Eine Atempause

Thüringen Der Erfurter Landtag wählt Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten. Die FDP entblößt erneut ihre Scham- und Verantwortungslosigkeit
Ministerpräsident in sechs Wahlgängen: Bodo Ramelow
Ministerpräsident in sechs Wahlgängen: Bodo Ramelow

Foto: Jens Sschlueter/AFP/Getty Images

Die Hufeisen-Theorie ist nicht tot, der Zustand ihrer innigsten Verfechter hingegen kaum mit „lebendig“ zu beschreiben. Fünf Abgeordnete hat die FDP-Fraktion im Thüringer Landtag, alle jüngeren Umfragen sehen die Liberalen im Falle einer Neuwahl unter der Fünf-Prozent-Hürde. Ihr Sprecher fiel zuletzt mit dem auf die Lähmung der Thüringer Exekutive gemünzten Satz auf: „Wenn man es richtig betrachtet, sparen wir dem Land einen Haufen Geld“. Begleitet von lautem Lachen.

Dieses Lachen muss man sich vergegenwärtigen, besieht man das Resultat des dritten Wahlgangs um das Amt des Ministerpräsidenten in Thüringen an diesem Mittwoch: 42 rot-rot-grüne Ja-Stimmen für Bodo Ramelow, 23-Nein-Stimmen, 20 Enthaltungen. „Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält“, heißt es in der Landesverfassung. Das deckt nach weitgehender verfassungsrechtlicher Meinung Ramelows Ernennung zum Ministerpräsidenten, eröffnet dessen politischen Gegnern aber durchaus die Möglichkeit, vom Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen, wie genau der Passus „die meisten Stimmen erhält“ auszulegen ist. Vielleicht haben sie bei der Thüringer FDP ja Zeit für diesen Spaß – eine Belastung durch politische Arbeit wird es kaum sein, die ihre Abgeordneten davon abhielte.

Den zuletzt geschäftsführenden Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich von der FDP sah man in den vergangenen Wochen kaum, am Mittwochvormittag freilich posierte er mit seiner Rumpf-Truppe für Selfies im Plenum – eine Abgeordnete ließ sich dann für die Ministerpräsidentenwahl entschuldigen, die restlichen vier verweigerten es, ihre Stimme überhaupt abzugeben. Sie tippten lieber auf ihren Telefonen herum. Die „Liberalen“ wollten damit zeigen, dass sie die Kandidaten gleichermaßen ablehnen – den Linke-Politiker Bodo Ramelow wie den AfD-Faschisten Björn Höcke. Die geheime Wahl war damit so geheim nicht mehr – jede Stimme für Ramelow über die 42 Mandate von Linken, SPD und Grünen hinaus wäre als eine aus der CDU-Fraktion zu identifizieren gewesen.

Scham- und verantwortungsloser könnte diese Partei nicht zeigen, dass sie nichts aus dem 5. Februar und der Wahl ihres Fraktionschefs Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD gelernt hat. Sie hat nie etwas lernen wollen – Kemmerichs Wahl war kein „Unfall“. Die Mannen Christian Lindners hatten die „Skrupellosigkeit der AfD“ nicht „unterschätzt“, sie hatten sie eiskalt ins Kalkül gezogen. Da mag der FDP-Bundeschef noch so viele Krokodilstränen vergossen haben.

FDP im Sumpf

Ihre Verweigerung einer Stimmabgabe bei der Ministerpräsidenten-Wahl an diesem Mittwoch in Erfurt zeigt, dass die FDP nicht Teil irgendeiner konstruierten „Mitte“ ist, sondern sich längst als „AfD light“ in einem Sumpf suhlt, in dem auch Höcke, Alexander Gauland und Hans-Georg Maaßen ihren Platz gefunden haben. Letzterer, der mehr als sechs Jahre als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewähren durfte, hatte sich am Dienstag flehentlich an die Mitglieder der CDU-Landtagsfraktion gewandt, damit diese dafür sorgen, „dass die SED/Linke in TH nicht den MP stellt“.

Sein Flehen wurde nicht erhört. Die Enthaltung von 20 der 21 CDU-Abgeordneten im dritten Wahlgang sicherte Bodo Ramelow die Wahl zum Ministerpräsidenten durch die einfach Mehrheit von 42 rot-rot-grünen Stimmen. Angesichts der Einflussnahme der Bundespartei und der Zerrissenheit der Landespartei ist es durchaus erstaunlich, dass der neue CDU-Fraktionschef Mario Voigt immerhin dieses Maß an Geschlossenheit hergestellt hat. Dass ein Fraktionsmitglied ausscherte und der Enthaltung ein „Nein“ vorzog, zeigt, dass bei den Konservativen weder der Hang zum Hufeisen noch die Offenheit gegenüber eine gestaltenden Rolle der AfD verschwunden ist.

Mehr Ramelow, weniger Riexinger

Wohl nirgendwo ist das Zerbrechen des alten Parteiensystems bisher so folgenschwer und spürbar geworden wie in Thüringen. Das wohlkalkulierte Agieren der AfD, die Schamlosigkeit der FDP, die Zerrissenheit der CDU, keine Mehrheit für Rot-Rot-Grün – es ist bemerkenswert, dass Ramelow es unter diesen Umständen geschafft hat, eine Regierung auf den Weg zu bringen – mit viel Geduld, Verhandlungsgeschick, funktionierendem inhaltlichem Kompass sowie strategischem Vermögen – und das, obwohl ihm durch das genaue Gegenteil von alledem in Person des Linken-Bundesvorsitzenden Bernd Riexinger zuletzt noch Steine in den Weg gelegt wurden: Bei der Strategiekonferenz der Linken in Kassel quittierte er das „scherzhafte“ Fabulieren einer Genossin von der Erschießung des einen Prozents der Reichen mit einem Lächeln und dem Satz: „Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie für nützliche Arbeit ein.“ Riexinger lieferte damit der Bild-Zeitung und dem politischem Gegner („Die Haltung der Linken ist abscheulich“) eine Steilvorlage.

Man mag nicht nur der Linken mehr Ramelow und weniger Riexinger für die Zukunft wünschen. Denn so beruhigend das Ergebnis dieses Mittwochs für viele Thüringerinnen und Thüringer sein mag, so sehr das „Stabilitätsabkommen“ zwischen Rot-Rot-Grün und der CDU die Verabschiedung des Landeshaushalts 2021, ein Unterstützungspaket für die Kommunen, Investitionen in den ländlichen Raum, Maßnahmen zur Sicherung des Schulunterrichts sowie die Neuwahl des Landtags am 25. April 2021 zu gewährleisten vermag, und so sehr Rot-Rot-Grün in Thüringen nun die Chance hat, die deutsche Angst vor Minderheitsregierungen abzubauen – einstweilen ist nur Zeit gewonnen. Der Weg bis zu den Neuwahlen im April 2021 wird für die neue Landesregierung ein weit und steinig sein.

Zudem schwebte auch über der Wahl an diesem Tag das Bangen, zu welchen Manövern die AfD ansetzen würde. Ramelow mitzuwählen, um ihm die Annahme der Wahl zu verunmöglichen, erschien den Rechten dann aber doch ein zu hoher Preis. Es gilt: „Die nach rechts außen geöffnete Tür in Ostdeutschland ist nicht dadurch wieder geschlossen, dass der Versuch einer autoritären Formierung in Thüringen vorerst gescheitert ist.“ Dass Ramelow Björn Höcke nach seiner Wahl nicht das Gespräch, wohl aber den Handschlag verweigerte, zeigt, dass er sich dessen gewahr und für die entschlossene Gegnerschaft zu jedem Faschismus bereit ist.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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