Doch nicht so heiß gegessen

Landtagswahlen In Sachsen und Brandenburg unterscheiden sich die Ergebnisse vom Erregungsgrad im Vorfeld. Die AfD feiert Zugewinne, so werden Dreier-Bündnisse weiter zur neuen Realität
Hat auch nach der Wahl mehr zu lachen als zwischenzeitlich befürchtet: Dietmar Woidke (SPD) – alter und voraussichtlich neuer Ministerpräsident von Brandenburg
Hat auch nach der Wahl mehr zu lachen als zwischenzeitlich befürchtet: Dietmar Woidke (SPD) – alter und voraussichtlich neuer Ministerpräsident von Brandenburg

Foto: Alexander Koerner/Getty Images

Ups, wer sind die denn? Der mögliche Einzug der Freien Wähler in den Landtag Brandenburgs ist fast schon die aufregendste Nachricht zu dieser frühen Phase des Wahlabends. Fünf Prozent wird der Gruppe mit dem vollständigen Namen „Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler“ prognostiziert, was für einen Einzug in Fraktionsstärke reichen würde. Schon vor fünf Jahren hatte sie ein Direktmandat gewonnen und aufgrund der Grundmandatsklausel drei Abgeordnete stellen dürfen. Zwar löste sich das Trio wegen interner Querelen auf, wichtiger weil entscheidend für das gegenüber den 2,7 Prozent der Zweitstimmen 2014 gesteigerte Ergebnis an diesem Sonntag dürfte aber ihr bisher größter Erfolg sein: die Volksinitiative "Straßenausbaubeiträge abschaffen!" – keine hat bisher mehr Unterschriften für eine solche Initiative sammeln können. Das Ziel – Hauseigentümer rückwirkend von ihrem Beitrag für Straßenausbaukosten zu befreien – wurde erreicht, denn die rot-rote Landesregierung nahm den Entwurf noch in diesem Juni an, um das Thema aus dem Wahlkampf zu halten. Das hat sich für die Freien Wähler gereicht, in rasant sich verändernden Zeiten mit vielen auf AfD, Grüne und die Parteien der Großen Koalition gerichteten Augen ziehen sie in ein Parlament ein.

Die größte Verliererin

Ganz so rasant waren diese Veränderungen in Sachsen und Brandenburg dann doch nicht – nimmt man zum Maßstab, mit welcher Bedeutung sie über Wochen und Monate hinweg aufgeladen worden waren. In Brandenburg minimiert die SPD die ihr prognostizierten Stimmenverluste auf etwa fünf Prozent, landet laut aktueller Hochrechnung mit 26 Prozent vor der AfD und könnte als stärkste Partei bald eine rot-rot-grüne Koalition in Potsdam anführen.

Und auch in Sachsen muss sich nun niemand mit einem mutmaßlichen Regierungsauftrag der AfD herumschlagen, den mit 32,5 Prozent erneut die CDU für sich reklamieren und vielleicht bald schon ein aus Sachsen-Anhalt bekanntes Kenia-Bündnis mit Grünen und SPD schmieden wird können; abhängig von den Direktmandaten wird sein, ob es sogar für Schwarz-Grün reicht. Größte Gewinnerin ist mit einem Zuwachs von fast 18 Prozent die AfD (Brandenburg: plus 11,5 Prozent).

Größte Verliererin – in beiden Ländern (minus neun Prozent in Sachsen, minus acht in Brandenburg) ist indessen die Linke, und es wäre ein Wunder, würden nicht bald schon Rufe nach einer Debatte über eine grundlegende Neuaufstellung – personell wie inhaltlich – laut. In großer Kontinuität folgen bei der Linkspartei derzeit auf schlechte Prognosen noch schlechtere Ergebnisse.

Derweil verbleibt die FDP in beiden Ländern wohl außerhalb des Parlaments.

Wie sehr doch das allgemeine Erregungsniveau im Vorfeld von Wahlen von deren letztendlichen Resultaten divergiert, wird an den Grünen am deutlichsten: Wurden sie vor kurzem noch zumindest in Brandenburg als diejenigen Partei gehandelt, die womöglich die Ministerpräsidentin stellen könnte, landen sie dort nun mit 10,6 Prozent auf Platz fünf, in Sachsen steigern sie sich um gerade einmal drei Prozentpunkte auf 8,4 Prozent.

GroKo bis zum Ende

Es wird also wohl auch diesmal noch nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wurde. Selbst eine SPD im endlosen Abstieg kann noch, wie Ministerpräsident Dietmar Woidke in Brandenburg, diesen ein wenig abbremsen und sich noch einmal zur klar stärksten Kraft aufschwingen. Woidkes ausgesprochene Bejahung der Großen Koalition im Bund nahm dann auch sogleich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in der ARD zum Anlass, alles andere als die Fortsetzung der Koalition in Berlin bis zum Ende der Legislatur als höchst unwahrscheinlich erscheinen zu lassen. Selbst in Sachsen, wo die SPD mit 7,8 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei Landtagswahlen erzielt hat, wird die Partei wohl gebraucht, um eine Regierung gegen die AfD zu bilden. Die sächsische CDU indessen hat sich mit einem Mix aus Wahlkampfauftritten Hans-Georg Maaßens und Absagen an die AfD durch Michael Kretschmer als Regierungspartei gehalten und kann gen Parteizentrale in Berlin sagen: „Seht her, trotz eurer Störfeuer“ – man denke nur an das Nachdenken Annegret Kramp-Karrenbauers über einen Parteiausschluss Maaßens – „haben wir das geschafft.“

Die Landtagswahlen in Sachsen lassen die Etablierung der AfD also weiter voranschreiten, ohne schon die Frage nach deren Regierungsbeteiligung virulent werden zu lassen. Die beiden ehemaligen Volksparteien verlieren weiter an Zustimmung, können sich aber mithilfe eines dritten Partners an der Regierung halten – einen Lieber-gar-nicht-regieren-als-falsch-Rückzug könnte sich die FDP aktuell kaum erlauben können. Neuwahlen aber wird es wohl kaum geben: CDU und SPD sind stark mit sich selbst beschäftigt und laborieren an heftiger Unsicherheit, mit welchem Spitzenpersonal sie in die Zukunft gehen sollen.

Aus den Grünen wird indessen doch nicht über Nacht die Kraft, die das Land im Angesicht des Sterbens der Volksparteien vor dem Rechtsruck rettet, sie erstarken aber durchaus, gerade als gesellschaftlicher Gegenpol jetzt auch in Ostdeutschland. Spannend wird sein, wie sich ihre absehbaren Regierungsbeteiligungen auswirken; das Beispiel der seit zehn Jahren mitregierenden Brandenburger Linken verheißt: es könnte schwierig werden.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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