Keine Randnotiz

Marco Bülow Der Sozialdemokrat verlässt die SPD. Das sagt viel über deren Zustand – und ist interessant für die Zukunft von „Aufstehen“

Dieser Tag ist keine Randnotiz in der Geschichte des Niedergangs der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Was sich eben vor allem daran zeigt, dass Marco Bülow nun als „Randfigur in der Bundestagsfraktion“ der Sozialdemokraten ausgewiesen wird. Tatsächlich stand Bülow meist am Rande dieser Fraktion, was mehr über den Zustand letzterer aussagt als über Bülow selbst. Bei der Bekanntgabe seines SPD-Parteiaustritts hat er das noch einmal geschildert: inhaltliche Interventionen zur Erneuerung in Richtung Fraktions- und Parteivorstand, die im Nichts verhallen. Redezeit im Plenum, die nicht gewährt wird. Sprecherposten und Ausschussposten, die die Führung gefälligeren Genossen gibt.

Seit 2002 ist Marco Bülow im Wahlkreis Dortmund I stets deutlich als Direktkandidat gewählt worden – das können nicht mehr allzu viele in der SPD von sich behaupten. Er setzte sich für die Umverteilung des gesellschaftliche Reichtums und gegen Krieg ein, er kämpfte um entschlossenen Umweltschutz und ernsthafte Klimapolitik. Dafür stimmte er immer wieder auch gegen die eigene Fraktion, gegen die Politik der Großen Koalition. Als er vergangene Woche dem schwarz-roten Haushalt seine Zustimmung verweigerte, begründete er das so: „Innerhalb nur eines Jahres wird das Militärbudget um mehr als 10 Prozent erhöht. Noch einmal 4,7 Milliarden Euro mehr für den sowieso schon immens hohen Verteidigungsetat sind für mich nicht akzeptabel. Das ist doppelt so viel wie der gesamte Haushalt des Umweltministeriums. Eine so deutliche Erhöhung des Militärhaushalts ist verantwortungslos. Wir folgen damit klar der Trump-Doktrin, das 2,0%-NATO-Ziel möglichst schnell zu erreichen.“

Grabesruhe an der Basis

Bülows Austritt ist alles andere als der Akt eines beleidigten Zukurzgekommenen, der sich von den Oberen seiner Partei nicht ausreichend mit Posten und Redezeit versorgt fühlt. Vielmehr geht da einer, der sein sozialdemokratisches Selbstverständnis ernst genommen hat – was sich in seinem Abstimmungsverhalten ebenso wie in seinem Kampf gegen die ungleiche Einflussnahme von Lobbyisten auf die Politik spiegelte. Nicht einmal ein Transparenz-Register für Lobbyisten sei mit der GroKo in Aussicht, sagte Bülow, und dass in diesem Punkt sogar die Jamaika-Verhandler im vergangenen Winter weiter gewesen seien. Die Lektüre der Begründung seines Austritts bringt mehr Erkenntnis als so manche öffentliche SPD-Wahlnachlese.

Im Lichte der Folgenlosigkeit der Niederlagen in Bayern und Hessen sei das Maß voll gewesen, sagt Bülow. Seine „Traurigkeit“ darüber speise sich nicht nur aus dem Handeln einer Parteiführung, die keine Erneuerung erkennen lasse und angstvoll immer so weitermache, sondern auch aus der Tatsache, dass an der Basis der Aufstand ausbleibe und dort „Grabesruhe“ herrsche. So, wie sich die etablierten Parteien ohnehin weigerten zu fragen, „was sie dazu beigetragen haben, dass so viele heute eine rechte Partei oder gar nicht mehr wählen“.

„Wir brauchen jetzt Druck von außen“, hatte Bülow nach der Niederlage der GroKo-Gegner beim SPD-Mitgliederentscheid Anfang März dem Freitag gesagt – und wenig später die Progressive Soziale Plattform für Mitglieder und Nicht-Mitglieder aus der Taufe gehoben. Jetzt konstatiert er: „Das ist leider nur zum Teil gelungen und hat nicht die erhoffte Wirkung erzielt.“

Die Zukunft von „Aufstehen“

Bülow wird dem Bundestag fortan als fraktionsloser Abgeordneter angehören, und nicht etwa stante pede in die Linksfraktion wechseln. Das ist kein Wunder, angesichts deren anhaltend zerstrittenem Zustand und dem Fakt, dass die Linke nach wie vor kaum vom Niedergang der SPD – diese hat seit 1998 mehr als die Hälfte ihrer Wählerinnen, Wähler und Mitglieder verloren – profitiert. Meist macht die Linksfraktion nur Schlagzeilen, wenn wieder über eine mögliche Abwahl ihrer in Teilen verhassten Vorsitzenden Sahra Wagenknecht spekuliert wird.

Wagenknecht wie Bülow sind Mit-Initiatoren der Sammlungsbewegung Aufstehen, sodass nun natürlich die Frage im Raum steht, was der Bülow-Austritt und die Wagenknecht-Gerüchte für die Zukunft von Aufstehen bedeuten: ob also aus der Bewegung letztlich nicht doch eine neue Partei werden wird. Die beiden haben sich bisher nicht in diese Richtung positioniert – und an der Basis von Aufstehen ist Euphorie für die Parteiwerdung bisher nicht gerade die vorherrschende Stimmungslage. Für die bisherige Strategie, als überparteiliche Sammlungsbewegung Druck auf SPD, Linke und Grüne ausüben zu wollen, ist Marco Bülows Parteiaustritt jedoch alles andere als ein Ausweis von Erfolg.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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