„Der Milchpreis auf den Märkten ist mir egal“

Interview Mathias von Mirbach ist Bauer und Pionier der solidarischen Landwirtschaft. Er setzt auf Vertrauen statt auf den Weltmarkt
Ausgabe 48/2014
Mathias von Mirbach: „Diese Art der Landwirtschaft wird zunehmend sexy“
Mathias von Mirbach: „Diese Art der Landwirtschaft wird zunehmend sexy“

Foto: Jonas Ludwig Walter für der Freitag

Draußen liegt der Berliner Tiergarten schon in der Dämmerung. Drinnen, in der Landesvertretung Baden-Württembergs, hat der Bauer Mathias von Mirbach den ganzen Tag diskutiert – bei der „Zukunftskonferenz bäuerliche Landwirtschaft“ der Grünen-Bundestagsfraktion. Von Mirbach ist ein gefragter Gast auf Podien zur Zukunft der Ernährung. Denn auf seinem Kattendorfer Hof im Süden Schleswig-Holsteins betreibt er auf 235 Hektar eine Art von Landwirtschaft, die sich radikal absetzt von den vielen Zwängen, denen Bauern und Verbraucher auf dem Markt normalerweise unterworfen sind.

der Freitag: Herr von Mirbach, Sie sind Biobauer und betreiben einen Hof nach den Prinzipien der„solidarischen Landwirtschaft“. Was ist das?

Mathias von Mirbach: Das ist ein Modell von Landwirtschaft, welches auf Vertrauen basiert. Ich will als Bauer gute und leckere Lebensmittel für Menschen herstellen und muss darauf vertrauen können, dass ich die dafür nötigen Kosten decken kann. Die Konsumenten wollen sicher sein, dass ich für sie diese Lebesmittel herstelle und dass die dann auch wirklich gut und lecker sind.

Gute und leckere Lebensmittel bekommen Konsumenten auch im Bio-Supermarkt.

Vielleicht, aber der Bauer ist dabei nur ein Billig-Zulieferer für die Lebensmittelindustrie, abhängig vom Handel, der den Reibach macht, und völlig austauschbar. Wenn Bauern in Neuseeland die Milch günstiger produzieren, dann kommt sie eben von dort.

Warum sind Sie nicht abhängig und austauschbar?

Weil mir völlig egal sein kann, welchen willkürlich festgesetzten Preis Milch, Kartoffeln und Getreide auf dem Weltmarkt gerade haben. Ich setze mich mit meinen Kollegen auf unserem Hof zusammen und wir planen, was wir im nächsten Jahr vorhaben und wie viel das kosten wird. Das teile ich dann durch die Anzahl der Ernteanteile, die momentan auf unsere Mitglieder verteilt sind.

Moment. Ernteanteile? Mitglieder?

Wer Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft unseres Hofes wird, der erwirbt damit zum Beispiel für seine Familie einen Ernteanteil. Der kostet aktuell 178 Euro pro Monat und entspricht dem, was sich in Deutschland auf einer Fläche von 2.500 Quadratmetern an Nahrungsmitteln für eine Woche anbauen, halten und lagern lässt: 700 Gramm Fleisch und Wurst, 8,75 Liter Milch und Milchprodukte, ein Kilo Kartoffeln und saisonales Gemüse, im Winter vielleicht nur ein, im Sommer dafür bis zu vier Kilo. Wer will, bekommt auch Getreide fürs Brotbacken.

Und all das liefern Sie mir dann, wenn ich Mitglied bin und monatlich 178 Euro überweise.

Nein. Dieses Paket entspricht eben dem, was sich auf 2.500 Quadratmetern in Deutschland anbauen und lagern lässt. In etwa so groß ist hierzulande die landwirtschaftlich genutzte Fläche pro Einwohner. Manche kommen zu uns auf den Hof und holen ihre Lebensmittel ab, die meisten aber liefern wir in Depots in Hamburg, wo die Mitglieder sie sich entnehmen können. Wie viel jeder nimmt,das kontrolliert allein er selbst.

Das funktioniert?

Absolut. Es geht ja um Vertrau-en. Für viele ist das so etwas wie ein Nachhausekommen. Wir machen das jetzt seit fast zwei Jahrzehnten, sind heute bei 325 Ernteanteilen und erreichen damit bis zu 900 Menschen. Gerade einmal drei Leuten mussten wir in all der Zeit sagen: Ihr könnt gern bei uns einkaufen, aber solidarische Landwirtschaft ist wohl nichts für euch.

Sie verkaufen Ihre Produkte also auch auf herkömmlichem Weg?

Wir haben zwei Läden in Hamburg, die dienen zugleich als Depots und sind Vehikel, um das eigentliche System voranzubringen. Leute kommen zum Einkaufen und sehen dann: Da kommt ein anderer rein, nimmt sich einfach Gemüse und geht wieder, ohne an der Kasse gewesen zu sein! Dann geht der neue Kunde natürlich zur Ladentheke und will wissen, wie das sein kann. Den einen Laden haben wir seit Juni, in den ersten dreieinhalb Monaten wurden 45 neue Ernteanteile gezeichnet.

Ich gehe davon aus, dass es sich bei Ihrer Klientel um bio-affine Hipster und einkommensstarke Familien handelt.

Unsere Mitglieder bringen zu den Budgetplanungstreffen nicht ihre Gehaltsabrechnungen mit, während die anderen Teilhaber und ich dort komplett die Hosen runterlassen und vorrechnen, was wir privat aus dem Betrieb entnehmen wollen. Aber ja, wir haben mit Hamburg natürlich eine Stadt vor der Tür, in der sehr viele wirtschaftlich gut gestellte Menschen leben. Unsere Depots und Läden liegen zwar nicht in den Vierteln, in denen es einen hohen Anteil von Menschen gibt, die von Hartz IV leben müssen. Aber auch nicht in den wohlhabenden Elbvororten wie Blankenese. Die meisten der Mitglieder haben einen hohen Bildungsgrad, darunter etliche Studenten mit wenig Geld, die sich eben einen halben, vegetarischen Ernteanteil für 72,50 Euro leisten.

Solidarische Landwirtschaft meint also nicht die Solidarität der Mitglieder untereinander.

Doch, es gibt viele Betriebe, die derartige Modelle haben. Auch auf unserem Hof haben wir Bauern anfangs vorgeschlagen: Jeder trägt bei, was er kann oder will, Hauptsache, das Budget kommt zusammen. Doch die Mitglieder wollten eine klare Ansage, welchem Geldwert ein Ernteanteil entspricht. Wir bleiben da aber dran, denn eigentlich ist das der nächste Schritt, der nötig ist, damit das Ganze keine elitäre Geschichte wird. Andere Betriebe praktizieren das ja eben schon so. Aber das Modell solidarischer Landwirtschaft kann sicher nicht alle Fragen beantworten.

Was meinen Sie?

Die Einkommensschere klafft auseinander, und wenn im Hartz-IV-Regelsatz für die Ernährung eines Kindes drei Euro pro Tag vorgesehen sind, dann ist das einerseits ein strukturelles Problem und andererseits zeigt es, wie gering die Wertschätzung für Essen hierzulande ist.

Zur Person

Mathias von Mirbach, 56, ist Landwirtschaftsmeister und pachtet mit einem befreundeten Paar seit 19 Jahren den Kattendorfer Hof, 40 Kilometer nördlich von Hamburg. Sie betreiben dort Ackerbau, Viehhaltung und Gärtnerei nach dem Modell der solidarischen Landwirtschaft und gemäß den biologisch-dynamischen Prinzipien des Demeter-Verbands. Von Mirbach ist Vorsitzender des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft, zu dem deutschlandweit 65 Bauernhöfe zählen

Zumindest muss hier niemand verhungern.

Dafür ist heute im Blut fast aller Menschen Glyphosat nachzuweisen, ein in der konventionellen Landwirtschaft breit eingesetztes Gift, das Gesundheit und Umwelt schädigt. Und die allgemeine Situation ist eine Katastrophe: Wir haben riesige Probleme mit den Böden, die kaputtgehen, die Massentierhaltung verneint grundsätzlich die Würde des Tieres. Die Erzeugerpreise gehen runter und die Bodenpreise hoch, kleinbäuerliche Betriebe sind praktisch nicht mehr überlebensfähig. In anderen Teilen der Welt werden Kleinbauern mit Waffengewalt von ihrem Land vertrieben, damit dort Soja für die deutsche Geflügelmast angebaut werden kann.

Kann solidarische Landwirtschaft die Welt retten?

Das werde ich oft gefragt. Es geht jedenfalls nicht, dass wir Bauern die Welt retten. Wenn ihr, die ihr Lebensmittel verbraucht, etwas ändern wollt, dann tut das. Wir sind eine sehr junge Bewegung, erst vor dreieinhalb Jahren haben wir hier in Deutschland ein Netzwerk der solidarischen Landwirtschaft gegründet. In jedem Fall wird diese Art der Landwirtschaft zunehmend sexy, um Leipzig etwa ploppt eine Initiative nach der anderen auf. Aus Stuttgart rief mich vor einiger Zeit ein Kollege an und sagte: Die rennen mir hier die Bude ein und wollen, dass ich solidarische Landwirtschaft mit ihnen mache, aber ich weiß gar nicht, ob ich das will.

Und?

Er hat es gemacht und er ist begeistert. Aber nicht alle Probleme, die mit dem Wirtschaftsfeld Landwirtschaft verbunden sind, können und müssen wir ad hoc lösen. Das Schöne ist, dass diese Bewegung Modellcharakter hat und sich daraus ganz unterschiedliche Handlungsmodelle entwickeln können. Sehen Sie, unser Hof ist eine Landwirt-initiierte solidarische Landwirtschaft ...

Was heißt das?

Es ist bei uns Grundkonsens, dass wir Bauern als Fachleute die Richtlinien der Erzeugung vorgeben. Über das Budget und vieles andere entscheiden wir gemeinsam mit unseren Mitgliedern. Es gibt aber auch Mitglieder-initiierte Betriebe, bei denen ganz andere, weitreichendere Formen der Beteiligung praktiziert werden. In jedem Fall entsteht so wieder Nähe und Bezug zu den Grundlagen der intimsten körperlichen Tätigkeit, die es für Menschen gibt: Essen. Wir nehmen ständig Außenwelt in uns auf. Da stellt sich doch die Frage, wie diese Außenwelt beschaffen ist.

Wie wissen denn Ihre Mitglieder, wie es genau um die Außenwelt auf Ihrem Hof steht?

Jeder kann dorthin kommen, jeden zweiten Monat machen wir außerdem Info-Tage auf dem Hof. Es gibt Online-Umfragen und jede Woche einen Hofrundbrief, in dem dann zum Beispiel steht, dass der Frühfrost einen Satz Kopfsalat zerstört hat, weswegen es erst in ein paar Wochen wieder Kopfsalat geben wird. Informiert, akzeptiert, alles gut. Und wir sind nicht existenziell gefährdet durch solch einen Frühfrost, weil es uns die solidarische Landwirtschaft erlaubt, eine stabile, vielfältige Kreislaufwirtschaft zu betreiben. Wenn ich Supermärkte beliefern würde, dann müsste ich mich spezialisieren. Denn der Händler will sich nicht die Logistik leisten, seinen Lkw auf einer Tour 30 Betriebe für verschiedene Gemüsesorten ansteuern zu lassen. Der schickt einen zum Salat-, einen zum Brokkoli- und einen zum Milchviehhof.

Wie kann die solidarische Landwirtschaft all die Menschen erreichen, für die nicht zählt, woher ihr Essen kommt, sondern dass selbiges möglichst billig ist?

Viel Lernen erfolgt durch Leid. Jeder Lebensmittelskandal bringt Leute dazu, innezuhalten und sich zu fragen: Will ich mit diesem System weitermachen? Das sind Aufwachmomente. 90 Prozent schlafen danach wieder ein, zehn Prozent wollen etwas verändern. Keine Sorge, es wird in den nächsten Jahren genügend Lebensmittelskandale geben.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

Sebastian Puschner

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