Das erfordert Mut

Leipzig Drei Syrer haben den mutmaßlichen Bombenbauer aus Chemnitz geschnappt. Was lehrt uns das?
Was für eine Story: Reporter vorm Ort des Geschehens
Was für eine Story: Reporter vorm Ort des Geschehens

Bild: Carsten Koall/Getty Omages

Diese Sachsen! Drei von ihnen holen zunächst einen offenbar Obdachlosen an Leipzigs Hauptbahnhof ab, um ihm zu helfen. Entdecken dann, dass es sich bei dem Mann um den gesuchten mutmaßlichen Terroristen aus Chemnitz handelt. Fesseln ihm mit dem Kabel eines Dreifachsteckers die Füße, halten ihn fest und übergeben ihn der Polizei, die den Mann seit etwa 36 Stunden verzweifelt sucht.

Nun, die drei zurecht für ihren Mut Gefeierten sind Neu-Sachsen, ihre Wurzeln liegen in Syrien, sie sind vor dem dortigen Krieg nach Deutschland geflüchtet. "Auf die Reaktionen von Pegida und AfD bin ich schon gespannt", schrieb ein Kommentator unter der Meldung der Polizei Sachsen zur Festnahme.

"Die schlucken es wieder"

Unter dem nächsten Polizei-Eintrag – dem Video von der Pressekonferenz nach der Festnahme – schrieb dann bald ein anderer: "Dass der eine Syrer den anderen Syrer fesselt... Ja, klar. Was man den Leuten in Deutschland alles aufgetischt und die schlucken es wieder, herrlich" Wie es der Mann dezidiert mit Pegida und AfD hält, ist nicht bekannt, lediglich dass er unter anderem den Facebook-Gruppen "Vladimir Putin Fan Club", "KenFM NUR für Systemkritiker" und der "Sammelgruppe für den gemeinsam organisierten Sturm auf Berlin" angehört, Gender als Thema in Schulen ablehnt, die USA nicht mag und Einträge teilt, in denen es etwa über den Bildern von SPD- und CDU-Politikern in Frakturschrift heißt: "Den Krieg gegen das eigene Volk werdet ihr verlieren!!"

"Klar, man kann sich alles so drehen, wie es einem gerade passt", schreibt der Mann dann im weiteren Kommentarverlauf zur Festnahme. Und: "Es geht doch nicht darum, das was positives berichtet wird. Es geht doch darum, welche Geschichten erzählt werden, ob sie nun wahr sind oder nicht. 'Als die Polizei ein traf, war der Syrer schon gefesselt' Kommt das KEINEM irgendwie merkwürdig vor? Und dann bedankt sich Angela noch bei dem Flüchtling?! Nehmt es mir nicht übel, aber das ist schon Kabarett der höchsten Güte. Gute Nacht und kein Bett Deutschland."

Frage des Framings

Klar, man kann alles so drehen, wie es einem gerade passt. Die überragende Mehrheit der Kommentatoren lobt übrigens sowohl die drei Syrer als auch Sachsens Polizei in den höchsten Tönen. Alles eine Frage des Framings.

Aus dem Deutungsrahmen, in dem ich die Ereignisse von Chemnitz und Leipzig wahrnehme, folgt ganz lapidar: Das Handeln dieser drei Männer war bewundernswert mutig, und dafür spielt ihre Nationalität keine Rolle. Das tut sie hingegen sehr wohl hinsichtlich der Frage, was die drei überhaupt in die Lage versetzt hat, so zu handeln. Es war die Verbreitung einer arabischsprachigen Version des Fahnungsaufrufs der Polizei. Sie wurde massenhaft in sozialen Netzwerken geteilt, erreichte hundertausende Syrer in Deutschland, darunter eben auch die drei.

Wenn nun "Deutschland unverändert im Zielspektrum des internationalen Terrorismus steht", dann sollte doch die Polizei Sachsen einmal überlegen, ob sie die drei Männer, die den Gesuchten schnappten, nicht gebrauchen könnte. Schließlich heißt es in einem Imagefilm jener Polizei Sachsen: "Wir versuchen mit Präsenz jede noch so brenzlige Situation schnell unter Kontrolle zu bringen. Das erfordert Mut – und manchmal ganzen Körpereinsatz."Auf die Notwendigkeit von Neueinstellungen bei der Polizei, die wie viele andere staatliche Institutionen seit Jahren unter politisch verordnetem Spardruck steht, können sich in diesen kontroversen Zeiten schließlich noch die meisten einigen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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