Mit einer Erinnerung an den spanischen Bürgerkrieg hat Alexis Tsipras diese Woche eröffnet: Wer glaube, die bevorstehende Entscheidung Europas zwischen Solidarität und Auseinanderbrechen betreffe nur Griechenland, der solle Ernest Hemingways Roman Wem die Stunde schlägt lesen. Es reicht wohl schon das Zitat, das Hemingway seinem Roman 1940 vorangestellt hat: „Kein Mensch ist eine Insel, in sich selbst vollständig; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlands“, heißt es dort. „Und darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt dir.“ Die spanische Republik wäre damals nur durch bedingungslose antifaschistische Solidarität zu retten gewesen. Europa heute ist nur zu retten, wenn diejenigen zusammenarbeiten, denen Europas Zusammenwachsen nach 1945 als oberste Voraussetzung für Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent gilt.
Griechenlands Ausscheiden aus der Eurozone wäre der Anfang vom Ende. Da mag die Bundesregierung noch so oft Gerüchte über die gesunkene Ansteckungsgefahr für Spanien, Portugal und Italien lancieren. Sie hat dies vor den griechischen Wahlen im Januar getan und sie wird es weiter tun – selbst wenn dieser Tage eine Einigung über die letzten 7,2 Milliarden Euro aus dem laufenden Rettungsprogramm zustande kommt, Griechenland die im Juni fälligen 1,6 Milliarden an den Internationalen Währungsfons zurückzahlt oder die Geber sich gar zu einer Erleichterung der Schuldenlast bereiterklären. Die Motivation hinter den Gerüchten ist klar: Ohne Ansteckungsgefahr wäre ein Austritt verkraftbar, die Bundesregierung kann den Druck auf Tsipras erhöhen.
Für ein anderes Europa
Doch der Wind hat sich gedreht. Abseits vom deutschen Finanzminister verstehen immer mehr Europäer, dass sich Stagnation und Rezession nicht mit Sparprogrammen bekämpfen lassen. Allein, der Wandel braucht Zeit. Die Austerität besiegt man nicht über Nacht, zumal als Regierung eines kleinen Landes. Das wissen Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis und darum haben sie seit Januar einen verdammt guten Job gemacht. Mit Verve haben sie unbeirrbar für eine gemeinsame Zukunft Europas geworben.
Syriza wurde nicht gewählt, um dem neoliberalen Europa den Rücken zu kehren und sich an einer eigenen Währung zu versuchen. Mag der linke Flügel der Regierungspartei auch darauf drängen, die Mehrheit der Griechen will Teil eines Europas sein, das den Neuanfang wagt. Tsipras würde bei Neuwahlen voraussichtlich erneut ein starkes Mandat erhalten, selbst wenn ein Kompromiss mit den Gläubigern noch immer nicht ohne irrsinnige Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhung auskäme.
Varoufakis orchestriert gleichzeitig Vorbereitungen, die darauf zielen, den Grexit von der Drohkulisse zum schweren Verlustgeschäft für den Rest der Eurozone zu machen: Viele Griechen haben Geld aus den Notfallkrediten mittlerweile im Ausland oder unter dem Kopfkissen in Sicherheit gebracht. Ginge der Staat pleite und würde er die Eurozone verlassen, wäre das Geld für die anderen europäischen Zentralbanken verloren, nicht aber für die Griechen. Das erklärt, warum sich Tsipras so vehement gegen Kapitalverkehrskontrollen wehrt.
Das Verhalten Griechenlands ist ein so komplexes wie riskantes Spiel. Doch solange der Wandel in Europa nicht stark genug ist, um etwa in Deutschland eine solidarische, pro-europäische Mehrheit jenseits von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble zu organisieren, so lange ist dieses Taktieren leider nötig.
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