Es gab da ein Versprechen

Chemnitz Dass Jagdszenen wie jetzt in Sachsen möglich sind, steht in krassem Gegensatz zu Beteuerungen der Regierenden, Exzesse rechter Gewalt werde man nie wieder zulassen
Der Staat nimmt das hin
Der Staat nimmt das hin

Foto: imago/Michael Trammer

Angela Merkel ist gerade dabei, ihr Versprechen von Ende Mai dieses Jahres zu brechen. „Unverzichtbar“, so sprach die CDU-Bundeskanzlerin bei der Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag des Brandanschlags in Solingen, „dass die deutschen Sicherheitsbehörden alles unternehmen, was in ihrer Macht steht, um rechtsextremistische Verbrechen zu verhindern und aufzuklären“. In Chemnitz hat es in diesen Tagen rechtsexstremistische Verbechen gegeben – wiederholt haben Teilnehmer den Hitlergruß gezeigt, Journalisten bedroht, Menschen gejagt.

Die Polizei? Trotz vielfacher Warnungen von Beobachtern nicht ausreichend präsent. Der CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer? Sehr lange segr schweigsam. Der CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer? Mit einem Besuch an der deutsch-österreichischen Grenze beschäftigt. Die Bundeskanzlerin? Lässt ihrem wohlklingenden Plädoyer von Minderheitenschutz, Pressefreiheit, Demonstrationsmöglichkeiten nur weitere Selbstverständlichkeiten folgen, verbreitet über ihren Sprecher: „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin.“

Staatliches Versagen

Doch, der Staat nimmt das hin. Er unterbindet es nicht. Er nimmt in Kauf, dass in Chemnitz gerade eine Situation entsteht, die vermuten lassen muss, dass Taten von einem Ausmaß wie einst in Solingen wieder geschehen können – und zwar sehr bald. Wenn die Behörden vor Ort nicht willens oder fähig sind, rechte Exzesse wie den am Montagabend in Chemnitz rigoros zu unterbinden, dann ist als das Mindeste zu erwarten, dass die im Bund Regierungsverantworlichen deutliche Worte über dieses staatliche Versagen verlieren.

Und damit ist noch nichts gesagt über die Quellen der gegenwärtigen Eruptionen in Chemnitz: jahre- und jahrzehntelange Versäumnisse im Kampf gegen organisierte rassistische, gewaltbereite Akteure und Strukturen. Das – vor allem von Seehofer folgenlos betriebene – regierungsamtliche Befeuern eines xenophoben Diskurses, der Zuwanderung und Flucht zur alles überstrahlenden Bedrohung erhebt und die Grenzen des Sag- und Machbaren immer weiter verschiebt. Und eine Bundesregierung, die es in ewig schwarz-roter Konturlosigkeit versäumt, alle Warnungen vor steigender Konkurrenz um Sicherheit und Wohlstand Lügen zu strafen, indem sie wirklich um die Zukunft des Sozialstaates ringt, grundlegende Zukunftsfragen wie Rente und Digitalisierung ausstreitet und angeht, statt sie in Expertenkommissionen zu verlagern und in abgehängten Regionen abseits der Metropolen massive Investitionsoffensiven exekutiert, statt sich mit Ambitionslosigkeiten wie der schwarzen Null, die am Ende für nichts anderes als eigene Zukunftsangst steht, zu brüsten.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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