Die GroKo überleben

SPD Die Sozialdemokraten nehmen sich viel für die Zukunft vor – und sitzen in der Gegenwart fest
Ausgabe 50/2019

Fast wirkt es, als wäre die Tour der SPD-Regionalkonferenzen für Olaf Scholz noch nicht vorbei. Montagabend, niedersächsische Landesvertretung in Berlin, Transparency International hat zur Diskussion geladen, „Cum-Ex: Der organisierte Griff in die Staatskasse“. Scholz hat die Eröffnungsrede gehalten, dann auf dem Podium debattiert, jetzt spricht das Publikum. Ein Mann an die 50 erhebt sich, die Stimme bebt, er sei lange SPD-Wähler gewesen, das ändere sich aber jetzt, wegen Olaf Scholz. Ähnliche Szenen hat der Vizekanzler vor der Urwahl zum SPD-Vorsitz des Öfteren erlebt, bei den 23 Terminen an der Basis.

Eigentlich hat sich der Unterlegene auf dem Cum-Ex-Podium nicht schlecht geschlagen. Hat den Milliarden-Raubzug von Reichen, Banken und Juristen „eine Riesenschweinerei“ genannt, auf Erfolge wie die neue Spezialeinheit gegen Steuerumgehungsmodelle oder das Geldwäschegesetz verwiesen, hat den Koalitionspartner CDU/CSU für Blockaden gescholten und das Ende des Einstimmigkeitsprinzips auf EU-Ebene gefordert, um die Veto-Macht von Staaten wie Malta zu brechen.

Doch den SPD-Wähler erregt, dass Scholz nicht kategorisch ausgeschlossen hat, die Steuerberatungskanzlei Freshfields von Berateraufträgen seines Finanzministeriums auszuschließen. Ein Freshfields-Mann sitzt seit Kurzem in Untersuchungshaft, wegen Cum-Ex. Scholz erklärt sich, als „gesetzestreuer Bundesfinanzminister“ könne er wohl nicht einfach ein Unternehmen für von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen erklären. Es hilft nichts. Aus der sozialdemokratischen Zwickmühle zwischen Regierungsverantwortung und Glaubwürdigkeit gibt es kein Entkommen. „Ich verabschiede mich von der SPD“, sagt der Mann im Publikum. „Wenn Kühnert oben ist, als Finanzminister, komme ich wieder.“

Finanzminister Kühnert

Kevin Kühnert als Finanzminister – auf die Idee hat der Mann wohl das Patent. Zunächst ist der Juso-Chef seit dem Bundesparteitag am Wochenende stellvertretender SPD-Parteivorsitzender, gewählt von 70,4 Prozent der Delegierten. Und wenn es einen anderen Sozialdemokraten als Bundesfinanzminister bräuchte, dann käme dafür wohl am ehesten Kühnerts frischer Chef im Willy-Brandt-Haus in Frage, Norbert Walter-Borjans, Schreckgespenst aller Steuerhinterzieher. Doch der wird einen Teufel tun, sein 89,2-Prozent-Ergebnis als Auftrag für den Eintritt ins Kabinett Angela Merkels zu verstehen. Er könnte dort kaum mehr ausrichten als Olaf Scholz.

Medien haben die Vorstandswahl der SPD zuletzt immer wieder zum Mitglieder-Votum über den sofortigen GroKo-Ausstieg stilisiert. Bei den Regionalkonferenzen aber bekam eine weniger weitgehende Forderung viel Applaus: Die Trennung von Regierungs- und Parteiamt, am lautesten vorgetragen von der Kandidatin Gesine Schwan. Weshalb verwundert, dass Schwan sich dann vor der Stichwahl zwischen Scholz und Klara Gewyitz auf der einen und Walter-Borjans und Saskia Esken auf der anderen Seite um eine Empfehlung herumdrückte, zuletzt gar auf Distanz zu Kühnert ging. Ja, der sei „einer der ganz Wenigen“ mit „Format“, könne gut nachdenken und argumentieren, handele aber „auch ohne allzu viel Rücksicht“, wenn es um „Macht“ gehe, sagte die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission der taz.

Haben Kühnert und die Seinen nicht eher zu viel Rücksicht genommen? Einerseits beschloss der Parteitag eine „organisationspolitische Neuaufstellung“, die vorsieht, dass „drei Stellvertreter*innen ausreichend sind“. Andererseits wurden hinter den Kulissen doch fünf Stellvertreter*innen ausgeklüngelt, um eine Wahl zwischen Kühnert und Arbeitsminister Hubertus Heil zu verhindern. Neben den beiden wurden Geywitz, die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger und die Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, gewählt. Zwar wird die SPD nun von links geführt, doch soll sich ja niemand ausgeschlossen fühlen. Kann das gelingen?

Man konnte am Rande des Parteitags eine Sozialdemokratin über den Tweet Saskia Eskens, in dem die ihre neuen Schuhe präsentiert hatte, lästern hören. Man konnte Seeheimer vom rechten Flügel vernehmen, wie sie direkt nach der Wahl des neuen Führungs-Duos überlegten, dass jetzt das Schmieden schwarz-rot-grüner Bündnisse schwieriger werde. Man konnte aber auch erkennen, dass der Jubel von Delegierten selten so laut ausfiel wie bei der Rede Kühnerts. Der Juso-Chef kann nicht nur überlegen und argumentieren. Er kann auch frei und gut reden, besser jedenfalls als Esken und Walter-Borjans. Über eine funktionierende gesetzliche Rente, eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle, auch Politiker*innen, einzahlen, für eine Ausbildungsplatzgarantie statt einer sozialen Dienstpflicht, ein Angriff auf CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Kühnert löste ein, was er selbst forderte: „Jetzt müssen wir in die Konflikte reingehen!“

Die Frage ist, inwieweit ein unverbrauchtes Vorstandsteam abseits der Regierung ausreicht, um diese Konflikte glaubhaft auszutragen – wenn es zugleich mit Unions-Vertretern dieser Regierung über die vom Parteitag vorgegebenen neuen Vorhaben verhandeln muss. Als da wären: „stetige Investitionen nicht an dogmatischen Positionen wie Schäubles schwarzer Null scheitern“ zu lassen, „einen sozial gerechteren und wirksamen CO2-Preis“ zu erreichen und „perspektivisch die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro“ voranzubringen.

Altmeiers Verhandlungsmasse

Für letzteres soll die 2020 anstehende Evaluierung des Mindestlohngesetzes dienen. Der CO2-Preis dürfte nur noch einmal zur Debatte stehen, falls ihn Bund und Länder im laufenden Vermittlungsausschussverfahren doch noch anfassen. Der CDU-Widerstand gegen mehr Investitionen könnte brechen, sollte sich die Konjunktur weiter eintrüben – oder aber der SPD-Drang wird besänftigt, indem sich die Koalitionäre endlich darauf einigen, die Kommunen von horrenden Altschulden zu entlasten; viele Städte und Gemeinden stehen so sehr in der Kreide, dass sie nicht einmal über das Personal verfügen, um Fördermittel abzurufen. Und dann hält Wirtschaftsminister Peter Altmeier auf Seiten der CDU ja noch Verhandlungsmasse für die SPD-Begehren in der Hand: seine „vier Kernelemente für eine umfassende Unternehmenssteuerreform“, unter anderem eine „moderate Absenkung des aktuellen Körperschaftsteuersatzes von 15 Prozent“.

Das sind die Mühen der großkoalitionären Ebene, die im Gegensatz zu den großen Vorhaben stehen, die die SPD beim Parteitag beschlossen hat: Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Kindergrundsicherung, Ausweitung des sozialen Arbeitsmarktes, statt Hartz IV ein „Bürgergeld“, dessen Anspruchsberechtigte darauf zählen können, dass für zwei Jahre ihr Vermögen verschont und der Umzug in eine kleinere Wohnung erspart bleibt; zudem sollen Menschen ohne Berufsabschluss „ein gesetzliches Recht auf Förderung des Nachholens“ eines solchen erhalten.

„Perspektivisch streben wir eine Regierung diesseits von CDU und CSU im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger an“, hat die SPD beschlossen. Der Weg dorthin ist weiter als bis zu den nächsten Bundestagswahlen, und die Frage, wann diese stattfinden, nicht von zentraler Bedeutung für ein nachhaltiges Überleben der SPD. Mit kurzfristiger Vernichtung machte Olaf Scholz am Dienstag noch einmal Bekanntschaft: Sein Entwurf für den Einstieg in eine Finanztransaktionssteuer wurde sogleich von allen Seiten in der Luft zerrissen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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