Der Chef der Jusos mag Recht haben. "Viele Menschen, die eine große Koalition nicht wollen, haben ein sehr feines Gespür dafür, wenn" versucht werde, ihnen "ein alternatives Modell zu verkaufen, was unterm Strich dann doch nichts anderes wäre als eine große Koalition", kommentierte Kevin Kühnert den Vorschlag einer Kooperationskoalition. Letzterer kommt aus den Reihen der Parlamentarischen Linken der SPD im Bundestag und meint eine nur in Grundzügen fixierte Zusammenarbeit zwischen Union und Sozialdemokraten: Beide halten zu Beginn nur einige Leitplanken ihrer Zusammenarbeit fest – die Bildung eines schwarz-roten Kabinetts, die Verabschiedung des Haushalts und gemeinsames Handeln in der Europapolitik etwa –, überlassen aber ansonsten viele Politikfelder der Debatte, der legislativen Arbeit und wechselnden Mehrheiten im Parlament.
Sternstunden den Parlaments
„Bitte, ein bisschen mehr Fantasie in diesem Land!“, untermalte der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch schon Ende November sein Werben um Wege zwischen dem Schwarz-Weiß von Großer Koalition und Neuwahlen. Wie schlecht es um die Fantasie in diesem Land bestellt ist, durfte Miersch bald vernehmen, ob in der staatstragend-großkoalitionären Kommentierung Theo Geers' im Deutschlandfunk oder in der rigorosen Ablehung des Vorschlags aus Reihen der Union.
Kevin Kühnerts Zweifel hingegen, ob eine "KoKo" statt einer "GroKo" die Kritikerinnen letzterer überzeugt, erscheinen zunächst nachvollziehbar: Die einzig wirklich im Grundsatz alternative Regierungskonstellation – Rot-Rot-Grün – ist im Bundestag nunmehr ohne Mehrheit, woher also sollen inhaltliche Alternativen zu einer schwarz geprägten Hegemonie kommen?
Die Frage relativiert sich etwas, wenn man nicht gleich einen grundsätzlichen Politikwechsel avisiert, sondern sich jüngster und womöglich bevorstehender "Sternstunden" des Parlaments erinnert. Der "Ehe für alle" haben nicht nur SPD-, Linken- und Grünen-, sondern auch Unions-Abgeordnete den Weg bereitet. Und für die Abschaffung des Paragrafen 219a steht eine rot-gelb-rot-grüne Mehrheit für Anfang des kommenden Jahres immerhin in Aussicht. Etappenerfolge gesellschaftlicher Modernisierung sind mit wechselnden Mehrheiten durchaus möglich, sie sind gegen den Griff nach der Diskurshoheit von rechts auch dringend nötig.
So ungleich wie vor 100 Jahren
Für einen grundsätzlichen Politikwechsel liegt derzeit ohnehin kein Plan auf dem Tisch, so sehr die gesellschaftlichen Entwicklungen – "Deutschland ist so ungleich wie vor 100 Jahren" – auch danach schreien. Wie weit die Sozialdemokraten im Angesicht des gegenwärtigen und zukünftigen Kapitalismus von einer sozialen Transformationsstrategie mit entsprechendem makroökonomischem Fundament entfernt sind, haben Tom Strohschneider und Michael Wendl jüngst vor Augen geführt. "Wenn die SPD sich nicht auch wieder darauf besinnt, eine konsequente Programmpartei zu sein, ist von ihr nichts mehr zu erwarten", schreibt Michael Jäger.
Kann und soll noch irgendein Weg dorthin führen, so braucht dieser natürlich weitaus mehr Zeit als bis zu diesem Freitag, wenn der SPD-Parteivorstand über die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Union entscheidet. Und mehr als bis Mitte Januar, wenn ein außerordentlicher Parteitag die Weichen in dieser Frage grundsätzlich stellen wird. Das Miersch-Modell einer "Kooperationskoalition" ist in diesem Sinne ein dreifacher Ansatz: Er erkennt die offenkundige Nicht-Umsetzbarkeit einer Minderheitsregierung – so sehr die Angst vor ihr auch Mythen entspringt – an, will eine Revitalisierung des Parlamentarismus als Ziel nicht aufgeben und soll den Sozialdemokraten Raum und Zeit verschaffen. Raum, um nicht aus Koalitionsräson offenkundig neoliberalen Projekten, in der letzten Legislaturperiode etwa der Teilprivatisierung der Autobahnen, zustimmen zu müssen. Und Zeit, um nicht jeden Erneuerungsansatz innerhalb der Partei vom schwarz-roten Regierungsalltag erdrückt sehen zu müssen.
Die GroKo scheint sicher
Es könnte ja auch gar keine so große Rolle spielen, dass nach dem Treffen der Unions- und SPD-Spitzen am Mittwochabend die "KoKo" vom Tisch und die nächste "GroKo" sicher scheint. Immerhin hat es die Parlamentarische Linke geschafft, Ideen für neue, alternative Wege im öffentlichen Diskurs zu platzieren und sich damit inmitten einer allgemeinen Unzufriedenheit mit dem großkoalitionären Weiter-so zu profilieren. Zum anderen würde eine große Koalition so groß heute ja nicht mehr sein – sie käme auf 399 von 709 Mandaten, eine einfache Mehrheit bei einer Abstimmung würde verloren gehen, stimmten 45 Abgeordnete nicht mit ihrer Regierung. Die Parlamentarische Linke (PL) in der SPD-Fraktion hat 86 Mitglieder.
Nun ist diese Mitgliedschaft noch lange kein Hinweis auf Bereitschaft, für eigene linke Überzeugungen und deshalb gegen die eigene Regierung zu stimmen – der SPD-Linke Marco Bülow etwa ist daher gar nicht erst PL-Miglied. Will die SPD aber überleben, so müsste sie nicht nur eine belastbare Transformationsstrategie entwerfen, sondern in Gestalt ihrer Linken auf dem Weg dorthin die Lust auf Widerstreit – auch ohne "KoKo" – entdecken, um etwa während der Legislaturperiode den Bruch mit Angela Merkel wagen und gegen eine Union ohne Merkel aussichtsreich antreten zu können. Die jüngsten Abstimmungen zu Verlängerungen der Auslandseinsätze der Bundeswehr wie in Afghanistan machen darauf freilich wenig Hoffnung.
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