Vielleicht kommt dieser Schuss vor den Bug ja noch gerade rechtzeitig für die deutsche Sozialdemokratie. Ihrem Parteichef, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf am Dienstag ordentlich zugesetzt: Es hat die von Gabriel per Ministererlaubnis genehmigte Übernahme der Supermarktkette Kaiser‘s Tengelmann durch Edeka vorläufig gestoppt. Nichts weniger als "Befangenheit" werfen die Richter Gabriel vor – er soll den Edeka-Konkurrenten Rewe benachteiligt, "geheime Gespräche" mit Edeka und Kaiser‘s Tengelmann geführt und ein transparentes, objektives sowie faires Verfahren torpediert haben.
Dies kommt einer schallenden Ohrfeige für Gabriel gleich, daran ändert auch der empörte Widerspruch aus dem Bundeswirtschaftsministerium am Dienstagnachmittag und eine für Mittwochmittag eiligst anberaumte Pressekonferenz nichts. Das Debakel wird ihn wohl nicht gleich zum Rücktritt zwingen, gleichwohl ist er als Minister schwer beschädigt und geht angeschlagen in den beginnenden Bundestagswahlkampf. Dass aus letzterem die SPD mit Gabriel an der Spitze irgendwie erfolgreich hervorgehen könnte, glaubt ohnehin kaum jemand mehr. Vielleicht also ist dies der letzte Moment, in dem der Juniorpartner der Großen Koalition die personellen Weichen noch einmal umstellen kann, hin zu einer glaubwürdig auf anderes als die Rolle des Mehrheitsbeschaffers für die Union abzielenden Kampagne.
Alternativen zu Oligopolen
In der Sache ginge es dann darum, wirkliche Alternativen zu den Oligopolen gleichenden Märkten wie dem des deutschen Lebensmitteleinzelhandels zu entwickeln. Denn eines muss man sich im Zuge der Vorentscheidung der Düsseldorfer Richter vom Dienstag vor Augen halten: Gegen Gabriels Ministererlaubnis zugunsten der Nummer eins im deutschen Supermarktgeschäft, Edeka, hatte zuvorderst die Nummer zwei, Rewe, geklagt. Bekäme letzteres Unternehmen den Zuschlag für die noch rund 430 Kaiser‘s-Tengelmann-Filialen, so würde dies lediglich etwas weniger vom Mehr an Konzentration im Markt bedeuten; das ohnehin schon riesige Druckpotential der Supermarktketten gegenüber Lieferanten und Produzenten wie etwa Bauern, vorderrangig um Preise zu drücken, würde aber so oder so weiter wachsen. Warum sollte progressive Wirtschaftspolitik nicht darin bestehen, nachhaltige Modelle wie das der Solidarischen Landwirtschaft aus ihrem Nischendasein herauszubefördern? Heute ist "der Bauer nur ein Billig-Zulieferer für die Lebensmittelindustrie, abhängig vom Handel, der den Reibach macht, und völlig austauschbar", hatte es der norddeutsche Bauer und SoLaWi-Pionier Mathias von Mirbach 2014 im Freitag auf den Punkt gebracht.
An die Folgen der Macht deutscher Supermarktgiganten für Produzenten, etwa von Bananen, im Ausland erinnerte die Nichtregierungsorganisation Oxfam in ihrem Kommentar zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf: Für viele Kleinbauern und Plantagenarbeiter in den Erzeugerländern sei die Marktmacht der großen Ketten schon heute existenzbedrohlich.
In ihrer Existenz bedroht sind nun weiter die noch etwa 15.000 Mitarbeiter von Kaiser‘s Tengelmann. Der Konzern will zumindest von seinen defizitären Filialen nichts mehr wissen und sich auf andere Bereiche – die Obi-Baumärkte, den Textildicounter Kik, Start-ups, die Digitalisierung des Handels, E-Commerce – konzentrieren. Zuletzt hatte Firmenchef Karl-Erivan Haub im Zuge der stockenden Verhandlungen zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgebern über die Erfüllung der mit Gabriels Ministererlaubnis einhergehenden Arbeitsplatz-Auflagen gedroht: „Irgendwann ist Schluss.“ Das kann bedeuten: Verkauf der profitablen Geschäfte, Insolvenz für den Rest, Verlust der meisten Arbeitsplätze.
Gemeinwohl oder nicht
Die Rettung der Jobs war Gabriels zentrale Begründung für die Erlaubnis der zuvor von Bundeskartellamt und Monopolkommission abgeschmetterten Fusion zwischen Edeka und Kaiser‘s Tengelmann, Monopolkommission-Chef Daniel Zimmer ist aus Protest gegen Gabriels Entscheidung zurückgetreten. Nun wirft das Oberlandesgericht Düsseldorf dem Minister ausgerechnet in puncto Arbeitsplatzsicherung schwerwiegende Versäumnisse vor: Der "Erhalt und die Sicherung bestehender kollektiver Arbeitnehmerrechte" seien anders als von Gabriel vorgetragen "kein Gemeinwohlbelang", denn: Das Grundgesetz lasse es jeder und jedem offen, ob sie oder er sich gewerkschaftlich organisiert. "Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Gleichrangigkeit könnten der Erhalt und die Sicherung bestehender kollektiver Arbeitnehmerrechte kein Gemeinwohlbelang sein, welches die ministerielle Erlaubnis einer wettbewerbsschädlichen Unternehmensfusion rechtfertigen könne."
Dieser Argumentation kann man Spitzfindigkeit vorwerfen, die Gewerkschaft Verdi protestierte sogleich heftig. Zweifelsohne aber hat Gabriel es nicht geschafft, die von ihm angestrebte Sicherheit für Tausende Beschäftige auch gegen das in deutschen Juristen- und Ökonomenkreisen dominierende Dogma vom vermeintlich freien Markt rechtssicher durchzusetzen.
Noch ist die Entscheidung zwar nicht rechtskräftig, die Fusion ist nur vorläufig gestoppt, bis das Düsseldorfer Gericht "in den kommenden Monaten" eine endgültige Entscheidung vorgelegt haben wird. Zudem könnten Edeka und Kaiser‘s Tengelmann juristisch dagegen vorgehen, dass das Oberlandesgericht keine Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof zugelassen hat. Gut möglich aber, dass sich die Manager der Unternehmen dieses langwierige Procedere ersparen.
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