile (CDU) und eine triumphierende (SPD) Volkspartei, die FDP mit sieben und die Grünen mit acht oder neun Prozent. Vor allem aber: die AfD erreicht "lediglich" sechs Prozentpunkte, die Linke verpasst den Einzug in den Landtag von Niedersachsen. Wenn die beiden Großen nur "leidenschaftlich" und "inhaltlich" genug miteinander debattierten, würde es für die Populisten an beiden Rändern schwer, heißt es etwa hörbar zufrieden im Deutschlandfunk.

Das meint etwa das TV-Duell der beiden Spitzenkandidaten Stephan Weil und Bernd Althusmann, welches freilich um Längen unterhaltsamer war als das Aufeinandertreffen von Angela Merkel und Martin Schulz, nur: was ist das für ein Maßstab? Und was überrascht an einem Resultat der AfD, das ganz genau dem Umfragetrend der Partei in diesem Bundesland entspricht, über das gesamte vergangene Jahr hinweg? Nicht einmal eine Hausdurchsuchung bei ihrem Landeschef, dem einstigen ARD-Auslandskorrespondenten Armin-Paul Hempel, kurz vor dem Wahltag, wegen Betrugsverdachts, hat daran etwas geändert. Die AfD kommt aus vorraussichtlich neun Mandate.

Leidenschaft für rote Socken

Ministerpräsident und SPD-Landeschef Weil hat sich indessen einer potentiellen Koalitionsoption beraubt, indem er vor dem Wahltag Rot-Rot-Grün zwar nicht ausschloss, aber ebenso wie zuletzt etwa Nordrhein-Westfalens gefallene Landesfürstin Hannelore Kraft als Ziel ausgab, die Linke unter fünf Prozent zu drücken. Im Grunde ist bei den Genossen alles beim Alten geblieben: das einzige zum schwarz-rot-gelb-grünen Einheitsbrei wirklich differente Koalitionsmodell ist nicht mehr ausdrücklich, sondern nun eben zwischen den Zeilen ausgeschlossen. Die rot-schwarze Ähnlichkeit bleibt: Von Merkels Auftreten mit Althusmann im Wahlkampf ist als einzig enthusiastisches Momentum das Schimpfen auf "rote Socken" überliefert.

Mit einem fünf-Prozent-Plus im Rücken könnte SPD-"Ehrenretter" Weil mit einer rot-schwarzen Landesregierung gar nun die Vorlage dafür geben, dass die Bundes-SPD im Winter Anstand zeigen kann, indem sie die Republik vor Neuwahlen rettet, in die nächste Große Koalition eintritt und zerstrittenen Jamaikanern zeigt, was Regierungsfähigkeit heißt.

Elke Twesten studiert

Weil die FDP nun ein bisschen Revanche für den Blitzeinzug der SPD in die Bundestags-Opposition nimmt und ein Ampel-Bündnis ausschließt, ist eine Große Koalition in Hannover momentan die wahrscheinlichste Option. Dass Schwarz-Gelb-Grün im Bund scheitert, ist dagegen eher nicht anzunehmen. Daran wird auch nichts ändern, dass Niedersachsen bundespolitisch gesehen eine klare Ansage ist: die CDU galt vor kurzem noch als sichere, haushohe Gewinnerin und verlor auf den letzten Metern, deren Startpunkt die Bundestagswahl am 24. September darstellt; die erste Umfrage danach war die, in der sie erstmals seit langem nur noch einen Prozentpunkt vor den Sozialdemokraten lag. Merkel geht alles andere als gestärkt in die Sondierungsgespräche.

Die FDP verliert gegenüber 2013 mehr als zwei Prozentpunkte, und schon allein dass diese drei Worte, "die FDP verliert", noch irgendwann irgendwo einmal auftauchen würden, schien ja zuletzt ausgeschlossen. Am härtesten erwischt hat es die Grünen mit etwa fünf Prozentpunkten weniger und dem wohl knappen Verlust der letzten rot-grünen Mehrheit in einem Flächenland. Elke Twesten, deren Fraktionswechsel zur CDU die vorgezogene Neuwahl ausgelöst hatte, geht also alles andere als leer aus, selbst wenn sie nun ohne Parlamentsmandat dasteht. In einer Großen Koalition unter Weil oder – falls es die Akteure darauf anlegen – in einer Jamaika-Koalition wird für sie zwar kaum ein Posten abfallen und natürlich kann man sich nun amüsieren, weil Twesten laut Spiegel online nun "Führungskompetenz" an der Fachhochschule Buxtehude studiert. Eigentlich aber hat sie dem Land ziemlich eloquent vor Augen geführt, dass der Rechtsruck der politischen Verhältnisse sich eben nicht auf die AfD beschränkt.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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