Es soll halt weitergehen

Kommentar des Tages Nach Abschluss der schwarz-roten Sondierungen reden die Koalitionäre in spe vom Aufbruch. Was für eine Beschwörungsformel!
Es ist nicht lange her, da beschuldigte der Mann rechts die Frau links eines "Anschlags auf die Demokratie"
Es ist nicht lange her, da beschuldigte der Mann rechts die Frau links eines "Anschlags auf die Demokratie"

Bild: John MacDougall /AFP/Getty Images

Ein Mantra hat die designierte schwarz-rote Koalition schon: "Das ist ein Aufbruch", insistierte CSU-Chef Horst Seehofer gleich mehrfach am Freitagvormittag nach Abschluss der Sondierungsgespräche, und dass es "so viele Beschlüsse" gäbe, die diesen Aufbruch untermauerten. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz versprach einen "Aufbruch für Europa" und Angela Merkel, die einen "Auftrag" zu "spüren" versicherte, sekundierte: "Ein Aufbruch für Europa ist immer auch ein Aufbruch für Deutschland."

Auf Ebene der Duden-Definition mag dieses Reden noch formal unterfüttert sein: "Anfang, Auftakt, Beginn, Start" vermerkt dieser unter "Aufbruch"; aber von mehr als dem schnöden Auftakt einer weiteren Legislaturperiode unter Führung von CDU, CSU und SPD kündigen die 28 Seiten Einigungsprotokoll aus den Gesprächen nicht. Es geht halt weiter. Es ist eben eine stabile Regierung in Aussicht, wenn auch nur noch mit 399 von 709 Mandaten im Bundestag, gegenüber 503 von 630 in den vergangenen vier Jahren. Das reicht ja noch für eine Laufzeitverlängerung der drei im September eigentlich abgewählten Vorsitzenden der drei Parteien. Wie sehr die sich noch vor Beginn von Koalitionsverhandlungen an Beschwörungsformeln und Selbstvergewisserung klammern, lässt tief blicken.

Natürlich "nachhaltig"

Es ist kein Aufbruch, "die gesetzliche Rente auf heutigem Niveau von 48% bis zum Jahr 2025 gesetzlich" abzusichern. Es wäre ein Aufbruch, dieses Rentenniveau anzuheben, und überdies nicht am Drei-Säulen-Modell festzuhalten, sondern mit dem Ausstieg aus der Teilprivatisierung der Altersversorgung zu beginnen. Dafür wiederum dürfte sich eine Regierung nicht damit begnügen, alle mit einem über etwa 55.000 Euro liegenden Einkommen von der Abschaffung des Solidaritätszuschlags auszunehmen, sondern müsste hohe Einkommen und solche aus Kapital stärker in Verantwortung nehmen. Ein Aufbruch wäre, nicht einfach nur eine Ungerechtigkeit wie die Abschaffung der Parität bei der Krankenversicherung durch deren Wiederherstellung zurückzudrehen, sondern eben eine Bürgerversicherung. Und ein Aufbruch für Europa wäre, nicht nur den harten Austeritäts-Duktus des Koalitionsvertrages von 2013 aufzugeben und stattdessen wolkige Worte von einer nachhaltigen Stärkung der Eurozone, fairer Mobilität und einem Sozialpakt zu formulieren. Sondern gemeinsame Schuldenhaftung, Arbeitslosenversicherung und öffentliche statt wie jetzt vor allem private Investitionen in Angriff zu nehmen.

Und wenn all dies in einer schwarz-roten Koalition undenkbar ist und hierfür auch keine andere parlamentarische Mehrheit besteht, dann hätte zumindest eine neue Form des Regierens einen Aufbruch andeuten können. Doch weder von einer Minderheitsregierung noch von einer Kooperations-Koalition ist irgendwo noch die Rede. Alles, was an Aufbruchpotential bleibt, ist der Hinweis von Juso-Chef Kevin Kühnert: Er erinnerte daran, dass jede und jeder noch in die SPD eintreten und so am Mitgliederentscheid über die Fortsetzung von Schwarz-Rot teilnehmen könne.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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