Die Ampel übt sich in sensibler Sprache, aus Rücksicht auf die FDP

Entlastungspaket Übergewinnsteuer? Gaspreisdeckel? Bei den wirklich entscheidenden Fragen vertagt sich die Bundesregierung. Ihre Wortwahl dabei ist verräterisch
Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner stellen das Entlastungspaket in Berlin vor (4.9.2022)
Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner stellen das Entlastungspaket in Berlin vor (4.9.2022)

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Gleich auf Seite drei findet sich eine maßlose Untertreibung: Auf europäischer Ebene, steht da im Ergebnispapier des jüngsten Koalitionsausschusses, würden „Möglichkeiten der Abschöpfung von Zufallsgewinnen von Energieunternehmen diskutiert“. Weder ist auf europäischer Ebene von „Zufallsgewinnen“ die Rede, noch wird über Möglichkeiten der Abschöpfung nur „diskutiert“.

Vielmehr hat die EU-Kommission (!) den Mitgliedsstaaten „Leitlinien für die Anwendung steuerlicher Maßnahmen auf übermäßige Gewinne“ an die Hand gegeben – und zwar Anfang März dieses Jahres. Zugegeben, diese Leitlinien sind unverbindlich. Nichtsdestotrotz haben etliche Mitgliedsstaaten längst „steuerliche Maßnahmen“ ergriffen, um „übermäßige Gewinne“ abzuschöpfen. Das lässt sich zum Beispiel in einer auch für Mitglieder der Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gut einsehbaren Übersicht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags nachlesen.

Christian Lindner verzögert

Wer nun feiert, dass diese Bundesregierung den historischen Schritt hin zu einer Übergewinnsteuer getan habe, übersieht: Sie hat diesen Schritt nicht getan, obwohl er längst überfällig ist. Sie hat ihn vertagt, und die mutmaßlich Hauptverantwortlichen dafür – die marktliberale FDP und ihr Chef, Bundesfinanzminister Christian Lindner – haben sogar noch den Ton setzen dürfen: Von „Zufalls-“, nicht von „Übergewinnen“ ist die Rede. Klingt, als seien diese Profite vom Himmel gefallen.

Jetzt kommt alles darauf an, wie sich das Wort „zeitnah“ verstehen lässt: „Sollten die in Europa derzeit diskutierten Maßnahmen im Strommarkt nicht zeitnah verabredet und umgesetzt werden können, wird die Bundesregierung diese Anpassungen im Strommarktdesign zur Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher selbst umsetzen“, steht im Einigungspapier der Ampel-Koalition. Das Wort „zeitnah“ ermöglicht einen ausgedehnten Interpretationsspielraum. Die Übergewinne sprudeln also erst einmal weiter, Lindner und die FDP haben Zeit gekauft, die für Krisenprofiteure bares Geld ist. Und außerhalb des Energiemarktes soll es Krisenprofiteure gar nicht treffen – dabei drängt sich die Rüstungsindustrie angesichts der 100 Milliarden Euro schweren „Zeitenwende“ als Anwendungsbereich einer Übergewinnsteuer geradezu auf. So hielten es auch die Nationen, aus denen diese Steuer kommt, in Kriegszeiten mit ihren Waffenschmieden – allen voran die USA. Auch die Ölindustrie verzeichnet hohe Krisengewinne, die abgeschöpft werden könnten.

Gaspreisdeckel?

Immerhin skizziert die Regierung schon einmal, wie sie sich die Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ vorstellt: „Dazu wird ein Höchstwert für die Erlöse am Spotmarkt festgelegt. Der Differenzbetrag zwischen Großhandelspreis und Erlösobergrenze wird an den Verteilnetzbetreiber abgeführt. Dies begrenzt Zufallsgewinne.“ Rumänien etwa macht das schon längst so, hierzulande haben sowohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages als auch das Netzwerk Steuergerechtigkeit erklärt, wie das geht, und es ist ja nicht so, dass die „Trümmerlandschaft der Marktliberalisierung“ im Energiebereich – wie übrigens in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge auch, siehe Gesundheitssystem – uns erst seit gestern vor Augen steht. Die Ampel braucht aber erst noch einige Diskussionsrunden auf europäischer Ebene, bis sie Übergewinne von Energiekonzernen zur Entlastung auf Stromkunden umzuverteilen beginnt – mittels eines Kontingents zum Basisverbrauch, für das vergünstigte Preise gelten.

Genau das wurde zuletzt in Deutschland immer lauter für die exorbitanten Gaspreise diskutiert: ein Gaspreisdeckel. Den Grundbedarf gibts zum vergünstigten Preis, von einer gewissen Grenze an wird es teuer – so bleibt auch der Anreiz zur Einsparung erhalten, und zwar insbesondere für die, die viel Energie verbrauchen. Das sind in der Regel die, die hohe Einkommen oder Vermögen haben, sich viel Verbrauch also leisten können.

Eine Kommission!

Vom „Gaspreisdeckel“ ist im Koalitionsausschuss-Papier nicht die Rede. Man muss nicht gleich von „Cancel Culture“ sprechen, aber SPD und Grüne sind sich im Beisein ihres wirtschaftsliberalen Koalitionspartners wohl bewusst, wie sehr Worte verletzen können und wie wichtig ein sensibler Sprachgebrauch aus Rücksichtnahme auf die FDP ist. Vom „Grundkontingent im Wärmebereich“ schreiben die Koalitionäre also, von „verschiedenen Preisdämpfungsmodellen für den Wärmemarkt“, über die – klar – in Europa „diskutiert“ werde, und diese Diskussion soll jetzt auch in Deutschland ihre Fortsetzung finden: „Es wird daher eine Expertenkommission mit Vertreterinnen und Vertretern u.a. aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbraucherschutz eingesetzt, die zeitnah klären soll, ob und wenn ja wie ein solches Modell in Deutschland oder Europa realisierbar ist.“ Zeitnah! Das kennen wir ja schon.

Hoffentlich werden zumindest die Ökonomin Isabella Weber und der Ökonom Sebastian Dullien der Kommission angehören. Die beiden erklären schon seit März, warum das Modell Gaspreisdeckel für diese Krise prädestiniert ist und wie er umzusetzen wäre.

Keine Frage: Einmalzahlungen für Rentner und Studierende oder auch die Ausweitung des Kreises der Berechtigten beim Wohngeld werden vielen Menschen in Deutschland zumindest ein klein wenig helfen, eine winzige Verschnaufpause verschaffen. Aber die Verschnaufpause, die sich diese Koalition bei den zentralen Fragen – der Regulierung und der Umverteilung der Lasten bei Gas und Strom – gönnt, ist besorgniserregend.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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