Das wird nicht reichen

Österreich Das Erstarken der Rechten in Europa wird kein Ibiza-Video von Heinz-Christian Strache allein beenden
Wussten wir nicht längst, wie Heinz-Christian Strache tickt?
Wussten wir nicht längst, wie Heinz-Christian Strache tickt?

Foto: Alex Halada/AFP/Getty Images

So würde sich der Kreis in Österreich also schließen: Wo im Jahr 2000 mit dem Antritt der Regierungskoalition aus der konservativen ÖVP mit der FPÖ unter Jörg Haider der Rechtspopulismus seinen ersten massiven Erfolg in Europa feierte, soll nun die Entlarvung Heinz-Christian Straches das Ende jener Eruptionen einleiten, als deren jüngste Episode ein Rechtsruck bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am kommenden Wochende auf der Agenda stand. Jetzt, im Angesicht jenes Videos aus Ibiza aber, so geht die Hoffnung, würden vielleicht endlich alle klarsehen. „Populisten nennen sich Patrioten, verkaufen ihr Land und haben keine Antwort für die Zukunft Europas“, verkündet etwa EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber.

Kapiert Europa es jetzt also endlich? Dass die Rechtspopulisten gefährlich, korrupt und charakterlich fragwürdig sind? Dass sie Interessen des Kapitals bedienen, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn es ihnen persönlich zum Vorteil gereicht? Das ist wohl die falsche Frage.

Dass Strache gefährlich, Kapital-kompatibel und egomanisch ist, haben die Ibiza-Aufnahmen wohl deutlich vor Augen geführt. Weswegen ihre Veröffentlichung durch die beteiligten Medien durch und durch zu begrüßen ist. Der Neuigkeitswert des dort Enthüllten aber hält sich arg in Grenzen.

Zur Schau gestellt wurde hier ein seit Jahren bekanntes „grundsätzliches Muster in Straches Verhalten“, darauf hat der ORF-Journalist Armin Wolf gerade hingewiesen: „Eine fatale Neigung zu bemerkenswert unreifen Fehlleistungen, zur Flunkerei und ein bedenklich unterentwickeltes Urteilsvermögen“. Und wie „die FPÖ jeden Sozialpopulismus zugunsten blankem Neoliberalismus hat fahren lassen“, das beschrieb nicht nur Franz Schandl im Freitag schon vor anderthalb Jahren.

Natürlich, der Affekt- und Folgenreichtum dieser „Affäre“ und ihrer Inszenierung fasziniert. Doch was lässt sich an grundlegender Erkenntnis gewinnen?

Merken wir auf, weil da einer die Wasserversorgung an Private mit Profit-Interessen zu geben gedenkt? Wasserprivatisierungen waren in Europa in der jüngsten Vergangenheit doch längst Realität, ganz ohne Nazis. In Berlin etwa war das nur zurückzudrehen, indem ein Volksbegehren, der Wassertisch, sich in seinem langen Kampf von Legislative und Exekutive nicht aufhalten ließ – und indem zum Rückkauf wahnwitzig hohe öffentliche Mittel zur „Entschädigung“ der Privaten mit Profit-Interesse eingesetzt wurden.

Interessiert uns die Einflussnahme Vermögender mittels ihres Vermögens auf die Politik erst, wenn von einer „RUSSISCHEN (!!!)“ Oligarchin die Rede ist? Forscherinnen wie Lea Elsässer weisen seit langem darauf hin, wie drastisch und immer stärker sich im politischen System Deutschlands der Wille der wenigen Reichen gegen den der vielen Ärmeren durchsetzt – ganz ohne russische Oligarchin.

Die Rechten – die egomanischen, die korrupten, die neoliberalen – wird auf über den Tag hinausreichende Sicht ein solches Video leider nicht stoppen. Dafür bräuchte es das, was nicht nur, aber ganz besonders in Österreich so sehr fehlt: eine glaubwürdige, der Korrumpierbarkeit unverdächtig Kraft, die einen Bruch mit den gleichbleibenden Selbstverständlichkeiten der alten wie der neuen Eliten wagt, indem sie radikal Verteilungsfragen ins Zentrum stellt.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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