Interview Wird die Förderung Langzeitarbeitsloser und Geflüchteter nicht massiv ausgeweitet, droht gesellschaftliche Spaltung, sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach
„Mit den Jobs für 80 Cent tun wir uns keinen Gefallen“
Foto: Müller-Stauffenberg/Imago
der Freitag: Frau Buntenbach, nehmen Flüchtlinge Deutschen Arbeitsplätze weg?
Annelie Buntenbach: Nein. Aber natürlich müssen wir zwei Fragen beantworten in diesen Tagen: Wie geben wir Langzeitarbeitslosen oder auch jungen Menschen ohne Abschluss eine gute Perspektive am Arbeitsmarkt? Und wie unterstützen wir Flüchtlinge auf dem Weg in gute Arbeit?
Unsere Redaktion erhält manch einen Leserbrief, dessen Tenor lautet: Die Zuwanderung von Flüchtlingen ist politisch orchestriert, um hierzulande die Löhne zu drücken.
Es gibt immer wieder die Sorge, dass Zuwanderung zu Dumping führt. Und es gibt ja auch solche Erfahrungen – etwa, dass Leute, die aus Bulgarien und Rumänien kommen, dann in extrem prekäre Beschäftigungsverh
h solche Erfahrungen – etwa, dass Leute, die aus Bulgarien und Rumänien kommen, dann in extrem prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie in der Fleischindustrie abgedrängt werden. Sie werden erpresst, be-logen und in eine Lage versetzt, in der sie ihre Rechte nicht wahr-nehmen können. Umso wichtiger ist es, Zuwanderer, egal woher, zu beraten und über ihre Rechte zu informieren. Die Regeln am Arbeitsmarkt müssen für alle gelten und kontrolliert werden, ohne irgendeine Ausnahme vom Mindestlohn und ohne seltsame Konstruktionen wie die ewiger Praktika. Nur dann, und wenn die Arbeitgeber ihren Anteil leisten, können wir diese gesellschaftliche Anstrengung meistern.Viele Arbeitgeber aus kleinen und mittleren Betrieben leisten doch ihren Anteil, indem sie etwa junge Geflüchtete in die duale Ausbildung integrieren.Klar, es ist gut, wenn es gelingt, Ausbildungsverträge abzuschließen, die Ausbildung zu unter-stützen, durchzuhalten und mit einem guten Ergebnis abzuschließen. Aber das darf sich nicht auf eine Bestenauslese beschränken, bei der auf der Strecke bleibt, wer mehr Schwierigkeiten mit der Sprache hat, älter oder sperriger ist. Was die 30 DAX-Konzerne bis jetzt getan haben, ist viel zu wenig.Placeholder infobox-1Bis Juni sollen DAX-Firmen nur 54 Flüchtlinge eingestellt haben, 50 davon die Post.Damit werden die Konzerne in keiner Weise der Herausforderung gerecht, vor der wir stehen.Was also tun?Eine Doppelstrategie fahren: Für die Flüchtlinge tarifvertraglich abgesicherte Bezahlung, kombiniert mit Sprachförderung und Qualifizierung, am besten unterstützt von Paten. Wir als Gewerkschaften unterstützen etwa Betriebs- und Personalräte, damit sie solche Ansprechpartner sein können. Und andererseits müssen wir viel mehr tun für die Langzeitarbeitslosen. Die Konjunktur läuft gut und dennoch haben wir da einen festen Sockel von 1,1 Millionen Menschen.Es geschieht also zu wenig, um diesen 1,1 Millionen zu helfen?Man muss unterscheiden, es gibt da zwei Bereiche: Einmal den, in dem die Bundesagentur für Arbeit etwas machen kann, im Bereich des dritten Sozialgesetzbuches. Da sind wir als Gewerkschafter wie die Arbeitgeber im Verwaltungsrat vertreten und können über den Haushalt der Agentur Einfluss nehmen, damit Mittel für nötige Programme genutzt werden.War denn bei Ihren Sitzungen des Verwaltungsrates im letzten Jahr diese vermeintliche Konkurrenz zwischen Langzeitarbeitslosen und Flüchtlingen ein Thema?Ja, sie war es, in dem Sinne, dass wir alles dafür tun müssen, um diese Konkurrenz zu vermeiden. Wir haben ja auch gerade das Programm „Zweite Chance“ für junge Erwachsene ohne Berufsabschluss neu und erweitert aufgelegt, es gibt etliche Programme für Langzeitarbeitslose. Aber das ist ja nur ein kleiner Bereich. Für den größeren, den Hartz-IV-Bereich, das zweite Sozialgesetzbuch, muss der Bund viel mehr tun.Was heißt das konkret?Im Hartz-IV-Bereich sind in den vergangenen Jahren die Mittel für Fördermaßnahmen um etwa 40 Prozent gekürzt worden. Das ist ein politischer Fehler, der uns langfristig wirklich auf die Füße fallen wird. Die Programme, die das Bundesarbeitsministerium macht, sind von Umfang und finanziellem Volumen her viel zu klein, ein Tropfen auf den heißen Stein. Da muss Geld in die Hand genommen werden, für Langzeitarbeitslose wie für Flüchtlinge.Geld nimmt die Bundesregierung ja in die Hand: eine Milliarde Euro in den nächsten drei Jahren, für 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge, bezahlt mit 80 Cent pro Stunde.Mit so etwas tun wir uns keinen Gefallen. Das ist ja kein Arbeitsmarktprogramm. Natürlich ist es falsch, Flüchtlinge künstlich in der Beschäftigungslosigkeit zu halten und in Unterkünften sitzen zu lassen. Aber solche Arbeitsgelegenheiten brauchen wir nicht, noch dazu mit 80 Cent schlechter bezahlt, als hätten Geflüchtete weniger Aufwand als andere in solchen Tätigkeiten. Außerdem sind das ja nicht nur gemeinnützige Tätigkeiten. Auch private Unternehmen, etwa aus dem Sicherheitsbereich, setzen dann Flüchtlinge zu solchen Konditionen in Unterkünften ein. So entsteht schädliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.Ist es richtig, dass in Bezug auf Flüchtlinge nun in der Regel die Vorrangprüfung entfällt und nicht mehr gefragt werden muss, ob für einen Job auch Inländer in Frage kommen?Wir als DGB hatten für eine andere Form der Veränderung votiert. Eine, bei der noch geprüft wird, aber eben nur noch im konkreten Fall, wenn es tatsächlich andere Bewerbungen gibt. Immerhin konn-ten wir durchsetzen, dass die Bedingungen bei einem Job weiter ge-nau unter die Lupe genommen werden: Ist das sauber, ist das tarifvertraglich bezahlt oder Dumping?Die Aussetzung der Prüfung soll Flüchtlingen helfen, leichter in Arbeit zu kommen.Aber nach unserer Erfahrung ist nicht die Vorrangprüfung das große Hindernis gewesen, auch wenn das in Diskussionen immer obenan stand, sondern vielmehr die Beschäftigungserlaubnis. Und die erteilen die Ausländerbehörden, wo es teilweise noch einen starken Abschottungsreflex gibt. Der führt dann keineswegs da-zu, dass die Leute schnell an den Arbeitsmarkt können.In einzelnen Agenturbezirken gilt die Vorrangprüfung weiter – und außerdem in ganz Mecklenburg-Vorpommern. Warum?Das kann ich nicht beurteilen, das entscheiden die Länder. Im Gesetz steht, dass es dabei um die Lage am Arbeitsmarkt geht, und wenn die Arbeitsmarktzahlen Hin-weise auf mögliche Probleme geben, dann haben die Bundesländer die Möglichkeit, die Vorrang-prüfung in der alten Form weiter durchzuführen.Kann das Ganze nicht damit zu tun haben, dass in Mecklenburg-Vorpommern Wahlen anstehen und man mit der Abschaffung der Vorrangprüfung kein Wasser auf die Mühlen der AfD geben will?Wie gesagt, ich kann das in diesem konkreten Fall nicht beurteilen. Aber entscheidend ist nicht die Frage der Vorrangprüfung, sondern die nach Integration in gute Arbeit und Ausbildung allgemein. Wir müssen Angebote machen, die sowohl Geflüchteten als auch Langzeitarbeitslosen bessere Chancen geben, in den Arbeitsmarkt zu kommen. Angebote, die eine wirkliche Integration in Betriebe ermöglichen, die nicht Dumping bedeuten, sondern eben gute Arbeit und Ausbildung. Ich muss das unbedingt noch einmal betonen: Da hängt sehr viel davon ab, ob die Arbeitgeber – und dabei vor all-em die großen – bereit sind, ihren Anteil zu leisten.Was passiert sonst?Sonst bekommen wir hierzulande eine gesellschaftliche Spaltung, die dann nur sehr, sehr schwer wieder einzufangen sein wird und die wir uns alle nicht wünschen können.Placeholder link-1
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