Die Reichen zur Kasse bitten

Finanzen Zwei neue Studien haben in Deutschland eine Steuerdebatte entfacht. Doch wer geringe und mittlere Einkommen entlasten will, wird andere belasten müssen
Ausgabe 17/2017

Wer reich ist hierzulande, muss sich über diese Debatte amüsieren: Deutschland streitet über Steuern. Etwa über solche auf Erbschaften und Schenkungen? Schließlich betrug deren Volumen in den beiden vergangenen Jahren jeweils mehr als 100 Milliarden Euro. Oder über eine Rückkehr zur 1996 entsorgten Vermögensteuer? Immerhin befindet sich ein Drittel des hiesigen Nettovermögens in Händen des einen, reichsten Prozents. Aber nein, es geht um die Einkommensteuer, um die Sozialabgaben, um die geschröpfte Mitte, zu der sich doch noch jeder zugehörig fühlt – Hauptsache, nicht arm oder reich. Das passt zum politisch wie gesellschaftlich eingeübten Umgang Deutschlands mit dem größten Problem, das Industrieländer heute haben: Ungleichheit. Viel geredet wird über sie, doch meistens an den ihr zugrunde liegenden Ursachen vorbei. Das Thema Steuern illustriert das bestens.

Zwei Studien haben die aktuelle Debatte ausgelöst. Zuerst meldete die Industriestaatenorganisation OECD, nur in Belgien sei die Belastung des Arbeitseinkommens eines alleinstehenden Durchschnittsverdieners durch Steuern und Abgaben höher als in Deutschland. Dann rechnete das von den Arbeitgebern finanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vor, dass ganze 4,2 Millionen Deutsche den Spitzensatz der Einkommensteuer bezahlen, 42 Prozent. Los geht es in der Regel bei einem Bruttoeinkommen von 4.500 Euro im Monat. Das entspricht etwa dem Anderthalbfachen des Durchschnittsverdienstes. In den 1960er Jahren war laut Bund der Steuerzahler noch das 18-Fache der Wert, von dem an der Spitzensatz fällig wurde. Aber damals betrug Letzterer auch nicht 42, sondern 53 Prozent. Wer die Grenze heraufsetzen will, muss auch den Spitzensteuersatz erhöhen und den Einkommensstärksten mehr wegnehmen, sollen nicht die Einnahmen des Staates schmelzen. Die Entlastung der einen muss die Belastung der anderen sein.

Ähnlich verhält es sich mit der OECD-Rangliste: Verantwortlich für Deutschlands Spitzenplatz sind nicht so sehr die Steuern, sondern die Sozialabgaben. Sie sind hier höher als den USA oder Mexiko, sicher – aber dafür gibt es in Deutschland soziale Sicherungssysteme für Krankheit, Rente, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit. Es gibt wahrlich gute Gründe dafür, Arbeitnehmer, vor allem Geringverdienende, von Sozialabgaben zu entlasten. Die Wiederherstellung der Parität der Finanzierung der Krankenversicherung wäre ein Anfang.

Ihre Abschaffung durch Angela Merkels schwarz-gelbe Regierung steht sinnbildlich für die Steuer- und Abgabenpolitik der Kanzlerin und ihres Vorgängers Gerhard Schröder, der 2000 die Absenkung des Spitzensteuersatzes verantwortete. Seit 2011 zahlen die Arbeitgeber 7,3 Prozent der Krankenversicherung, 8,2 Prozent plus jede Beitragserhöhung die Arbeitnehmer. 2007 hatten Union und SPD gemeinsam die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht, was die Armen härter trifft als die Reichen. Letztere, in Gestalt des oberen einen Prozents der Einkommen, sind seit 1998 um knapp fünf Prozent an Steuern und Abgaben entlastet worden. Derweil zahlen die untersten zehn Prozent heute 5,4 Prozent mehr, so haben es die Forscher Stefan Bach, Martin Beznoska und Viktor Steiner Anfang des Jahres vorgerechnet.

200 Milliarden verschenkt

Von den knapp 211 Milliarden Euro an Erbschaften und Schenkungen in 2014 und 2015 hat sich der Staat derweil gerade einmal 11,8 Milliarden geholt. „Die gegenwärtige Ausgestaltung der Erbschaftsteuer ist für eine wirksame Verringerung der Vermögensunterschiede ungeeignet“, schreibt der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums von Wolfgang Schäuble.

Der aber hat kaum im Sinn, die beiden tragenden Säulen – Einkommen- und Mehrwertsteuer sorgen für zwei Drittel der Einnahmen des Fiskus – um eine dritte zu ergänzen. Gerade mal 15 Milliarden Euro Steuerentlastung hat er versprochen, dem Vernehmen nach vor allem für die „Mitte“.

Nun aber zieht in den USA unter Donald Trump eine Steuerrevolution herauf, die es in sich hat, nicht zuletzt, weil sie hiesige Exporteure hart treffen könnte. Spätestens nach der Bundestagswahl im Herbst kann es darum ganz schnell um eine gänzlich andere Entlastung als die von Gering- und Durchschnittsverdienern gehen – nämlich die der hiesigen Unternehmen, um den Standort und dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Das wären in Deutschland immerhin vertraute Töne.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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