So würde sich der Kreis in Österreich also schließen: Wo im Jahr 2000 mit dem Antritt der Regierungskoalition aus der konservativen ÖVP mit der FPÖ unter Jörg Haider der Rechtspopulismus seinen ersten massiven Erfolg in Europa feierte, soll nun die Entlarvung Heinz-Christian Straches das Ende jener Eruptionen einleiten, als deren jüngste Episode ein Rechtsruck bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am kommenden Wochende auf der Agenda stand. Jetzt, im Angesicht jenes Videos aus Ibiza aber, so geht die Hoffnung, würden vielleicht endlich alle klarsehen. „Populisten nennen sich Patrioten, verkaufen ihr Land und haben keine Antwort für die Zukunft Europas“, verkündet etwa EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber.
Kapiert Europa es jetzt also endlich? Dass die Rechtspopulisten gefährlich, korrupt und charakterlich fragwürdig sind? Dass sie Interessen des Kapitals bedienen, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn es ihnen persönlich zum Vorteil gereicht? Das ist wohl die falsche Frage.
Dass Strache gefährlich, Kapital-kompatibel und egomanisch ist, haben die Ibiza-Aufnahmen wohl deutlich vor Augen geführt. Weswegen ihre Veröffentlichung durch die beteiligten Medien durch und durch zu begrüßen ist. Der Neuigkeitswert des dort Enthüllten aber hält sich arg in Grenzen.
Zur Schau gestellt wurde hier ein seit Jahren bekanntes „grundsätzliches Muster in Straches Verhalten“, darauf hat der ORF-Journalist Armin Wolf gerade hingewiesen: „Eine fatale Neigung zu bemerkenswert unreifen Fehlleistungen, zur Flunkerei und ein bedenklich unterentwickeltes Urteilsvermögen“. Und wie „die FPÖ jeden Sozialpopulismus zugunsten blankem Neoliberalismus hat fahren lassen“, das beschrieb nicht nur Franz Schandl im Freitag schon vor anderthalb Jahren.
Natürlich, der Affekt- und Folgenreichtum dieser „Affäre“ und ihrer Inszenierung fasziniert. Doch was lässt sich an grundlegender Erkenntnis gewinnen?
Merken wir auf, weil da einer die Wasserversorgung an Private mit Profit-Interessen zu geben gedenkt? Wasserprivatisierungen waren in Europa in der jüngsten Vergangenheit doch längst Realität, ganz ohne Nazis. In Berlin etwa war das nur zurückzudrehen, indem ein Volksbegehren, der Wassertisch, sich in seinem langen Kampf von Legislative und Exekutive nicht aufhalten ließ – und indem zum Rückkauf wahnwitzig hohe öffentliche Mittel zur „Entschädigung“ der Privaten mit Profit-Interesse eingesetzt wurden.
Interessiert uns die Einflussnahme Vermögender mittels ihres Vermögens auf die Politik erst, wenn von einer „RUSSISCHEN (!!!)“ Oligarchin die Rede ist? Forscherinnen wie Lea Elsässer weisen seit langem darauf hin, wie drastisch und immer stärker sich im politischen System Deutschlands der Wille der wenigen Reichen gegen den der vielen Ärmeren durchsetzt – ganz ohne russische Oligarchin.
Die Rechten – die egomanischen, die korrupten, die neoliberalen – wird auf über den Tag hinausreichende Sicht ein solches Video leider nicht stoppen. Dafür bräuchte es das, was nicht nur, aber ganz besonders in Österreich so sehr fehlt: eine glaubwürdige, der Korrumpierbarkeit unverdächtig Kraft, die einen Bruch mit den gleichbleibenden Selbstverständlichkeiten der alten wie der neuen Eliten wagt, indem sie radikal Verteilungsfragen ins Zentrum stellt.
Kommentare 9
Also wieder nur die alte Leier: Wir brauchen nur den neuen Menschen (hier in Gestalt eines Politikers), und alles wird gut?
Ich finde, wir sollten lieber einen Weg suchen, den wir mit den real vorhandenen Menschen trotz ihrer unterschiedlichen Macken, gemeinsam gehen können. Sonst wird das nix.
Dass die Entlarvung dieses Idioten nicht das Ende des Rechtsrucks einleitet, ist wohl klar, genau so klar wie die Tatsache, dass das Finanzkapital auch ohne die Hilfe von Neonazis seine Interessen gegen die der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzt. Deshalb, auch das ist richtig, braucht es eine Kraft (nicht eine Person @ Querlenker), die die Verteilungsfrage radikal ins Zentrum stellt.
Ergänzen würde ich, dass über die Verteilungsfrage hinaus die Frage nach der Verfügungsmacht über Kapital und Produktionsmittel in gleicher Radikalität zu stellen ist. Demokratisch legitimierte Entscheidungen über Sinnhaftigkeit und Nutzen von Investitionen hätten beispielsweise die Auseinandersetzungen um den Hambacher Wald oder die Umsiedlung von Dörfern zugunsten der Kohleverstromung überflüssig gemacht.
In Österreich - Notiz am Rande - schließt sich noch ein anderer Kreis: Die Witwe des "Kaufhauskönigs" Helmut Horten unterstützt nach Straches Aussagen im besagten Video die FPÖ. Hortens Kaufhausimperium entstand, als Helmut Horten 1936 im Rahmen der Arisierung das jüdische Duisburger Kaufhaus der "Gebrüder Alsberg" und weitere sechs Kaufhäuser von vertriebenen Juden "günstig" übernehmen konnte. Er entließ sofort alle jüdischen Mitarbeiter und warb mit dem Spruch: "Jetzt in arischem Besitz". Nach dem Verkauf der Kaufhauskette setzte er sich dann 1969 mit einer Milliarde DM, natürlich unversteuert, in die Schweiz ab. Seine Witwe "Heidi" - ist das nicht niedlich? - unterstützt also mit dem Geld des Naziprofiteurs und Steuerflüchtlings Helmut Horten die neuen Nazis.
Ach ja, die ultra rechten also - diese versager! Erinnert sich eigentlich noch jemand an einen gewissen herrn Schäuble, der von einem waffenlobbyisten namens Karl-Heinz Schreiber dereinst 100.000 DM entgegen nahm; oder an die ganze "CDU/CSU Parteispendenaffäre"?
Wahrscheinlich nicht, denn Schäuble ist heute als bundestagspräsident zweithöchster staatsdiener. Daraus wird ersichtlich, dass "Das" nicht nur nicht reicht, sondern einer karrierefortsetzung auch nicht im geringsten im wege steht!
>>Also wieder nur die alte Leier: Wir brauchen nur den neuen Menschen (hier in Gestalt eines Politikers), und alles wird gut?<<
Das habe ich so nicht verstanden. Der Autor schreibt von "einer glaubwürdigen, der Korrumpierbarkeit unverdächtigen Kraft". Das muss nicht zwangsläufig eine (!) Person sein.
Die Kapitalisten brauchen tatsächlich keine Rechtspolulisten bzw. keine Rechtsradikalen. Sie brauchen verlässliche Leute aus dem Spektrum der politischen Mitte. Das kann man auch an deren Spendenverhalten an die Parteien ablesen. Grüne, SPD, CDU, CSU oder FDP gelten in den Medien und damit in der breiteren Öffentlichkeit als seriös. Wird nach weiter rechts gespendet, geschieht dies unter dem Mantel der Verschwiegenheit. Siehe den Spendenskandal um die AfD oder die Behauptungen Straches über verdeckte Zuwendungen mittels eines gemeinnützigen Vereins.
seit der amerikanischen unabhängigkeits-erklärung
ist allen konzeptiven ideologen der republik/demokratie klar:
nicht nur weisheit soll die volks-vertreter auszeichnen,
auch tugendhaftigkeit/unbestechlichkeit/absage an verschwörerische
tricks wurde gesucht.
nur der "gläserne", unter beobachtung stehende repräsentant,
der transparenz nicht als zumutung empfindet,
ist verführungen in permanenz: nicht zugetan.
>>Das muss nicht zwangsläufig eine (!) Person sein.<<
Kann gar nicht. Solange es Käufer gibt, können Personen käuflich sein. Ob sie es sind weiss man dann, wenn sie wieder "dumme Entscheidungen" getroffen haben, zum Beispiel ein Wasserwerk an Profitgeier verhökern oder eine "Agenda 2010" in Gang setzen. Und dann wollen Viele es nicht wahrhaben.
Ich denke, das Problem könnte nur eine unhierarchische Massenbewegung bewältigen. Erste Schritte in diese Richtung wurden in Frankreich sichtbar, leider ohne internationale Solidarität.
>>...leider ohne internationale Solidarität.<<
Als ob wir keine Probleme hätten.
Die Video-Veröffentlichung begrüsse ich ausdrücklich. Und ja die Taktik jetzt zu veröffentlichen, entspringt einer Klugheit, daß so ein Tiefflieger wie Strache nur so ,,abgeschossen'' werden kann.Mensch kann ja trinken so viel er will aber die charakteristischen Grundzüge eines Menschen zeigen sich im Suff.Ja und das Filmchen ist faktisch der Offenbarungseid.Was haben die Menschen gemacht, die Das sich ansehen mussten zwecks Echtheit usw..Ich hoffe, das Lachen haben sie nicht verlernt.Allen Beteiligten Respect- würde A.Franklin jetzt singen.
Ich mache mir keine Illusionen, daß in Deutschland sozusagen die Klone unterwegs sind.
Eine strikte Trennung in Legislative und Exekutive und Kontrollgremien ohne VertreterInnen aus beiden Gremien wäre eine Möglichkeit, der Verfilzung Einhalt zu gebieten. Danke für Ihren Artikel.