Wer seine Brötchen als professionelle Moderatorin verdient, kann sich jetzt in Berlin-Friedrichshain um einen interessanten Auftrag bewerben: Im zuletzt eskalierten Konflikt rund um das Haus in der Rigaer Straße 94 bereitet das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg einen Runden Tisch mit allen Beteiligten vor. Ebendies hatten Anwohner aus dem dortigen Samariterkiez zuletzt vehement eingefordert.
Ende August war die Rigaer Straße wieder kurz in den Schlagzeilen – Unbekannte hatten Wahlkampfhelfer der rechtspopulistischen Partei Pro Deutschland attackiert und waren laut Berliner Polizei in ein an der Straße gelegenes Haus geflüchtet. Schilderungen von Anwohnern zufolge hat die Polizei daraufhin wieder kurzzeitig ihre Präsenz verstärkt. In den Wochen zuvor hatten sich die Beamten zurückgezogen, die monatelangen anlasslosen Personenkontrollen und die Abriegelung des 1990 besetzten Hauses Nummer 94 mit 1992 legalisierten Mietverträgen schienen passé.
Neuer Gerichtstermin
Berlins CDU-Innensenator Frank Henkel hatte das Viertel 2015 zum „Gefahrengebiet“ erklärt, Polizisten, Autonome und Hausbesetzer lieferten sich immer wieder Scharmützel. Beruhigt hatte sich die Lage erst, nachdem der Betreiberverein der Kneipe „Kadterschmiede“ erfolgreich gegen deren Räumung unter Polizeischutz geklagt hatte und sich die Polizei zurückzog. „Der Einsatz war gefahrenabwehrrechtlich begründet und diente dem Schutz der Bauarbeiter“, rechtfertigte sich der von vielen Seiten unter Druck geratene Henkel. Der bisher unbekannte aktuelle Eigentümer des Hauses hat gegen das Mitte Juli ergangene Versäumnisurteil Beschwerde eingelegt – am 14. September kommt es zur Neuauflage der Verhandlung.
Am selben Tag endet die Bewerbungsfrist einer Ausschreibung des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg: Gesucht wird ein Dienstleister für die „Organisation, Moderation und Dokumentation eines dialogischen Aushandlungsprozesses im Kiez um die Rigaer Straße in Friedrichshain“. Einzureichen ist ein maximal vierseitiges Konzept, gefordert außerdem eine Einarbeitung in die Geschichte des Samariterkiezes seit 1989, die wohnungswirtschaftliche Situation und die soziale Struktur der Bewohnerschaft.
Bereits im Juli hatte es einen ersten Runden Tisch mit Anwohnern, jedoch ohne Bewohner des Hausprojektes und ohne Vertreter des Senats wie der Polizei gegeben. „Dabei haben sich zwei Themen, die für die Leute im Kiez zentral sind, herauskristallisiert“, sagte Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) dem Freitag: Die Auswirkungen der Einstufung des Kiezes als kriminalitätsbelasteter Ort für die Lebensqualität der Bevölkerung sowie die Entwicklung der Gegend im Zeichen steigender Mieten.
Noch in diesem Jahr soll der Dialogprozess unter professioneller, neutraler Moderation mit einer „Gebietsversammlung“ starten und bis Mitte 2017 mit einer Dokumentation der Ergebnisse abgeschlossen sein. Bis zu vier Veranstaltungen sind zum Themenfeld Stadt- und Mietenentwicklung geplant, eine zu „Sicherheit/Polizeipräsenz/Umgang zwischen Staat und Bürgerinnen/Bürgern“. Teilnehmen sollen „Anwohnerinnen und Anwohner, Initiativen, Projekte, Eigentümerinnen, Genossenschaften, Wohnungsverwaltungen, öffentliche und private Einrichtungen“ wie Schulen und Kitas sowie Bezirksabgeordnete, Bezirksamtsvertreter, die Berliner Polizei und die Senatsverwaltungen für Inneres und Stadtentwicklung.
SPD will, CDU will nicht
Letztere, geführt von SPD-Senator Andreas Geisel, ist dazu bereit: "Wir würden uns bei entsprechender Einladung konstruktiven Gesprächen mit den friedlichen Anwohnerinnen und Anwohnern nicht verschließen, wenn es dazu dient, die Situation im Samariterkiez zu entspannen“, sagte ein Sprecher dem Freitag. Auch die Berliner Polizei ist offen für Gespräche: "Wir werden uns am Dialogprozess beteiligen", kündigte ein Sprecher an.
Kein Interesse hat dagegen CDU-Innensenator Henkel: „Eine Teilnahme der Innenverwaltung ist nicht vorgesehen“, so beantwortete Henkels Sprecher eine Anfrage. Bisher unbeantwortet ließen die Bewohner der Rigaer 94 eine Email-Anfrage zu ihrer Bereitschaft, mit am Runden Tisch zu sitzen.
Die Beteiligung einer CDU-geführten Innenverwaltung könnte sich nach dem 18. September ohnehin erledigt haben: An diesem Tag wählt Berlin sein Abgeordnetenhaus neu, eine weitere Regierung mit der CDU scheint unwahrscheinlich, ein rot-grün-rotes Bündnis gilt als derzeit am ehesten vorstellbare Konstellation.
Die Zukunft des Hauses Nummer 94 ist indessen weiter offen: SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen hatte zuletzt die Übernahme der Verwaltung des Hauses oder gar dessen Kauf durch die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Degewo ins Gespräch gebracht. Tatsächlich haben Degewo-Vertreter Mitte August ein Treffen absolviert – allerdings nicht mit dem Eigentümer des Hauses, den die Wohnungsbaugesellschaft einer Sprecherin zufolge nach wie vor selbst nicht kennt, sondern mit einem „Eigentümervertreter“. Erörtert worden seien verschiedene Optionen unter der Voraussetzung der "Wirtschaftlichkeit" eines Engagements der Degewo.
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