Erstmal alle versammeln

Linke Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine haben recht, wenn sie für eine linke Sammlungsbewegung in Deutschland werben
Reflexartige Reaktionen auf die Namen dieser beiden Personen helfen der Linken nicht weiter
Reflexartige Reaktionen auf die Namen dieser beiden Personen helfen der Linken nicht weiter

Bild: Imago

Aller Neuanfang ist schwer, also sind im Diskurs über die Zukunft der hiesigen Linken zunächst nur kleine Schritte zu erwarten, etwa der: Oskar Lafontaine und Gregor Gysi betraten beim politischen Jahresauftakt der Linksfraktion am vergangenen Wochenende gemeinsam die Bühne, diskutierten über soziale Spaltung, den Rechtsruck und eben die Linke, was nicht nur den Organisator der Veranstaltung und Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm freute: "Wer hätte das gedacht, über diesem Raum schwebt eine Harmonie und Regie..." In der Tat, wenn zwei prominente Parteimitglieder mit stark differierenden Schwerpunktsetzungen zusammen ein öffentliches Podium betreten, dann ist das für die Linke heute schon ein Erfolg.

Die Lage ist klar: Lafontaine und Sahra Wagenknecht trommeln für eine neue linke Sammlungsbewegung. Lafontaine sagt: "Alle Linken in Deutschland müssen sich zusammenzufinden, um die Rechten kleinzuhalten. Wir dürfen die Fehler der Geschichte nicht mehr wiederholen." Gysi sagt, in Übereinstimmung etwa mit Dietmar Bartsch und Katja Kipping: "Die Linke braucht vieles, aber keine neue Partei."

Mindestsynthese Mindestlohn

Wirklich nicht? Muss es nach Jahren des neoliberalen Selbstverrats der SPD, der erfolglos auf Regierungserwartung zielenden weiteren Verbürgerlichung der Grünen und der Selbstzerfleischung der Linkspartei nicht einen Neustart geben? Wie oft soll man noch warten auf die jetzt aber, diesmal ganz sicher einsetzende Selbstbesinnung der Sozialdemokraten? Finden sich bei Bündnis 90/Die Grünen nicht vielleicht doch noch ein paar Leute, die vom Wir-sind-für-jeden-Spaß-zu-haben-Pragmatismus die Schnaue voll haben? Sind ein klassenbewusster Internationalismus und der Kampf gegen die Ungleichheit in Deutschland wirklich so unvereinbar, die Linke so unfähig zu parteiinternem Pluralismus wie es scharfe Kritik an Lafontaine und Wagenknecht vermuten lässt? Ist nicht Wagenknechts Forderung, den deutschen Mindestlohn zumindest einmal auf das Niveau des französischen zu heben, um Europa zusammenzubringen ein erstes Beispiel für eine derartige Synthese?

Die Fraktionsvorsitzende hat am Sonntag gesagt: "Am groteskesten finde ich den Vorwürf, ich hätte jetzt vor, die Linke zu spalten. Wer den Unterschied zwischen einer Sammlung und einer Spaltung nicht erkennen kann, der hat doch irgendwie gar nicht verstanden." Wagenknecht brachte zum Ausdruck, was vielen durch den Kopf geht, wie sie zu ihr nun auch stehen: Dass die heutige Situation doch nicht zufriedenstellen könne. Dass etwas in Bewegung kommen müsse. Dass es einen neuen linken Aufbruch brauche, dass "wir doch nicht zuschauen wollen, die Höckes und Gaulands im Schlepptau der neoliberalen Politik immer stärker werden, dass gerade die Verlierer dieser Politik, die am meisten Benachteiligten jetzt in zunehmendem Maße dazu tendieren, solche Parteien zu wählen."

Und dass eine Bewegung natürlich nicht von oben, auf Knopfdruck oder "weil irgendjemand ein Interview gibt" entstehe. Aber dass die Linke doch sagen müsse, wofür sie stehe.

Selbst, wenn die SPD sich nun tatsächlich besinnen und Koalitionsverhandlungen mit der Union ablehnen und dadurch wohl Neuwahlen provozieren würde, stellte sich ja die Frage, was denn aus linker Sicht daraus folgen solle; ob es nicht fast schon gelte, auf eine schwarz-gelbe Mehrheit zu hoffen, um sich links – nun ja, eben – erst einmal zu (ver)sammeln.

Ob mit Neuwahl oder ohne, zwei Prämissen bräuchte solch eine Versammlung: Das Eingeständnis einerseits, dass reflexartige Reaktionen auf die Namen Wagenknecht und Lafontaine nicht weiterhelfen und dass beide einer Menge Linker in Deutschland aus dem Herzen sprechen. Und die Erkenntnis andererseits, dass Bewegungspotentiale, Anknüpfungspunkte an soziale Bewegungen also, heute wenn überhaupt, dann aus dem Spektrum von Personen wie Katja Kipping heraus bestehen.

Den Satz, auf den sich bei aller Heterogenität ja wohl alle Bewegungswilligen einigen können sollten, hat Lafontaine am Wochenende ausgesprochen: "Links ist, wer die Eigentumsfrage stellt."

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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