Interview Pedro Páez Pérez ist Ökonom und leitet die Marktaufsichtsbehörde Ecuadors. Er wirbt für eine Allianz zwischen Lateinamerika und dem kriselnden Europa
„Der Süden ist kein Ort, sondern ein ganzer Horizont der Chancen“
Foto: Franziska Rieder für der Freitag
Bahnhof Zoo, Kurfürstendamm, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche: Wäre Julian Assange 2012 in die Botschaft Ecuadors in Berlin geflüchtet und nicht in die Londoner Vertretung des südamerikanischen Landes, er hätte zumindest einen schönen Blick über den Westen der deutschen Hauptstadt gehabt – die Räume liegen in der zehnten Etage eines Bürogebäudes in Charlottenburg. Vor der Fensterfront eines Konferenzsaals sitzt an einem der ersten Frühlingstage der Ökonom Pedro Páez Pérez, einstiger Wirtschaftsminister der Linksregierung des seit 2007 regierenden Präsidenten Rafael Correa. Als dessen Bevollmächtigter hat Páez an einer neuen Finanzarchitektur für Lateinamerika gearbeitet, die Länder wie
ie Ecuador, Venezuela und Argentinien unabhängig vom Diktat des Internationalen Währungsfonds machen soll. Inzwischen leitet Páez die Marktaufsichtsbehörde Ecuadors, seine Reise nach Deutschland dient dem Austausch mit hiesigen Verbraucherschützern und Kartellwächtern.der Freitag: Herr Páez, Sie sind in einer Zeit nach Europa gekommen, in der Ihnen hier vieles bekannt vorkommen dürfte: In einer großen Schuldenkrise steckte in den 1980er Jahren auch Lateinamerika.Pedro Páez Pérez: Ja, und es ist wirklich erschreckend, zu sehen, mit welcher Leichtigkeit das hochentwickelte Europa in dieselbe Falle gelockt werden konnte wie Lateinamerika vor 30, 40 Jahren. Bei uns war dabei eine Menge Blut im Spiel, der Neoliberalismus ging Hand in Hand mit Diktaturen wie in Chile, Argentinien, Uruguay oder Brasilien, die Strukturanpas-sungsprogramme des IWF wären ohne Repression nicht möglich gewesen. Hinter der unsichtbaren Hand Adam Smiths steckte immer die manu militari, also das Militär.Dagegen hat im Europa von heute die Politik der Austerität Mehrheiten hinter sich, errungen in demokratischen Wahlen zum Beispiel von einer Politikerin wie Angela Merkel.Aber diese Agenda der Austerität kommt nicht aus dem Innersten Europas. Deutschlands strategische Macht hat nichts mit dem Finanzsektor zu tun, sondern mit der Stärke seiner Exportwirtschaft, mit Technologie, Maschinen und Anlagen, mit Investitions- und Produktionsgütern. Der Irrglaube an Spekulation und Derivate kommt von der Wall Street und aus der City of London. Die mächtigsten Akteure des Finanzsektors hierzulande sind heute eng mit diesen angloamerikanischen Interessen verbunden.Lateinamerikas Linksregierungen wollen diesen Interessen eine neue, regionale Finanzarchitektur entgegensetzen. Woraus besteht sie?Das Ganze geht auf die Ideen von Hugo Chávez zurück und beruht auf drei Säulen: die Bank des Südens als neue Bank für eine neue Art von Entwicklung. Der Fonds des Südens mit einem neuen Arrangement lateinamerikanischer Zentralbanken als finanzielles Sicherheitsnetz für den Kontinent. Und schließlich eine neue Rechnungswährung, der Sucre, damit lateinamerikanische Staaten ihren Handel alternativ organisieren können, unabhängig vom Dollar.Diese Projekte werden teils seit Jahren diskutiert und geplant. Wie steht es heute um sie?Der Sucre ist bereits Realität, der Fonds des Südens ist bisher nicht über den Status eines Projekts hinausgekommen, die Bank des Südens nimmt gerade ihre Arbeit auf. Natürlich läuft all das nicht ohne Schwierigkeiten und Hindernisse ab, aber es ist elementar für die Zukunft der Integration in Lateinamerika.Placeholder infobox-1Das erinnert alles an den Einigungsprozess Europas nach 1945.Ja, wir lernen eine Menge von Europa. Lateinamerikas progressiveRegierungen werden hier ja gern als populistisch, kommunistisch oder als tropische Absonderlichkeiten gesehen. Tatsächlich geht vieles auf Ideen zurück, die Christdemokraten und Konservative in Europa vor 60 Jahren propagiert haben. Dinge, die Sie hier als selbstverständlich betrachten, sind in Lateinamerika sogar unter progressiven Regierungen sehr schwierig durchzusetzen: die Regulierung des Marktes in Anbetracht des Missbrauchs durch Monopole und große transnationale Unternehmen etwa.Was tut die von Ihnen geleitete Marktaufsichtsbehörde Ecuadors konkret?Wir bauen ein Kartellamt auf, um überhaupt etwas gegen die Macht der multinationalen Konzerne und oligarchischen Oligopole unternehmen zu können. Kleine und mittlere Unternehmen, indi-gene Gemeinschaften und die Verbraucher sollen nicht mehr hilflos deren Machtmissbrauch gegenüberstehen.Wie erfolgreich ist das?Es ist ein sehr, sehr schwieriges Unterfangen. Die wichtigsten Fälle bisher drehten sich um den Mobilfunksektor, um die Supermärkte und die Pharma-Industrie. Inzwischen haben wir mehr als 500 neue Konsumenten-Komitees in ganz Ecuador. Sich artikulieren zu können, das stärkt die Moral der Menschen.In Deutschland beschäftigen sich Verbraucherschützer derzeit mit Freihandelsabkommen wie TTIP.Das ist sehr wichtig, denn bei Abkommen wie TTIP geht es um die Zerstörung rechtsstaatlicher Prinzipien und des internationalen Rechtssystems. Investoren sollen jeden Staat verklagen können, selbst wenn sie nicht einmal Investitionen getätigt haben, sondern schon allein dann, wenn sie angeblich Investitionen beabsichtigen und diese bedroht sehen. Das richtet sich in erster Linie gegen die Bevölkerungen, gegen die Arbeiter, gegen soziale Errungenschaften.Ist es nicht ein Versuch des globalen Nordens, sich gegen den Aufstieg des Südens zu stemmen, der von der Krise weitestgehend verschont geblieben ist?Ich denke, es geht beim Blick auf die Zukunft nicht um solche geografischen Fragen. Sie sollten den Süden weniger als geografischen Ort denn als Horizont der Möglichkeiten betrachten. Im Moment akzeptieren wir auf eine sehr dumme Art und Weise unsere eigenen tragischen Schöpfungen: Die Finanzmärkte sind kein übernatürliches Phänomen, nichts Sakrales, sondern eine menschliche Kreation. Wir können sie transfomieren, die Welt an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten. Aber dafür müssen wir dazu zurückkehren, andere Orientierungen überhaupt zu sehen, um unsere eigene Zukunft zu schaffen.Sie haben mit Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz zusammengearbeitet. Er sagt, für eine demokratische und humane Zukunft brauche die Welt vor allem ein Verfahren zur Umstrukturierung von Schulden.Wir befinden uns eigentlich in einer Überproduktions-, nicht in einer Schuldenkrise. Schulden sind eine der Fallen des Finanzkapi-talismus. Das Projekt von dessen Profiteuren ist es ja nicht, Schulden einzutreiben, im Gegenteil: Spekulanten brauchen die kontinuierliche Schaffung neuer Schulden, mit denen alte Schulden abbezahlt werden. Das ist das Rezept, das zuvor in Lateinamerika und Afrika angewendet worden ist. Haushaltskürzungen, Lohnsenkungen, Schwächung der Nachfrage – nun wurde so in Europa ein Depressions-Szenario erzeugt.Wie kommen wir da raus?Jedenfalls nicht, indem Zentralbanken Billionen in die Märkte pumpen. Projekte wie die Bank des Südens sind da, um zu wirklich produktiven Investitionen zurückzukehren, in Lateinamerikas Eisenbahnnetz etwa, in erneuerbare Energien, in die technologische Revolution. So öffnen sich Türen für eine neue strategische Allianz zwischen Lateinamerika und Europa, dessen technologischer Vorsprung uns helfen kann, zugleich aber Europa selbst eine Alternative zu Krise, Rezession, Desintegration, Destabilisierung und Krieg bietet.Lateinamerikas eigene Gegenwart sieht auch nicht gerade rosig aus: die Krise in Venezuela, die Petrobras-Skandale in Brasilien, Argentiniens Kampf mit den Hedgefonds ...Es ist keine Neuigkeit, dass die Situation der lateinamerikanischen Gesellschaften fragil ist, nach 500 Jahren struktureller Asymmetrie hinsichtlich des Weltmarktes und nach 40 Jahren Neoliberalismus, die das produktive Potential zerstört haben. Aber diese Verletzlichkeiten sind künstlich geschaffen, es ist klar, dass die Spekulanten an der Wall Street und in der City of London von ihnen profitieren.Ist das Versäumnis der venezolanischen Regierung, die Wirtschaft des Landes abseits von Öl zu diversifizieren, nicht evident?In jedem Land Lateinamerikas gibt es eine Menge von Beschränkungen. Die Menschen haben uns mit ihren Forderungen dazu gezwungen, an der Transformation zu arbeiten, aber das wischt das schwere Erbe alter Abhängigkeiten nicht weg. In Ecuador gab es schon seit den 1970er Jahren Pläne für Wasserkraftwerke, aber der IWF hat sie als ineffiziente öffentliche Investitionen verboten. Wir exportierten Rohöl und importierten Ölderivate sowie teure Elektrizität von multinationalen Konzernen.Und heute?Wir haben ungeheure Anstrengungen unternommen, aber es hat sechs, acht Jahre gedauert, bis wir energieautark wurden. Und natürlich haben wir noch eine Menge Arbeit vor uns, um unser Prinzip des Sumak Kawsay, des Guten Lebens, zu entfalten und die mensch-lichen Bedürfnisse vollends über den Geiz des Kapitals zu stellen.Wie wird es mit Lateinamerikas Streben nach Souveränität und Integration weitergehen?Man sollte die Annäherung zwischen den USA und Kuba nicht überschätzen. Die gegen die progressiven Regierungen gerichtete Agenda der Destabilisierung ist gegenwärtig wie eh und je. Das kann durchaus wieder die Versuche von Regimewechseln unter militärischer Einflussnahme bedeuten. Aber in Ecuador, Venezuela, Brasilien, Argentinien oder Bolivien hält auch die Mobilisierung der Bevölkerung an und das macht es schwer für die Oligarchien der Spekulanten, eine Rückkehr in die Vergangenheit durchzusetzen.
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