Eine Welt voller Oligarchen

Panama Papers Die neuen Enthüllungen von Steuerhinterziehung und Geldwäsche sind Symptom einer Wirtschaftsform, in der Leistung nichts und Kapital alles ist
In Panama-Citys Finanzdistrikt kommt nicht jeder rein
In Panama-Citys Finanzdistrikt kommt nicht jeder rein

Rodrigo Aragnua/AFP/Getty Images

Mit wem anfangen? Mit Sergey Roldugin, dem Freund des russischen Staatschefs Vladimir Putin? Mit Lionel Messi? Oder doch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko?

Die Antwort auf diese Frage hat schon am Vorabend der Veröffentlichung der "Panama Papers" durch das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) der Schweizer Whistleblower Rudolf Elmer gegeben, bei Anne Will: Es geht hier in Sachen Steuerhinterziehung und Geldwäsche nicht um „die Namen, sondern das System als solches“.

Kritik an der SZ

Das ist noch der einzige Punkt, an dem die etwa vom Portal Meedia geäußerte Kritik am publizistischen Vorgehen der Süddeutschen Zeitung in dieser Causa ein wenig nachvollziehbar erscheint: Ja, bekannte Köpfe und große Namen – gerade der des russischen Präsidenten – machen große Schlagzeilen, bringen Klicks und Verkäufe; die komplexen Faktenzusammenhänge dahinter laufen Gefahr, in der öffentlichen Debatte an Gewicht zu verlieren. Und wenn eines nicht passieren darf, dann ist es das: Die ganze Sache als ein Problem etwa der russischen oder ukrainischen Oligarchie abzutun, noch dazu mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger des Westens.

Derlei Verkürzung eignet sich schon allein deshalb nicht, weil die Ursprünge Panamas als Steueroase in seiner Entstehungsgeschichte angelegt sind, wie ein Artikel des Tax Justice Network vor Augen führt: Unter Regie der nach Kontrolle über den Panama-Kanal strebenden USA wurde das Gebiet Anfang des 20. Jahrhunderts von Kolumbien abgetrennt, um als neuer Staat schon bald zur Registrierstelle für Schiffe des Standard-Oil-Konzerns zu werden, der damit US-amerikanischen Steuerpflichten und Regulierungen zu entgehen suchte. Später folgte die Wall Street ins neue Eldorado. Heute ermöglicht es nicht zuletzt die hohe Ungleichheit, Schein-Geschäftsführer aus den armen Stadtvierteln und Gegenden abseits der in Lateinamerika einzigartigen Skyline des Finanzdistrikts der Hauptstadt zu rekrutieren, die dann verantwortlich zeichnen für die von der Kanzlei Mossack Fonseca vermittelten Briefkastenfirmen der Superreichen aus Übersee.

Wozu Briefkastenfirmen?

Briefkastenfirmen, von denen es nun stets heißt, sie wären nicht per se illegal und könnten durchaus berechtigten wirtschaftlichen Anliegen dienen. Welchen eigentlich und warum sollte man sie nicht sofort und ausnahmslos verbieten? Mehr als „Steuern legal vermeiden“ zu wollen und „der Wunsch nach Schutz der Privatheit“ fällt dem neuen Chef des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in München, Clemens Fuest, da nicht als Rechtfertigung ein.

Steuervermeidung, -hinterziehung und Geldwäsche – all das sind globale Phänomene, die ihren Ursprung in der weltweit dominierenden Spielart des Kapitalismus haben, ob in Russland, der Ukraine, den USA oder Deutschland: Nicht Talent und Vermögen des einzelnen, auch nicht Wettbewerb und Markt sind die Grundlagen, auf denen es sich heute zu sozialer Absicherung, Wohlstand oder gar Vermögen, Reichtum und Prestige bringen lässt. Sondern die schnöde Frage, ob eine oder einer über Kapital verfügt, das Erträge einbringt – ohne dass es dafür Arbeit, Fleiß oder irgendeiner anderen Art von Leistung im eigentlichen Sinn bedarf. Und Kapital wird gerade im Westen, zumal in Deutschland, vor allem ererbt.

Wer will, dass nicht länger Bildungs-, Gesundheits-, Transport- und Sozialsysteme unterfinanziert bleiben und so jede Rede von Chancengerechtigkeit nach Hohn klingt, der muss nicht nur die Behörden zum Kampf gegen Steuerhinterziehung aufrüsten, Doppelbesteuerungsabkommen mit Staaten wie Panama kündigen, Whistleblower stärken und schützen und gegen deutsche Banken vorgehen, die den Reichen ihre Geldverlagerungen offshore erst möglichen. Sondern endlich anfangen, Erbschaften, Vermögen und Finanztransaktionen effektiv und hoch zu besteuern, um so einen Kulturwandel, einen Paradigmenwechsel einzuleiten – weg vom allseits, wenngleich auch oft mürrisch akzeptierten Status quo einer Renditeökonomie, hin zu einem inklusiven Gemeinwohl auf Basis eines starken Staates.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden