Die Rente kann sicher sein

Zukunft SPD-Vize Olaf Scholz wagt es, die Altersvorsorge als dezidiert politische Frage zu benennen – mit einem stabilen Niveau als Ziel. Das Echo darauf ist bezeichnend
Trau dich!
Trau dich!

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Wer hören will, wie tief der Neoliberalismus über Jahrzehnte hinweg in die Köpfe eingesickert ist, muss nur über die gesetzliche Rente diskutieren. Vor allem im Kreise derer, die den Großteil ihres Erwerbslebens noch vor sich haben, wird dann schnell und viel und laut und zynisch – und resignierend – gelacht: "Eine sichere, gesetzliche Rente – für uns, in ein paar Jahrzehnten? Wovon träumst du nachts?!" Das ist die gegenwärtige gesellschaftliche Grundlage, auf der es Marktradikalen gelingt, noch jede für eine Rennaissance der öffentlichen Altersvorsorge erhobene Stimme zum Schweigen zu bringen. Das ist verheerend – für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für den Glauben an soziale Gerechtigkeit, für die Demokratie.

SPD-Vize Olaf Scholz hatte sein Veto dafür, "dass die Bundesregierung ein stabiles Rentenniveau auch in den 20er und 30er Jahren gewährleistet und ein plausibles Finanzierungsmodell vorlegt", ausgesprochen, da brach eine Welle der Empörung über ihn herein. Unfair! Unfinanzierbar! Unseriös! Rentenpopulismus! "Untergräbt die Arbeit der eingesetzten Renten-Kommission!"

Vor allem letzterer Vorwurf ist demaskierend. Die Frage nach der Zukunft der Rente drängt. Die Union aber will die Politik nicht mit ihr befassen, sondern verdrängt sie in irgendeine Experten-Kommission, beschränkt sie auf den viel zu kurzen Zeitraum bis 2025 – ambitionsloser, unpolitischer hätte der Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung in Sachen Rente nur auffallen können, indem die Koalitionäre das Thema einfach totschweigen. Dann wagt Scholz einen klitzekleinen Ausbruch aus dieser organisierten schwarz-roten Verantworungslosigkeit, spricht sich für ein vom Staat garantiert stabiles Rentenniveau bis 2040 aus – was ist die Antwort aus öffentlich-rechtlichem Hause? Sie geht so: Wie kann er es wagen? Er muss das doch den "Experten", "der unabhängigen Kommission" überlassen!

Apolitische Individualempfehlungen

Keine Frage, Olaf Scholz hat jede Menge Kritik verdient: dafür, dass er sich mit einem stabilen Rentenniveau begnügt und nicht gleich ein höheres auf die Agenda setzt. Dafür, dass er nicht mit der Rolle seiner eigenen sozialdemokratischen Partei bei Raubbau an und Teilprivatisierung der Altersvorsorge ins Gericht geht. Dafür, dass er verschweigt, wie sehr die demographische Entwicklung ein stärkeres Eingreifen des Staates über steuerfinanzierte Modelle zu Lasten der Vermögenden verlangt. Dafür, dass er nichts über die Rolle sagt, die die Höhe der Arbeitseinkommen für das Rentenniveau spielen, sagt.

Aber immerhin: der Bundesfinanzminister hat die Vorsorge für das Leben nach der Erwerbsarbeit als eine politische Frage und Aufgabe benannt. Er hat den Blick auf einen Zeitraum gerichtet, der über die paar Jährchen bis 2025 hinausgeht. Das ist ein Anfang, zumal ein Kontrapunkt zu den apolitischen Individualempfehlungen, wie sie dieser Tage die Kommentarspalten der Zeitungen füllen: Vermögensaufbau? "Wer es sich leisten kann, sollte den Mut aufbringen, auch in Aktien zu investieren."

Jetzt müsste Olaf Scholz nachlegen, wollte die SPD wirklich wieder zu einer Stimme der Vielen werden. Anstatt weiter die Interessen einiger Weniger zu hegen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden