„Das schockt mich“

#MakeParisReal Von Sachsen nach Belgien: Eine Fahrrad-Tour der Klimabewegung ist unterwegs gen Brüssel, um Europas Regierungschefs ordentlich die Meinung zu sagen

Sie radeln und radeln und radeln: Am 26. November in Dresden gestartet, ist eine von Parents for Future in Leipzig initiierte Tour derzeit unterwegs gen Brüssel; mehr als 500 Menschen sind bereits mitgefahren, es ist auch eine große innerdeutsche und europäische Vernetzungstour der Klimabewegung. Am 9. Dezember soll die EU-Hauptstadt erreicht sein, pünktlich zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 10./11. Dezember und zum fünfjährigen Jubiläum des Pariser Klimaabkommens am 12. Dezember. Die klare Forderung der Radelnden: „#MakeParisReal“. Almut Petschauer organisiert die Tour von Leipzig aus mit.

Almut Petschauer ist Mitstreiterin bei Parents for Future in Leipzig und organisiert von dort aus die Radtour von Dresden nach Brüssel mit. Informationen zu dieser, etwa zu den noch ausstehenden Etappen, gibt es auf dieser Internetseite.

der Freitag: Frau Petschauer, wie kommt man auf die Idee, im Winter eine Radtour von Dresden nach Brüssel zu organisieren?

Almut Petschauer: Auf so eine Idee kommt man, wenn man verzweifelt ist! Tatsächlich kam sie spätabends in einem Videomeeting unserer Leipziger Gruppe von „Parents for Future“ auf: am 12. Dezember jährt sich der Abschluss des Pariser Klimaabkommens zum fünften Mal, am 10. und 11. Dezember treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel. Da wollen wir einfachen Leute darauf aufmersam machen, dass hier etwas gewaltig schiefläuft. Das Paris-Abkommen wurde einst riersengroß gefeiert, aber die Umsetzung ist heute mehr als prekär. Uns geht es darum zu sagen: Wir leben alle auf dieser einen Welt, unsere Kinder und deren Kinder sollen auf ihr auch noch leben können, wir wollen einfach nur überleben.

Darum radeln da jetzt seit dem Start am 26. November in Dresden Menschen bei Minusgraden von Stadt zu Stadt.

Ja, und lustig ist das nicht, die Leute frieren sich wirklich den Allerwertesten ab, und es werden auch ganz viele Tipps ausgetauscht, wie man seine Füße warmhält. Als wir im Vorfeld Pressemittelungen entwarfen, haben wir noch gewitzelt – Glätte, Eis, Schnee, ach, Klimaerwärmung gibts eh nicht! Aber es hat uns wirklich voll erwischt, es war die ganze Zeit immer kalt, die radeln wirklich durch Schnee uns Eis.

Wer fährt denn da mit?

Die Idee kommt, wie gesagt, von den Parents for Future in Leipzig, aber der Kreis der Beteiligten ist rasend schnell gewachsen – all die Ortsgruppen, über die wir die Stationen der Radtour organisieren, die Parents for Future Deutschland, die Parents for Future Global, die Fridays for Future, die Omas, ein Opa mit 69, der wegen seiner Enkelkinder mitfährt, die Scientists for Future, die Students for Future fahren mit, der ADFC und andere Klimagruppen. Es ist nicht so, dass immer dieselbe, feste Truppe radelt, sondern wir geben ja staffelstabmäßig den Eifelturm immer von Gruppe zu Gruppe weiter.

Den Eiffelturm?

Ja, zwei Meter hoch, als Zeichen für und Erinnerung an das Paris Klimaabkommen. An dem hat einer von uns, der Grafikdesigner ist, zwei Wochen lang gebastelt. An den Stationen wird er dann immer aufgebaut, alle können ihre Botschaften daraufschreiben, in Brüssel soll er dann übergeben werden.

An wen?

Am liebsten an Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin. Aber die werden wir wohl nicht kriegen.

Aber der ist das Klima doch angeblich so wichtig.

Vielleicht entsteht ja noch so viel Öffentlichkeit für unsere Tour, dass das klappt. Aber es wird wahrscheinlich EU-Parlamentarier geben, die dem Eiffelturm in Empfang nehmen werden. Das Parlament hat ja mit seiner Forderung, die CO2-Emmissionen bis 2030 um 60 Prozent zu reduzieren, entschlossener gehandelt als viele anderen.

Wie viele radeln denn auf den einzelnen Etappen mit?

Es ist gar nicht so leicht, das zu zählen, aber es waren bisher insgesamt schon deutlich über 500 Menschen dabei, bei Minusgraden durch Matsch und Schnee, manche nehmen extra Urlaub, das ist schon beachtlich, das hätten wir nicht erwartet. Im Sommer wäre das natürlich schöner, aber wir muten uns das zu, weil das Nichteinhalten des Pariser Abkommens auch eine Zumutung ist. Auf der Strecke von Leipzig nach Jena zum Beispiel, das waren am Ende 170 Kilometer, gab es viele, die dann ein Teilstück mitgefahren sind; den absoluten Spitzenwert gab es zwischen Jena nach Erfurt, die wollten am allerliebsten auf der Autotbahn fahren, das haben sie aber nicht als Demonstration genehmigt gekriegt. Dann sind sie über die B7 gefahren und mit 255 Radfahrern und Radfahrerinnen angekommen. Vor ein paar Tagen war die Tour im Dannenröder Forst angekommen, das hat mein Weltbild ziemlich beschädigt.

Warum?

Sehen Sie sich mal die Bilder an, für mich sieht das absolut wie die Apokalypse aus:

Eingebetteter Medieninhalt

Da steht unser Eiffelturm, und dahinter ist es hell beleuchtet, sieht aus wie so ein Waldbrand, aber nein, es sind nur die Generatoren und Lampen, die den Wald beleuchten, eine abgeholzte Schneise. Vier oder fünf Leute sind auf der Etappe im Dannenröder Forst angekommen, dann bauen die den Eiffelturm vor dem Zaun auf und werden plötzlich aufgefordert, das sofort zu beenden, sonst kommt der Wasserwerfer! Wir reden von maximal sieben Leuten, wohl eher vier oder fünf! Und dann kam tatsächlich der Wasserwerfer herbei! Allen Ernstes, Leute? Ich verstehe, dass die Polizei ihren Job macht, nur das ausführende Organ ist. Menschen, die friedlich protestieren, so anzugehen, das schockt mich. Abgesehen davon, dass es völlig absurd ist, einen Wald abzuholzen, um eine Autobahn zu bauen, wenn man ein 1,5-Grad-Ziel unterschrieben hat!

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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