Und dann, nach all der Aufregung, doch erstmal nur: Langeweile. Wer vom Auftakt des SPD-Bundesparteitages an diesem Freitag einen großen Knall erwartet hatte, wurde enttäuscht. Ein unverbindlicher Leitantrag, der ein baldiges Ende der Großen Koalition sehr unwahrscheinlich macht, zwei von den Delegierten mit guten Ergebnissen bestätigte neue Vorsitzende, kein Abstimmungsduell um Stellvertreterposten: Die SPD hat sich in Berlin für die große Beruhigung entschieden.
Das mag alle erschüttern, die nach dem überraschenden Urwahl-Sieg Saskia Eskens und Norbert Walter-Borjans gedacht hatten, jetzt würden sich die Sozialdemokraten Knall auf Fall von allem Übel des jahrzehntelangen Lavierens befreien, Koalitionsbruch und Linksruck wagen, eine völlig neue Ära einleiten – trotz oder gerade wegen des massenmedialen Shitstorms, der sich seit dem vergangenen Wochenende erhoben hatte, um der Parteibasis den Vogel zu zeigen für ihr Votum gegen Olaf Scholz und Klara Geywitz.
Aber mal ehrlich: Eine Partei, an der seit so vielen Jahren die einen im Namen der „staatspolitischen Verantwortung“ und die anderen mit dem Vorwurf des Verrats zerren, die sich trotz aller Mitglieder- und Wählerverluste so lange immer wieder für jene vermeintliche Verantwortung entschieden und das entsprechende Führungspersonal gewählt sowie ins Kabinett geschickt hat – solch eine Partei soll nun Knall auf Fall eine 180-Grad-Drehung hinlegen? Eine schöne Vorstellung, aber eine, die an den Realitäten innerhalb wie außerhalb der Partei vorbeigeht.
Keine Revolutionsstimmung
Im Saal und auf den Fluren dieses Parteitages war kein Hauch von Revolutionsstimmung zu vernehmen, wie ja auch schon die zur Urwahl führenden Regionalkonferenzen keinesfalls eine geschlossene Anti-GroKo-Stimmung zeigten; und auch das finale Basis-Ergebnis – 53 Prozent für Walter-Borjans und Esken gegenüber 45 Prozent für Scholz und Geywitz – war alles andere als ein überdeutlicher Fingerzeig. Derweil sind auf den Straßen und Plätzen des Landes bisher keine für das Ende des schwarz-roten Regierungsbündnisses protestierenden Massen zu entdecken, stattdessen ergeben Umfragen ein höchst disparates Bild. Die grundlegenden Konflikte sind längst vor allem blau und grün koloriert; der Selbstüberzeugung und Vehemenz, mit der da über Klima, Migration und anderes gestritten wird, steht im Lager der einstigen Volksparteien in letzter Konsequenz meist doch nur unsicheres Abwarten gegenüber, wie es beim SPD-Bundesparteitag besonders greifbar wird: fest klatschen, aber nicht zu fest; viel erwartungsvolles Schweigen, viel Unsicherheit, was da jetzt kommen mag – in der SPD, überhaupt im Parteiensystem.
Und weil mindestens bis zu den nächsten Bundestagswahlen so unklar ist, was nach der Kanzlerschaft Angela Merkels kommt, versuchen die einstigen Volksparteien es mit stärker als je zuvor die Basis einbeziehenden Prozessen erkennbarer werden zu lassen. Das hat bei der CDU die Wahl Annegret Kramp-Karrenbauers und damit die Fortsetzung des bekannten Pfades ergeben, und doch am Ende keine Klarheit gebracht. Das hat bei der SPD zwei weitgehend Unbekannte an die Spitze gebracht, hinter die sich nun auch 89,2 (Walter-Borjans) und 75,9 (Esken) Prozent der Delegierten stellten.
Schon bei der allerkleinsten Frage, in der dieser SPD-Parteitag einen Wink, eine Richtungsentscheidung hätte geben können, wurde diese sogleich hinter den Kulissen wegorganisiert: Die in all den Erneuerungs- und Strukturreform-Prozessen gewonnene unspektakuläre Erkenntnis, dass es keine fünf, sondern nur drei Vorstands-Stellvertreterposten braucht, wurde gleich wieder kassiert, weil sich hierfür Juso-Chef Kevin Kühnert und Kabinettsmitglied Hubertus Heil in einer Abstimmung gegenüber stehen hätten müssen. Jetzt bleibt es bei fünf Stellvertretern, Kühnert (70,4 Prozent) und Heil (70,0 Prozent) wurden mit fast deckungsgleichem Ergebnis gewählt, dazu kommen nicht nur Geywitz (76,8) und die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (74,8), sondern auch die 44-jährige, seit März in Schleswig-Holstein als Landesvorsitzende amtierende Serpil Midyatli (79,8 Prozent).
Malu Dreyer und Gesine Schwan
Vielleicht versinnbildlichen den Zustand der SPD am besten Malu Dreyer und Gesine Schwan: Die Wehmut über Dreyers Scheiden als kommissarische Vorsitzende ist beim Parteitag allenthalben spürbar; es ist Wehmut in Bezug auf eine Politikerin, die alle nett und sympathisch finden, die in Rheinland-Pfalz auch Erfolg hat, die aber auch keine Antwort auf die großen Fragen nach der Zukunft der Sozialdemokratie darstellt. In gewisser Weise beschreibt auch ein Interview der taz mit Gesine Schwan recht ansehnlich die Gegenwart der Genossen: Schwan kritisiert darin zunächst Juso-Chef Kühnert dafür, dass er „ohne allzu viel Rücksicht vorgeht, wenn es sich um Macht handelt“, so Schwan. „Denn es sät Misstrauen, wenn der Eindruck entsteht, dass es nicht in erster Linie um Argumente geht, sondern um Machtstrategien.“ Ein paar Zeilen später aber, als es um die GroKo geht, argumentiert Schwan selbst genau so – machtstrategisch: „Ich glaube nicht, dass das Ende der Großen Koalition bevorsteht. Denn das wäre einfach analytisch derzeit sehr unsinnig. Aus meiner Sicht ist das keine Prinzipien-, sondern eine Abwägungsfrage.“
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die 15-Prozent-Partei SPD hemmungslos überschätzt, wer erwartet, dass von ihr derzeit ein großer Ruck ausgehen könnte. Sie hat jetzt zwei unverbrauchte Vorsitzende, die durchaus über fachpolitisch – Steuern, Arbeit, Digitalisierung – interessante Positionen und Qualitäten verfügen, die perspektivisch eigentlich aus der GroKo rauswollen und die vor allem anschlussfähig sind nach links, offen für entsprechende neue Annäherungsversuche und Kontaktintensivierungen. Aber das ist keine Angelegenheit für eine Woche, einen Monat, wohl nicht einmal für ein Jahr. Es ist eine noch sehr zarte Perspektive für eine wahrscheinlich doch noch recht weit entfernt liegende Zeit.
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