Vergangenen Herbst hat sich Mohamed Jamas Leben grundlegend verändert. Seitdem steigt der 20-jährige Somalier morgens um 6.45 Uhr an Augsburgs Stadtrand in den Bus und fährt 13 Kilometer bis in die Gemeinde Langweid. Seine Schicht im dortigen Logistikzentrum eines Elektrogroßhändlers geht jeden Werktag bis halb fünf. Nur freitags ist um halb zwei Feierabend, dann geht es zurück nach Augsburg. Zum Deutschkurs.
Jama wird Fachlagerist, er ist einer von 60 jungen Geflüchteten, die in Bayerisch-Schwaben seit einem halben Jahr eine Ausbildung absolvieren. Kein Praktikum, keine Leiharbeit, keinen Ein-Euro-Job. Eine duale Ausbildung – mit Berufsschule, Prüfungen, Probezeit. Letztere haben alle überstanden. Wozu Josefine Steiger einen nicht une
nicht unerheblichen Beitrag geleistet hat.Steiger, 61, arbeitet seit 38 Jahren bei der Industrie- und Handelskammer Schwaben (IHK) in Augsburg. Seit Ende 2014 leitet sie ein vierköpfiges Team, dessen Programm das ausgereifteste seiner Art in Deutschland ist: „Junge Flüchtlinge in Ausbildung“. Einer von Steigers Mitarbeitern ist selbst Azubi, ein 24-jähriger Afghane, der vor anderthalb Jahren nach Deutschland kam und früher als Übersetzer für die US-Armee gearbeitet hat. Etwas mehr als 800 Euro verdiene er im Monat, zahle über ein Drittel davon an Sozialabgaben und 250 Euro für das Zimmer, das er mit einem Mitbewohner teilt. „Vom Rest kann er leben“, sagt Steiger, „er weiß, dass sich diese Investition in eine Ausbildung lohnen wird.“Als Azubi wird keiner reich, trotzdem macht eine Ausbildung langfristig Sinn – das jungen Einwanderern zu erklären, gehört zu Steigers Aufgaben. Sie spricht mit Flüchtlingen, Berufsschullehrern, Ausländerbehörden, Vermietern und Ämtern, wenn es um die Anmeldung zur Führerscheinprüfung geht. Um halb fünf ist für ihr Team selten Feierabend, freie Wochenenden sind rar. Gerade bereiten sie einen Großbesuch bei der größten Berufe-Messe in der Region vor. „Flüchtlinge einfach nur mit einem Flyer in der Hand alleine hinzuschicken, das reicht nicht.“Warum nur haben sie in Augsburg schon Ende 2014 ein Ausbildungsprogramm für Flüchtlinge aufgelegt? Ein halbes Jahr bevor die Zahl der hier Ankommenden in kürzester Zeit so stark anstieg und das Land kein anderes Thema mehr zu kennen begann? Steigers Chef in der gläsernen Augsburger IHK-Zentrale lehnt sich zurück und lächelt. Peter Saalfrank, Hauptgeschäftsführer der IHK, sagt dann: „Wir haben hier schon vor 15 Jahren Matching gemacht.“Fußball und FluchtMatching, das ist das Zusammenführen von geeigneten Bewerbern und Firmen, die Nachwuchs suchen. 2014, in Bayern wie im Bund waren just neue Legislaturperioden angebrochen, beschloss die IHK ihr Matching auf fünf Zielgruppen zu konzentrieren: Schulpartnerschaften zur Gewinnung von Abiturienten für die Lehre. Teilzeitausbildungen für junge Mütter und Spitzensportler, die etwa im Nachwuchs des Fußball-Bundesligisten FC Augsburg spielen. Ein Programm für leistungsschwache Jugendliche, eines für Studienabbrecher und eben eines für: Flüchtlinge. „Es war ein Gespür, dass das was wird“, sagt Saalfrank.Schließlich war die Zahl der Asylsuchenden schon vor dem steilen Anstieg Mitte 2015 gewachsen. „Die Betriebe brauchen dringend Maschinen- und Anlagenführer, Lebensmitteltechniker und Leute für den Fahrzeugbau.“ Oder Lageristen, wie nun Mohamed Jama einer wird.„Die Region ist nah an der Vollbeschäftigung“, sagt Ulrich Köhler. Er ist einer der beiden Geschäftsführer von Jamas Ausbildungsbetrieb, dem Elektrogroßhändler Sonepar Deutschland Region Süd GmbH. Nah an der Vollbeschäftigung, das heißt: Köhlers Personaler müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um junge Leute für den Logistikbereich zu begeistern, für das frühe Aufstehen und die mitunter anstrengende körperliche Arbeit. Das Flüchtlingsprogramm der IHK ist einer dieser Hebel.Jamas Beispiel zeigt, dass der Weg zur Ausbildung Zeit braucht: Mit 16 kam er nach Deutschland, konnte seinen Hauptschulabschluss aber erst später nachholen. Dann profitierte er davon, dass Bayerns Bildungsministerium schon 2011 die Berufsschulpflicht für Flüchtlinge und Asylbewerber bis 21, auf Antrag sogar bis 25 Jahre anerkannt hatte und sich seither für sein „bundesweit einzigartiges“ Programm der Berufsintegrationsklassen rühmt: In heute 440 davon verbessern Geflüchtete im ersten Jahr vor allem ihre Deutschkenntnisse, bevor sie der Berufsschulunterricht im zweiten ausbildungsreif machen soll.Für IHK-Frau Steiger ist dieses zweite Jahr der Ansatzpunkt: Ihr Team fährt in die Klassen, spricht mit Lehrern und vor allem mit den Schülern, um über die Fähigkeiten und Neigungen eines jeden ein Dossier anzulegen. Diese Dossiers gleicht die IHK mit den bisher 170 Betrieben ab, die Praktikumsplätze zur Verfügung stellen. Im Idealfall wird aus dem Praktikum eine Ausbildung – so wie bei Mohamed Jama.Herausforderung Dialekt„Ich will nach der Ausbildung auf jeden Fall bei Sonepar bleiben“, sagt er. Sein Ausbilder ist optimistisch. Die größte Hürde in der Berufsschule und beim Schreiben der Berichte sei die Sprache und nicht zuletzt „der Dialekt“. Aber Jamas hohe Motivation rechfertige jede Minute der zusätzlichen Zeit, die seine Betreuung in Anspruch nimmt.Optimismus stiftet auch ausgerechnet das Asylpaket II der Bundesregierung: Monatelang hatte IHK-Chef Saalfrank so laut, wie es von einer 290.000-Einwohner-Stadt wie Augsburg aus geht, gen Berlin nach der 3+2-Regelung gerufen: drei Jahre gesicherter Aufenthalt für Flüchtlinge und Asylbewerber in Ausbildung plus zwei Jahre, damit die Betriebe sie übernehmen können. Jetzt hat das Bundeskabinett ihn erhört.An diesem Donnerstag können Saalfrank und Steiger den Entscheidungsträgern noch ein paar mehr Dinge einflüstern: In Berlin, bei einer Veranstaltung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, treffen sie Kanzleramtschef Peter Altmaier und Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.