In seinem Buch Geistig-moralische Wende konstatiert der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher die „Erschöpfung des deutschen Konservatismus“. Aber wie erschöpft ist die CDU wirklich, nach der Wahl Armin Laschets?
der Freitag: Herr Biebricher, was für eine Art von Konservativer ist Armin Laschet?
Thomas Biebricher: Er ist ein rheinländisch-katholisch-christdemokratischer Konservativer, wie sie die CDU über Jahre geprägt haben, nicht nur in Person Helmut Kohls. Zudem gibt es ja noch andere Parallelen, etwa das sehr dezidierte pro-europäische Auftreten. Am stärksten hat er sich als Konservativer im Bereich innere Sicherheit profiliert, zugleich ist er gegen die Stigmatisierung etwa von Muslimen oder Migranten, wie sie im konservativen Spektrum möglich ist, gefeit. Laschet wird jetzt die Parteireihen ganz in alter CDU-Manier zu schließen versuchen, was aber alles andere als leicht wird. Er kann durchaus rustikaler auftreten, als man das lange Zeit kolportierte und ihn als einen Merkelianer, als die weichste Version des Konservativismus der CDU, dargestellt hat.
Ist Armin Laschet also Angela Merkel in westdeutsch, männlich und katholisch?
(lacht) Das sind ja schon mal drei merkliche Unterschiede. Natürlich ist seine Wahl kein Bruch mit der Ära Merkel, wie es die von Merz gewesen wäre. Aber Laschet ist nicht so „vermittet“. Er regiert mit der FDP, und das aus Überzeugung. Da ist schon Potenzial, alles etwas neoliberaler auszubuchstabieren. Jetzt spielt er die klassische CDU-Karte: Wo ich bin, ist die Mitte. Er zeigt ja gern sein Kabinett in NRW her, wo vom Arbeitnehmerflügel bis zu den Wirtschaftsliberalen alle dabei sind. Tatsächlich hat er das bisher gut hinbekommen. Ob das aber für eine CDU ausreicht, die ja doch sehr in Wallungen ist?
Der CDU-Mann Markus Kurze aus Sachsen-Anhalt hat gesagt, gerade im Osten orientiere man sich an den Werten Ordnung, Fleiß und Disziplin, deshalb an Merz – Laschet stünde für Nordrhein-Westfalen und dortige Probleme, „die wir hier nicht haben wollen“.
Die Partei ist in vielerlei Hinsicht gespalten – auch in Ost und West. Hier ostdeutsche Landes- und Kreisverbände, die einen robusteren Konservatismus bevorzugen. Dort ein Aachener, also ein Westdeutscher aus dem westlichsten Westen. Wenn Laschet auf ostdeutsche Parteifreunde zugeht, werden das die argwöhnisch beobachten, die in ihm einen Kontinuitätsgaranten der Ära Merkel sehen. Wie bei Kramp-Karrenbauer.
Ostdeutsche Abgeordnete fürchten, ihre Direktmandate an die AfD zu verlieren, und sagen gern in Richtung Bundespartei: Diskutiert ihr doch mal mit den Menschen in den Wahlkreisen hier.
Ja, und die aus Berlin vorgegebene Linie erscheint vielen dort weltfremd. Es stehen Landtagswahlen unter anderem in Sachsen-Anhalt und Thüringen an, also können diese Spannungen zunehmen. Die Diskussion über das Verhältnis zur AfD wird bleiben. Laschet wird es schwer haben, zumal er sein Amt als Ministerpräsident mit der nötigen Präsenz als Wahlkämpfer in Ostdeutschland vereinbaren muss. Das wird alles nicht so einfach.
Ist dies die größte Krise der CDU?
Naja, die lag eher in den Jahren 1998/99. Der deutliche Machtverlust nach 16 Jahren Regierung; und die Demoskopen sagten der Partei: Es ist eigentlich ein Wunder, dass ihr so lange durchgehalten habt, euer strukturelles Wählerpotenzial stirbt weg, ihr müsst froh sein, wenn ihr als Spartenpartei überlebt. Dann der Spendenskandal, die CDU war am Boden. Es ist schon bemerkenswert, wie schnell sie zurückgekommen ist.
Zur Person
Thomas Biebricher, 46, ist Associate Professor am Department of Management, Politics and Philosophy der Copenhagen Business School. Nach Geistig-moralische Wende (2018) ist dieser Tage sein neues Buch Die politische Theorie des Neoliberalismus bei Suhrkamp erschienen
Dank ihrer „Sozialdemokratisierung“ unter Angela Merkel.
Nein. Diese Idee eines liberalen Modernisierungsputsches von oben, durch Merkel, die ja nie eine Konservative gewesen sei, die ist zwar griffig, trifft es aber nicht. Das Ganze ist vielmehr ein schleichender, typisch konservativer Prozess, der weit in die 80er-Jahre zurückreicht, als bestimmte Positionen langsam zu bröckeln begannen, was sich an internen Papieren und dem einen oder anderen Parteitagsbeschluss ablesen lässt, etwa in der Familienpolitik: Dominierte Anfang der 80er noch die höchst heteronormative Norm-Familie, war die CDU Mitte der 90er an einem Punkt angelangt, wo sie das grundsätzliche konservative Ideal zwar noch hochhielt, sich aber hin zu nicht-traditionellen Formen von Familie oder Partnerschaft geöffnet hatte, später dann auch für Vorstellungen wie der, dass, wo Kinder sind, wo Verantwortung übernommen wird, Familie ist. Das Bild von einer Führungsriege, die systematisch konservative Positionen abgeräumt hat, bei Atomkraft oder Mindestlohn etwa, ist falsch. Die Abschaffung der Wehrpflicht geht nicht auf Merkel, sondern auf zu Guttenberg zurück, die Parteigremien folgten begeistert.
In Ihren Konservatismus-Analysen unterscheiden Sie eine prozesshafte von einer substanziellen Variante. Was soll das sein?
Substanziell meint, dass es um die Bewahrung ganz bestimmter Aspekte des Status quo geht, um eine Art guter Ordnung, verknüpft mit substanziellen inhaltlichen Vorstellungen etwa von Familie und Religion. Der prozedurale Konservatismus ist einer, dem es darum geht, gesellschaftlichen Wandel zu moderieren und vor allem zu entschleunigen. Prophylaktisch nimmt man viele kleine Veränderungen vor, damit es nicht zu großen kommt, zu Revolutionen, zu Brüchen. Letzterer ist der weit Dominantere im deutschen Kontext der vergangenen zehn, zwanzig Jahre. Es ist heute sehr schwierig zu sagen, für welche konkreten inhaltlichen Punkte die deutsche Christdemokratie steht. Lange war der letzte verbliebene die schwarze Null, verbunden mit europäischer Austeritätspolitik. Aber auch damit wird die Union in anstehenden Wahlkämpfen nicht so richtig auftrumpfen können.
Die schwarze Null ist suspendiert, die EU-Vergemeinschaftung von Schulden institutionalisiert.
Es wird in jedem Fall Kräfte geben, die viel daran setzen werden, das zurückzudrehen, der Chor formiert sich ja schon jetzt: zurück zur fiskalischen Normalität nach der Pandemie, wer soll das alles bezahlen, der Gürtel muss enger geschnallt werden. In Bezug auf Europa wird versucht werden, ein Narrativ zu installieren, wonach Empfängerländer das Geld aus dem Corona-Fonds für das Stopfen von Haushaltslöchern raushauen, um das Rad zurückzudrehen. Gelingt das nicht, wird es spannend. Dann steht im Raum, dass die EU Steuern erhebt, denn das wäre der logische nächste Schritt.
Wie wird Laschet mit den Transformationsprozessen in Sachen Klima umgehen?
Da gibt es ein Dilemma – auf dem Parteitag haben ja alle gesagt, „Wir müssen weiblicher, wir müssen jünger werden“. Unter Jüngeren – die haben ein ganzes Leben vor sich – ist es eine weit verbreitete Empfindung, dass die Dinge schneller gehen müssen. Das sind genau die Gruppen, die die CDU verstärkt ansprechen will. Laschet steht dafür, erst einmal alle Stakeholder und Interessen zumindest symbolisch ins Boot zu holen.
Mit den Grünen an seiner Seite?
Ich verstehe die Grünen so, dass sie genau dieses Ansinnen haben, am großen Rad zu drehen, weil die Verhältnisse sind, wie sie sind, und am großen Rad gedreht werden muss. Das trifft auf eine CDU, die habituell nichts weniger mag als das, und die, wenn es dann soweit kommt, etwa beim Atomausstieg, sehr damit hadert. Mit Laschet aus dem Kohle-und-Stahl-Bundesland würde das sicher sehr interessant.
Die CDU ist gut damit gefahren, nicht das große Rad zu drehen.
Ja, und die aktuelle Situation ist wie für sie gemacht, sie hat es gut verstanden, die Coronakrise schnell in etablierte Narrative einzuordnen: Die CDU als Krisenmanagerin, die schon den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg verantwortet hat. Gerade in den vergangenen 20 Jahren präsentierte sie sich als Instanz, die keine großen Ideen hat, es aber schafft, den Laden zusammenzuhalten und Schaden von Deutschland abzuwenden – stets auf dem Rücken anderer übrigens, siehe Eurokrise.
Dann sind die Konservativen vielleicht gar nicht „erschöpft“ – verglichen mit anderen Parteien strotzt die CDU doch vor Kraft.
Das sagt vielleicht etwas über die anderen ... Nein, dieser Modus ist ein Problem. Das ewige Auf-Sicht-Fahren hat den Anspruch aufgegeben, dass politische Gemeinschaften autonom darüber entscheiden können, wie sie leben wollen. Das ist doch aber Teil dessen, was wir uns von Politik erhoffen.
Kommentare 10
Interessant im Zusammenhang mit dem Thema:
Armin Laschet ist devoten Untertanen aus Medien und Politik nicht stromlinienförmig genug. Er stört das verabredete Narrativ zu Syrienkrieg und Putin.
Stänkerer: Daniel Brössler (SZ.de), Mathieu von Rohr (SPIEGEL.de) und Kanzlerinnenaspirantin Annalena Baerbock Bündnis 90/Die Grünen.
Dabei sind die angeklagten Positionierungen von Armin Laschet aus meiner Sicht nicht zu beanstanden
Das habe ich Daniel Brössler gestern auch per E-Mail von vorgestern mitgeteilt.
- der arminius von der union ist vom kern-fleisch der union:
mehrheits-orientiert, auf möglichst partner-freie regierungs-macht ausgerichtet.
(am liebsten wär ihm schwarz-gelb).
politische-soziale-ökologische themen-bearbeitung
hat sich an widerständen(woher sie auch kommen) zu relativieren.
angestrebt ist eine politik des mach-baren,
die sch(merz)liches zu meiden sucht, also merkel-politik : da capo!
- danke für den hinweis auf die denkzone thomas biebricher!
Liegt es eigentlich in Laschets Verantwortung, daß die Sportwettbüros trotz Covid geöffnet sind?
War da nicht was mit Laschet und Gauselmann?
https://gauselmann.de/Presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilung_9945.html
Wenn Oma an Covid stirbt, bleibt wenigstens die Zockerbude auf, um das Erbe zu verzocken!
Alle Achtung, die CDU versteht was von Wirtschaft!
Ich nenne jetzt wieder die Uckermark und die CDU Mitglieder Herr Koeppen und Knauthe.Sie sind Merz-Hyper.Bei aller Kritik am SPD-Bürgermeister meiner Stadt- diese Partei und dazu noch mit der Geldattitüde lässt mich nichts optimistisches erwarten.
Der angesprochene Konservatismus( im Interview )ist zurück. Die Herren leben in ihrer Blase und reden nicht über Löhne in Bereichen der nichtproduzierenden Wirtschaft.Bildung wurde von ihnen genannt- hahaha- von Soziologie kein Wort von ihnen,daß sich ebend nicht die Arbeitslosigkeit der Eltern in der Bildungsbiographie widerspiegelt.Natürlich haben die Beiden noch nie was z.B. von Anna Mayr gehört und gelesen-Das Buch ,,Die Elenden'' muss an Schulen besprochen werden,das wünsche ich mir.
Optimistisches
Laschet muss ja Alle in seiner Partei zufrieden stellen und er ist ein Mann.Sein Konservatismus beinhaltet wenigstens auch im Osten bekannt zu machen, daß es auch im Westen unseres Landes Gegenden gibt die mit- sehr starken sozialen Verwerfungen-zu kämpfen haben inclusive Firmenpleiten und Schulden.Das ist ein Fakt,den ein NRW-Politiker sehr wohl in das Bewußtsein zurückholen kann.Ein Bewußtsein für weibliche Erwerbsmöglichkeiten erwarte ich von ihm nicht.frauen in der CDU- Blamage....Falls Frau Hänel ihre Klage verliert,dann geht es erst recht zurück zu den 3K's.da kommt Freude auf.
Der Politologe Biebricher will uns weismachen, der Konservatismus drehe nur kleine Räder, aber - anders als die Grünen - nicht das große Rad. Aber das ist eins seiner Narrative: Natürlich installieren und bedienen Konservative auch große Räder - siehe das CumEx von Friedrich Merz und Blackrock.
Vielmehr lautet die Frage "echter Konservativer": Nützt mir das?
Ein großes Rad für die Umwelt und nicht für "unser" Geldverdienen? Das ist für sie wirkliches Teufelszeug, fast so schlimm wie der Kommunismus. So denken "Konservative" in echt!
Die profane Honoratiorenpartei des Besitzbürgertums - hängt sie sich den Konservatismus nicht nur als ein schönes Mäntelchen um?
Ist Merz konservativ oder einfach nur "J'enrichis moi même!"? Oder beides?
Viele der 47% der CDU-Parteitagsdelegierten, die in ihn für einen Nachfolger von Franz-Josef Strauß halten, übersehen, dass Merz wegen seines Steuerdiebstahls (CumEx Milliarden mit den Blackrock-Investoren) damals in den Knast gegangen wäre.
Aber da hätte ihn sein Vater, ebenfalls bereits Rechtsanwalt und Honoratior im Hochsauerland, wahrscheinlich von abgehalten und gesagt: Erstmal musst Du Dir diese Steuerschlupflöcher legalisieren, bevor Du sie nutzt.
Ist die Legalisierung solcher Plünderungen konservativ? Wenn wir den Wirtschaftsanwalt Schäuble fragen: ja!
(Nicht nur) in NRW versuchen seit Tagen verzweifelte, weinende, völlig überforderte Senioren über 80 (alleingelassen oder mit ihrem ebenso verzweifelten Kind) per Telefon oder Internet Impftermine in einem manchmal (für sie) weit entfernten Impfzentrum zu bekommen. Sie kommen entweder nicht durch oder erfahren nach x-Versuchen, dass die Erstimpf-Termine vergeben sind. Über die zweiten Termine, na ja, die kommen später. Selbst die CDU-Basis ist empört. Und wie reagiert die rheinische Frohnatur Laschet?
"Der Impfstart ist gelungen", sagte er am Montag in Berlin nach den ersten Online-Sitzungen der neu gewählten CDU-Spitzengremien. "Zehntausende haben heute Termine bekommen." Es sei aber von vornherein klar gewesen: "Wenn eine Million Menschen einen Brief bekommen und dann eine Hotline anrufen, dann kann es zu Stauungen kommen. Dann kann es auch zu technischen Problemen kommen." (SZ, 25.1.21).
So isser. "Ooche alaaf!"