Macht den 8. Mai zum Feiertag!

Geschichte Am Tag der Befreiung sollten wir nicht arbeiten müssen, sondern feiern
Ausgabe 18/2018
„Ein Mahnmal des Denkens und Fühlens in unserem eigenen Inneren“ (Richard von Weizsäcker)
„Ein Mahnmal des Denkens und Fühlens in unserem eigenen Inneren“ (Richard von Weizsäcker)

Foto: United Archives International/Imago

Bald 73 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus streiten sich zahlreiche Linke in Deutschland wie die Kesselflicker: mit Rechten reden? Oder nicht? Für oder wider offene Grenzen für alle, mit oder ohne Linkspopulismus? Derweil hetzt die im Bundestag mit 92 Mandaten ausgestattete AfD, und Björn Höcke kann lauthals von „dämlicher Bewältigungspolitik“ reden, vom „einzigen Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“. Was tun?

Vielleicht zunächst einmal etwas mehr drei Jahrzehnte zurückblicken: 1985 sprach Bundespräsident Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1945 als dem Tag, der „uns alle befreit“ hat „von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Von Weizsäckers kluger Rede sprechen Menschen verschiedener politischer Couleur bis heute mit Hochachtung. Sie etablierte eine Demarkationslinie, die längst wieder porös wird: jenes Datum der deutschen Kapitulation als klaren Sieg und nicht als Niederlage für das Land zu sehen.

Sicher: Dass dies 40 Jahre später erst mal ein integrer Konservativer den Westdeutschen erklären musste, mutet für Antifaschistinnen und Antifaschisten grotesk an. Aber immerhin!

Derweil beging die DDR den 8. Mai im Jahr 1985 als Feiertag, so wie sie es schon bis zum Jahr 1967 getan hatte. Genau das sollte Deutschland fortan auch wieder tun: den 8. Mai bundesweit zum arbeitsfreien Feiertag erklären, um jene Demarkationslinie in Erinnerung zu rufen. Und zwar nicht nur einmalig im Jahr 2020, zum 75. Jahrestag, wie das für Berlin gerade der rot-rot-grüne Senat überlegt. Sondern ausnahmslos in jedem Jahr, wie das Linken-Chefin Katja Kipping und schon viele andere gefordert haben.

Sicher, das wäre ein „rein symbolischer Akt“, der rechte Revanchisten sicher nicht zum Schweigen bringen würde. Aber Feiertage sind nun einmal auch symbolische Akte. Und im Gegensatz zu den wohlfeilen Gegenreden auf gezielten Provokationen der AfD hin, wie sie seit deren Einzug in den Bundestag im Plenum regelmäßig gehalten werden, wäre eine Initiative für den 8. Mai als Feiertag ein proaktiver Akt. Hier würde der Schulterschluss der übrigen Fraktionen wirklich einmal Sinn machen – und das nicht nur, weil er die AfD-Abgeordneten zum Bekenntnis in der Frage „Wie hältst du es mit der Befreiung?“ zwänge. Sondern weil er zwangsläufig mit einer klaren Kante gegen das Kapital verbunden wäre: Sie klingen ja schon in den Ohren, die Warnrufe, mit denen sich Arbeitgeber und Wirtschaftslobbyisten gegen einen weiteren freien Tag für die meisten Arbeiter und Arbeiterinnen und die damit verbundenen „Produktivitätseinbußen“ verwahren würden. Eine Parlamentsmehrheit, die darauf nichts gäbe, weil vermeintliche ökonomische Imperative nicht über dem historischen Gewissen eines Landes zu stehen haben, wäre eine begrüßenswerte.

Der 8. Mai als Feiertag hieße natürlich nicht, dass wie von selbst alle hierzulande „ein Mahnmal des Denkens und Fühlens in unserem eigenen Inneren“ (von Weizsäcker) errichten. Und noch eine Fress- und Saufmeile, wie sie jedes Jahr am 3. Oktober etwa in Berlin aufgebaut wird, kann keiner gebrauchen. Aber warum nicht freier Eintritt in Museen, Gedenkstätten, Konzertsäle und Theater für alle an diesem Tag? Warum nicht eine Konferenz, die die Staatsoberhäupter der Befreier – Russland wie den Westen – an einen Tisch bringen würde, um ihnen zu danken und das gemeinsame Gespräch über die Lehren aus der Geschichte für die Gegenwart zu reaktivieren?

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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