Mit beiden Händen zupft Gerd Müller demonstrativ an seinem Sakko. „Wir müssen Globalisierung gerecht gestalten“, sagt der Bundesentwicklungsminister. Er spricht von fehlenden Schutzstandards in Bangladeschs Textilfabriken, von Hungerlöhnen und Sklavenarbeit auf den Kakao-Plantagen in Côte d’Ivoire, wo er im März gewesen ist.
Im Weltsaal des Auswärtigen Amtes hören 700 Delegierte aus allen möglichen Ländern zu. Es ist das zehnte Gipfeltreffen des Globalen Forums für Migration und Entwicklung. Letzteres ist „ein informeller, unverbindlicher, freiwilliger und staatlich geführter Prozess“, den UN-Mitgliedsstaaten 2007 gestartet haben und dessen Vorsitz gerade Deutschland und Marokko führen. „Fehlende Chancen und Zukunftsperschpektiven führen zu Migrationsströmen“, sagt Müller, und „Perspektiven“ spricht er wirklich mit „sch“. Das tun sie alle dort, wo er herkommt: Seit 1994 ist er direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Kempten, Oberallgäu und Lindau.
An dem studierten Wirtschaftspädagogen ist nicht nur der Zungenschlag arglos und sympathisch. Wenn er seine hohe Stirn in Falten legt und die Augenbrauen über der Brille zusammenzieht, um von Hunger und Ausbeutung zu sprechen, die es doch nachvollziehbar machten, dass sich bald noch viel mehr Menschen aus dem so schnell an Bevölkerung wachsenden Afrika nach Europa aufmachen könnten, dann spricht er so wie viele Wähler, nicht nur der CSU und nicht nur im Allgäu, über die Lage der Welt sprechen. Dann liegt Ernst in der Luft, nicht die pure Bigotterie seines Vorgängers Dirk Niebel (FDP), der aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine reine Exportförderagentur machen wollte und heute den Rüstungskonzern Rheinmetall berät.
Mit Müller hatte die CSU 2013 die ideale Besetzung für ein ideal zu ihrer Rolle in Berlin passendes Amt gefunden: Im BMZ lässt sich gut reden und ein bisschen etwas tun, ohne dabei zu sehr in der Verantwortung zu stehen für die zentralen politischen Fragen. Müller, bald 62, hat im BMZ das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ initiiert. So wie sein CSU-Kollege Christian Schmidt im Bundeslandwirtschaftsministerium das „Tierwohllabel“. Beides setzt die Eigeninitiative der Wirtschaft voraus.
Und so ist die Mobilisierung privaten Kapitals auch einer der Eckpunkte, auf denen das Projekt fußt, für das Müller während der letzten Monate der Legislaturperiode kämpft: den „Marshallplan mit Afrika“. „20 Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr“ seien auf dem Kontinent nötig, ruft er in den Saal des Auswärtigen Amtes. Es ist eine der Zahlen, die er in seinem jüngst erschienenen Buch Unfair! Für eine gerechte Globalisierung (Murmann 2017, 192 S., 19,90 €) stets aufs Neue wiederholt, eine andere ist die Verdoppelung der Bevölkerung von heute 1,2 Milliarden Menschen in Afrika bis 2050. Dazu der Satz: „Zehn Prozent der Weltbevölkerung verfügen über 90 Prozent des Vermögens.“ Dass es vor allem Müllers Partei ist, die verhindert, dass Deutschland damit beginnt, diesen Zustand zu verändern, indem es Erbschaften und Vermögen kräftig besteuert – geschenkt.
Im Mittelpunkt des Marshall-Plans für Afrika soll „die Diversifizierung der Wirtschaft, der Aufbau von Produktionsketten, die gezielte Förderung von Landwirtschaft sowie kleinen und mittleren Unternehmen, die Aufwertung des Handwerks und damit die Schaffung eines neuen Mittelstands“ stehen. Anne Jung von der Nichtregierungsorganisation Medico International provoziert das zum Träumen: „Herrlich, dabei zuzuschauen, wie das BMZ die gesamte Wirtschafts- und Finanzpolitik der eigenen Regierung zurückweisen würde, um seinen Plan mit Afrika umzusetzen“, schreibt sie.
Doch das werde nicht passieren. Der Marshallplan mit Afrika sei „eine Besänftigungsstrategie für eine Politik, deren tödliche Folgen sich nicht mehr kaschieren lassen“. Das wiederum steht so ähnlich in Müllers Buch, wenn auch nicht aus seiner Feder, sondern der des Club-of-Rome-Mitglieds Franz Josef Radermacher – im Vorwort. Dem BMZ, schreibt Radermacher, komme „die Rolle einer nachgeordneten Reparaturwerkstatt zu, die Pflaster auf Wunden klebt, die wir zuvor aufgerissen haben“.
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