Fast wirkt es, als wäre die Tour der SPD-Regionalkonferenzen für Olaf Scholz noch nicht vorbei. Montagabend, niedersächsische Landesvertretung in Berlin, Transparency International hat zur Diskussion geladen, „Cum-Ex: Der organisierte Griff in die Staatskasse“. Scholz hat die Eröffnungsrede gehalten, dann auf dem Podium debattiert, jetzt spricht das Publikum. Ein Mann an die 50 erhebt sich, die Stimme bebt, er sei lange SPD-Wähler gewesen, das ändere sich aber jetzt, wegen Olaf Scholz. Ähnliche Szenen hat der Vizekanzler vor der Urwahl zum SPD-Vorsitz des Öfteren erlebt, bei den 23 Terminen an der Basis.
Eigentlich hat sich der Unterlegene auf dem Cum-Ex-Podium nicht schlecht geschlagen. Hat den Milliarden-Raubzug von Reichen, Banken und Juristen „eine Riesenschweinerei“ genannt, auf Erfolge wie die neue Spezialeinheit gegen Steuerumgehungsmodelle oder das Geldwäschegesetz verwiesen, hat den Koalitionspartner CDU/CSU für Blockaden gescholten und das Ende des Einstimmigkeitsprinzips auf EU-Ebene gefordert, um die Veto-Macht von Staaten wie Malta zu brechen.
Doch den SPD-Wähler erregt, dass Scholz nicht kategorisch ausgeschlossen hat, die Steuerberatungskanzlei Freshfields von Berateraufträgen seines Finanzministeriums auszuschließen. Ein Freshfields-Mann sitzt seit Kurzem in Untersuchungshaft, wegen Cum-Ex. Scholz erklärt sich, als „gesetzestreuer Bundesfinanzminister“ könne er wohl nicht einfach ein Unternehmen für von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen erklären. Es hilft nichts. Aus der sozialdemokratischen Zwickmühle zwischen Regierungsverantwortung und Glaubwürdigkeit gibt es kein Entkommen. „Ich verabschiede mich von der SPD“, sagt der Mann im Publikum. „Wenn Kühnert oben ist, als Finanzminister, komme ich wieder.“
Finanzminister Kühnert
Kevin Kühnert als Finanzminister – auf die Idee hat der Mann wohl das Patent. Zunächst ist der Juso-Chef seit dem Bundesparteitag am Wochenende stellvertretender SPD-Parteivorsitzender, gewählt von 70,4 Prozent der Delegierten. Und wenn es einen anderen Sozialdemokraten als Bundesfinanzminister bräuchte, dann käme dafür wohl am ehesten Kühnerts frischer Chef im Willy-Brandt-Haus in Frage, Norbert Walter-Borjans, Schreckgespenst aller Steuerhinterzieher. Doch der wird einen Teufel tun, sein 89,2-Prozent-Ergebnis als Auftrag für den Eintritt ins Kabinett Angela Merkels zu verstehen. Er könnte dort kaum mehr ausrichten als Olaf Scholz.
Medien haben die Vorstandswahl der SPD zuletzt immer wieder zum Mitglieder-Votum über den sofortigen GroKo-Ausstieg stilisiert. Bei den Regionalkonferenzen aber bekam eine weniger weitgehende Forderung viel Applaus: Die Trennung von Regierungs- und Parteiamt, am lautesten vorgetragen von der Kandidatin Gesine Schwan. Weshalb verwundert, dass Schwan sich dann vor der Stichwahl zwischen Scholz und Klara Gewyitz auf der einen und Walter-Borjans und Saskia Esken auf der anderen Seite um eine Empfehlung herumdrückte, zuletzt gar auf Distanz zu Kühnert ging. Ja, der sei „einer der ganz Wenigen“ mit „Format“, könne gut nachdenken und argumentieren, handele aber „auch ohne allzu viel Rücksicht“, wenn es um „Macht“ gehe, sagte die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission der taz.
Haben Kühnert und die Seinen nicht eher zu viel Rücksicht genommen? Einerseits beschloss der Parteitag eine „organisationspolitische Neuaufstellung“, die vorsieht, dass „drei Stellvertreter*innen ausreichend sind“. Andererseits wurden hinter den Kulissen doch fünf Stellvertreter*innen ausgeklüngelt, um eine Wahl zwischen Kühnert und Arbeitsminister Hubertus Heil zu verhindern. Neben den beiden wurden Geywitz, die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger und die Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, gewählt. Zwar wird die SPD nun von links geführt, doch soll sich ja niemand ausgeschlossen fühlen. Kann das gelingen?
Man konnte am Rande des Parteitags eine Sozialdemokratin über den Tweet Saskia Eskens, in dem die ihre neuen Schuhe präsentiert hatte, lästern hören. Man konnte Seeheimer vom rechten Flügel vernehmen, wie sie direkt nach der Wahl des neuen Führungs-Duos überlegten, dass jetzt das Schmieden schwarz-rot-grüner Bündnisse schwieriger werde. Man konnte aber auch erkennen, dass der Jubel von Delegierten selten so laut ausfiel wie bei der Rede Kühnerts. Der Juso-Chef kann nicht nur überlegen und argumentieren. Er kann auch frei und gut reden, besser jedenfalls als Esken und Walter-Borjans. Über eine funktionierende gesetzliche Rente, eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle, auch Politiker*innen, einzahlen, für eine Ausbildungsplatzgarantie statt einer sozialen Dienstpflicht, ein Angriff auf CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Kühnert löste ein, was er selbst forderte: „Jetzt müssen wir in die Konflikte reingehen!“
Die Frage ist, inwieweit ein unverbrauchtes Vorstandsteam abseits der Regierung ausreicht, um diese Konflikte glaubhaft auszutragen – wenn es zugleich mit Unions-Vertretern dieser Regierung über die vom Parteitag vorgegebenen neuen Vorhaben verhandeln muss. Als da wären: „stetige Investitionen nicht an dogmatischen Positionen wie Schäubles schwarzer Null scheitern“ zu lassen, „einen sozial gerechteren und wirksamen CO2-Preis“ zu erreichen und „perspektivisch die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro“ voranzubringen.
Altmeiers Verhandlungsmasse
Für letzteres soll die 2020 anstehende Evaluierung des Mindestlohngesetzes dienen. Der CO2-Preis dürfte nur noch einmal zur Debatte stehen, falls ihn Bund und Länder im laufenden Vermittlungsausschussverfahren doch noch anfassen. Der CDU-Widerstand gegen mehr Investitionen könnte brechen, sollte sich die Konjunktur weiter eintrüben – oder aber der SPD-Drang wird besänftigt, indem sich die Koalitionäre endlich darauf einigen, die Kommunen von horrenden Altschulden zu entlasten; viele Städte und Gemeinden stehen so sehr in der Kreide, dass sie nicht einmal über das Personal verfügen, um Fördermittel abzurufen. Und dann hält Wirtschaftsminister Peter Altmeier auf Seiten der CDU ja noch Verhandlungsmasse für die SPD-Begehren in der Hand: seine „vier Kernelemente für eine umfassende Unternehmenssteuerreform“, unter anderem eine „moderate Absenkung des aktuellen Körperschaftsteuersatzes von 15 Prozent“.
Das sind die Mühen der großkoalitionären Ebene, die im Gegensatz zu den großen Vorhaben stehen, die die SPD beim Parteitag beschlossen hat: Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Kindergrundsicherung, Ausweitung des sozialen Arbeitsmarktes, statt Hartz IV ein „Bürgergeld“, dessen Anspruchsberechtigte darauf zählen können, dass für zwei Jahre ihr Vermögen verschont und der Umzug in eine kleinere Wohnung erspart bleibt; zudem sollen Menschen ohne Berufsabschluss „ein gesetzliches Recht auf Förderung des Nachholens“ eines solchen erhalten.
„Perspektivisch streben wir eine Regierung diesseits von CDU und CSU im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger an“, hat die SPD beschlossen. Der Weg dorthin ist weiter als bis zu den nächsten Bundestagswahlen, und die Frage, wann diese stattfinden, nicht von zentraler Bedeutung für ein nachhaltiges Überleben der SPD. Mit kurzfristiger Vernichtung machte Olaf Scholz am Dienstag noch einmal Bekanntschaft: Sein Entwurf für den Einstieg in eine Finanztransaktionssteuer wurde sogleich von allen Seiten in der Luft zerrissen.
Kommentare 15
zu olaf scholz' finanzministerium hat
die jetzige SPD-mehrheit keinen zutritt.
sie steht vor der tür.
In der Überschrift heißt es:
"Die Sozialdemokraten nehmen sich viel für die Zukunft vor ...."
Der Verlust von etwa 10 Millionen Wählerstimmen seit 1998 zeichnet den - künftig - anzulegenden Maßstab einer erfolgreichen sozial-demokratischen Politik aus.
Die aktuellen Forderungen des Paritätischen sind u.a. mehr oder minder deckungsgleich mit vielen Ansätzen der SPD.
Armutsbericht - https://www.der-paritaetische.de/presse/paritaetischer-armutsbericht-2019-zeigt-ein-viergeteiltes-deutschland/
Daraus für das künftige Jahr eine immerwährende Kampagne zu führen, gepaart mit strategischer und offen geführter Partnerschaft Richtung GRÜNE und LINKE, was sollte es anderes geben?
Alle Veränderungen kommen von "unten", von den Bürgern. In dieser Woche wies die 16 jährige Greta Thunberg in Madrid in ihrer Rede auf diese Binse hin. FfF ist der Beweis.
Also: Was hindert die Mitte-links-Parteien daran über das ganze Jahr 2020 eine Sandwich-Strategie (von unten und oben) zu fahren, die beides verbindet: den Klima- und den Sozialschutz? Und Ängste der Menschen abbaut? Sicherheit und Zuversicht durch gemeinsames Tätigwerden schafft?
Es wird bestenfalls Jahre dauern, bis aus der SPD wieder eine halbwegs vertrauenswürdige Partei geworden ist, in die Arbeitnehmer und Arbeitslose guten Gewissens Hoffnungen setzen können. Immerhin ist die Partei 20 Jahre weitgehend geschlossen den Schröderianern gefolgt, die sie in immer neue ungeahnte Tiefen geführt haben. Das hat wahnsinnig viel Vertrauen zerstört, kluge Menschen von der SPD entfremdet und zur Entstehung eines zutiefst antisozialen Zeitgeists beigetragen, gegen den eine sozialere SPD jetzt erst mal bestehen muss. Insofern sollte man in nächster Zeit nicht zu viel erwarten.
Dennoch denke ich, dass die aktuelle Entwicklung der SPD Unterstützung verdient. Die Entwicklung der Linkspartei in den letzten Jahren, die sich auf eine andere, aber durchaus auch radikale Art von ihrer Klientel entfremdet und somit ihre Funktion im Parteiensystem verloren hat, hat mir gezeigt, dass an der SPD letztlich kein Weg vorbeiführt. Das Potential für eine brauchbare linke Alternative scheint einfach nicht zu bestehen, insofern sollte man zumindest auf eine funktionierende sozialdemokratische Partei hinarbeiten, die ihrer Rolle in der Gesellschaft gerecht wird. Man kann nur hoffen, dass wenigstens ihr Überlebensinstinkt, der ja endlich zu erwachen scheint, die Partei davon abhält, den Linksschwenk vorzeitig aufzugeben.
Gerade hab ich mit einer Bekannten durchdiskutiert, welche Gallionsfiguren wir eigentlich für wählbar halten: Wagenknecht, Walter-Borjans, Lafontaine, Eskens, Kühnert.*
Scholz: Pfui Deibel. Kipping: Niemals.*
Kann es sein, dass die klassischen "Parteien" zur Zeit obsolet sind?
*Dabei wurden sie anhand ihrer bekannten Aussagen bewertet.
Es ist eher umgekehrt: die Zukunft nimmt sich die Sozialdemokraiten vor.
Der Politikwissenschaftler und Mitglied der SPD-Grundwerte-Kommission Henning Meyer hat in der ZEIT einen Gastbeitrag geschrieben.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/spd-parteivorsitzende-mitglieder-zukunft-erneuerung/komplettansicht
Ich will - über den vorstehenden "Zwist" hinaus - anregen, dessen Aussagen mit in diesen Artikel einzuhegen und so die Grundlage zu erweitern:
Da es außer der SPD keine andere Partei "machen" kann, die Roten aber eine Erweckungs-Tour nach innen und außen benötigen, fragt sich: Wie können heute, flächendeckend wie dezentral, Partei und Bürger in einer großer Millionen-Bewegung wieder zusammengebracht werden, um gemeinsam eine Politik für die Mehrheit (for the many not the few) zu gestalten, zu mach(t)-en?
" ... lehre ihnen die Sehnsucht nach dem Meer."
---- > "Orientierungsrahmen 2030"
P.S. Die Sardinen-Bewegung zeigt doch, wie sich, first step, etwas Neues initiieren lässt.
Warum vereint man sich nicht hinter DER ROSE und füllt sie mit neuem Inhalt, über das Jahr, die Wahlperiode, die GroKo ... hinaus?
Der Politikwissenschaftler und Mitglied der SPD-Grundwerte-Kommission Henning Meyer hat in der ZEIT einen Gastbeitrag geschrieben.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/spd-parteivorsitzende-mitglieder-zukunft-erneuerung/komplettansicht
Ich will - über den vorstehenden "Zwist" hinaus - anregen, dessen Aussagen mit in diesen Artikel einzuhegen und so die Grundlage zu erweitern:
Da es außer der SPD keine andere Partei "machen" kann, die Roten aber eine Erweckungs-Tour nach innen und außen benötigen, fragt sich: Wie können heute, flächendeckend wie dezentral, Partei und Bürger in einer großer Millionen-Bewegung wieder zusammengebracht werden, um gemeinsam eine Politik für die Mehrheit (for the many not the few) zu gestalten, zu mach(t)-en?
" ... lehre ihnen die Sehnsucht nach dem Meer."
---- > "Orientierungsrahmen 2030"
P.S. Die Sardinen-Bewegung zeigt doch, wie sich, first step, etwas Neues initiieren lässt.
Warum vereint man sich nicht hinter DER ROSE und füllt sie mit neuem Inhalt, über das Jahr, die Wahlperiode, die GroKo ... hinaus?
Sehr geehrter Herr Schramm,
Ihre bisherigen, oft kruden, Stellungnahmen in diesem Forum zu verschiedensten Themen konnte man mit ein bischen gutem Willen und Toleranz noch als die eines verbitterten durch Radikalenerlass gebeutelten DKP Betonkopfs durchgehen lassen, an dem die Erkenntnis, dass die Verhältnisse in der DDR alles andere als menschenwürdig und genau so wenig sozialistisch waren, vorbei gegangen ist. Dass Ihre Verbitterung nun zu derartig rassistischen Ausfällen führt, übersteigt allerdings jedes mögliche Maß an Toleranz und nährt die Vermutung, dass Ihre politischen Kumpane nunmehr doch eher in den Reihen von NPD, AfD und Pegida zu suchen sind. Vielleicht sollten Sie Ihre Ergüsse zukünftig lieber in den Foren dieser Menschenverächter absondern oder noch besser einfach die Fresse halten.
Nun is mal genug. Bitte zurück zum Thema. Danke.
P.S.
Was verspricht sich die Redaktion, diesen Disput laufen zu lassen?
"Was verspricht sich die Redaktion, diesen Disput laufen zu lassen?"
Was verspricht sich die Fragestellerin davon, einem Rassisten hier das Wort zu überlassen?
Ergänzung: einem islamophoben Rassisten
>>"... Noch nie wurde man wegen Kritik an Mitgliedern dieser Religionen als Rassist und Nazi beschimpft. Funktioniert nur beim Islam.<<
Ja. Man kann die katholische Kirche als "Kinderfickersekte" bezeichnen, ohne von grünen P. C.-Wächtern angegiftet zu werden.
Ergänzung: Was "Migranten" allgemein angeht, so kenne ich auch die Information, dass Immigranten zwar überproportional häufig einer Straftat verdächtigt werden, das aber in der Kriminalstatistik der Anteil der verurteilten Straftäter nicht signifikant vom Bevölkerungsdurchschnitt abweicht.
>>...das aber in der Kriminalstatistik...
=
dass aber in der Kriminalstatistik
>>Hier muss auch in der BRD und EU eine harte Auseinandersetzung mit den falschen Menschenfreunden und -schändern noch geführt werden<<
Das sehe ich auch so. Egal welche Religion als Vorwand dient.
>>Natürlich gibt es dafür sozial- und gesellschaftspolitische Ursachen. Darüber müssen wir uns aber nicht noch gegenseitig aufklären.<<
Müssen wir nicht, stimmt. Ich sage ja nur, dass ich unterschiedliche Aussagen kenne, zum Beispiel auch, dass männliche Einwanderer ohne "Bleibeperspektive" überdurchschnittlich häufig Gewalttaten begehen, solche mit "Bleibeperspektive" aber nicht.
Letztlich muss es natürlich darum gehen, Fluchtursachen wie Kriege zu vermeiden. Diesem Thema weichen ja die "alle sollen herkommen" - Propagandisten stets aus. Da wäre auch mal nach dem Motiv zu fragen.