Alles ist möglich, nichts scheint absehbar – dieses Grundgefühl begleitet Europa spätestens seit Ausbruch der Euro-Krise. Wenn es nun mit solcher Vehemenz dieses Land in der Mitte Europas erreicht, hat dies mit weit mehr zu tun als der höchst aufgeladenen Frage nach Zurückweisungen Geflüchteter an den Grenzen. In ihr freilich wird die anhaltende Unfähigkeit, innerhalb der Europäischen Union Ausgleich und Einigkeit zu finden, anschaulicher denn je. Keine akute Krisen-Situation der Währungsunion, nicht einmal der Streit um Griechenland, vermochte wirklich in Aussicht zu stellen, was nun so vorstellbar scheint: das Ende der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU – "Das kann man am Ende nicht ganz ausschließen", sagt der CDU-Innenpolitiker Mathias Middelberg. Womöglich gar ein bundesweites Antreten der CSU, ein Antreten der CDU in Bayern.
Nie fühlte sich das Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels näher an, und dass sie nicht etwa von links gestürzt werden könnte, sondern von rechts – darin kommt die Entwicklung der politischen Gewichte in Deutschland formvollendet zum Ausdruck – wie marginal ist nur die Rolle, die SPD und Linke in dieser Situation spielen, wie sehr werden beide hoffen, in ihrem jeweiligen Zustand von vorgezogenen Neuwahlen verschont zu bleiben. Zugleich stehen die Grünen in Vollbesitz ihrer staatspolitischen Verantwortung bereit, das Unvorstellbare zu verhindern, Merkel im Falle des Falles zu stützen. Das könnte der Weg sein, um ein weiteres Mal diesen deutschen, diesen europäischen Weg zu verlängern, den Yanis Varoufakis mal treffend als "Extend And Pretend", mal als "Stadium der Leugnung" beschreibt.
Merkel hat den Gegensätzen innerhalb Europas nie erfolgreich entgegengewirkt, sie hat sie wie die innenpolitische Gemengelage in diversen Ländern, nicht nur Italien, sich verschärfen lassen. Die Zukunft des Euros ist ungewiss, weil dessen mächtigstes Land seine export-egozentrische Position nicht im Ansatz aufzugeben bereit ist. Der Vorwurf, in der humanitären Ausnahmesituation des Septembers 2015 gegenüber EU-Partnern im Alleingang gehandelt zu haben, liegt seitdem bleiern über ihrer Kanzlerschaft. Da hilft auch nicht, dass Merkels damalige Entscheidung humanitär, politisch und – vom Europäischen Gerichtshof längst bestätigt – auch rechtlich einwandfrei und richtig war.
Das realistische CSU-Kalkül
Mit dem Momentum der Aussichtslosigkeit auf gemeinsame Lösungen der Nord-, Süd- und Osteuropäer kann die CSU belastbar kalkulieren. Merkel selbst bezeichnete das Ziel einer einvernehmlichen Lösung für die Asylpolitik an diesem Donnerstag als "ambitioniertes Vorhaben"; sie dürfte wissen, dass dies noch reichlich untertrieben ist.
Wer aber sollte nun den europapolitischen Scherbenhaufen der Kanzlerin zusammenfegen können? Zur Auswahl stünden lediglich Kandidatinnen für die Fortsetzung von Merkels Extend-and-Pretend-Kurs wie Annegret Kramp-Karrenbauer oder Ursula von der Leyen, Garanten für eine Verschärfung der allein auf deutsche Vorteile bedachten Strategie wie Jens Spahn oder eine Mixtur aus beidem: Wolfgang Schäuble.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.