Die Verliererin im Schatten

Europawahl Lasst Grüne, Konservative und Liberale mal machen: Zur Zukunft der EU hat die deutsche Linke nichts zu sagen. Von verheerenden SPD-Verlusten profitiert sie rein gar nicht
Schwere Zeiten für Bernd Riexinger
Schwere Zeiten für Bernd Riexinger

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Die Linkspartei mag hoffen, dass ihre Schmach in der Flut von bemerkenswerten Resultaten nicht so recht Beachtung findet: Die Grünen mit zweistelligem Zugewinn und in Schlagdistanz zur CDU, diese wiederum mit beinache schon zweistelligem Verlust, die CSU mit einem Zuwachs von kaum mehr als einem Prozentpunkt – was mager ist im Angesicht dessen, dass sie den obersten Anwärter auf das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission ins Rennen schicken durfte. Um Manfred Weber den Rücken zu stärken für das nun einsetzende Machtspiel um die Kommissionsspitze, hätte es mehr gebraucht.

Doch in Relation zur vernichtendsten Niederlage dieser Europawahl wird das Ausmaß des Scheiterns der Linken deutlich. Nahezu 12 Prozent hat die SPD mit ihrer Katarina-Barley-Lächeln-kommt-zusammmen-mit-blauem-Kapuzenpullover-Kampagne verloren gegenüber 2014 – und die Linkspartei nicht davon profitiert. Im Gegenteil, für sie steht mit 5,5 Prozent ein Minus von fast zwei Prozentpunkten zu Buche. In der Wählerwanderungsgrafiken der ARD zu den Verlusten der SPD tauchte die Linkspartei erst gar nicht auf.

Drei Mandate für DIE PARTEI

Was folgt daraus im Karl-Liebknecht-Haus? Fassungslosigkeit, Selbstkritik? Erst einmal der Verweis auf „die Parteien“, die dieses Ergebnis beschäftigen werde und unter denen sich die Linke befände.

Europa an und für sich ganz toll zu finden, es halt ein wenig „sozialer“ und „demokratischer“ machen zu wollen – auf diese Formel lässt sich bringen, wofür die Linkspartei in Sachen EU zu stehen schien. Europa halten aber schon genug andere für „die beste Idee, die Europa je hatte“. Die Europäische Union vor allem gegen Rechte verteidigen, Grün mit ein bisschen linkem Anlitz sein zu wollen, das reicht nicht für Europa. Dann lieber doch Martin Sonneborn mit Verstärkung nach Brüssel schicken und Rabatz machen lassen („Für Europa reicht's“), haben sich wohl etliche einstige Linken-Wähler gedacht: 2,5 Prozent holt DIE PARTEI, ein Plus von 1,9 Prozent, es werden drei Mandate statt bisher einem.

Statt wie alle anderen Selbstverständlichkeiten abzuspulen und sich auf Europa als einen Wert an sich zu beziehen, bräuchte es von links die fundamentale Infragestellung dessen, was die EU heute ist. In den Worten Wolfgang Streecks: „ein hierarchisch strukturierter Block aus nominell souveränen Staaten, dessen Stabilität durch das Machtgefälle vom Zentrum zur Peripherie aufrechterhalten wird“, ein neoliberales Imperium, „im Zerfall“.

Weber, Timmermans, Macron

Solche Analysen zu popularisieren und radikale Schlussfolgerungen daraus zu ziehen – ja, sogar „weniger Europa“ zu fordern, wenn es etwa um die Hoheit über kommunal organisierte Daseinsvorsorge geht –, das hätte diesen Europa-Wahlkampf in Deutschland beleben können, hätte Stiche setzen können gegen den großen schwarz-rot-grün-gelben Luftballon, der laut Selbstbezeichnung „mutigen“ Freunde eines sich selbst genügenden Europas.

So aber werden deutsche Linke kaum eine Rolle spielen, wenn es nun um die Formierung der Macht in Parlament und Kommission geht. Wenn die Sitzverteilung in Brüssel bzw. Straßburg endgültig feststeht, dann wird die Frage sein, ob die Konservativen um Weber eine Mehrheit und Wege im Konzert des Europäischen Rates finden werden, ihren Mann nach oben zu hieven. Ob die Sozialdemokraten insgesamt nicht wie in Deutschland untergehen, sondern hier und da sogar reüssieren wie im Heimatland ihres Spitzenmannes Frans Timmermans und den sozial-liberalen Schulterschluss proben. Ob die Liberalen mit ihrem Schutzheiligen Emmanuel Macron wirklich zum Zünglein an der Waage, zur Gegenmacht gegen Weber und das deutsch-konservative Zentrum werden. Der muss zuhause einen Schlag ins Kontor verkraften, hat doch der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen das Lager des Präsidenten klar geschlagen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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