Friedensverhandlungen: Ein Friedensstreif am Horizont der Ukraine?

Meinung Aktuelle Spekulationen in amerikanischen Zeitungen zu Verhandlungen mit Russland sind mit Vorsicht zu genießen. Im Krieg gilt schließlich noch immer: Schweigen ist das oberste Gebot. Das erschwert öffentliche Debatten
Ausgabe 45/2022
Sicherheitsberater Jake Sullivan: Verhandelt er mit Russland?
Sicherheitsberater Jake Sullivan: Verhandelt er mit Russland?

Foto: Anna Moneymaker/Getty Images

Immer schwierig ist das Verhältnis zwischen der öffentlichen Debatte über den Krieg und nötiger Geheimdiplomatie für den Frieden. Ohne Wissen um Gespräche im Verborgenen bleibt jeder Diskurs zu Strategie und Perspektiven Spekulation. Wer im Krieg das Gebot des Schweigens und angebliche nationale Interessen missachtet, muss drakonische Konsequenzen fürchten. Julian Assange sitzt weiter im Kerker.

Ein anderer Whistleblower, Edward Snowden, im Exil in Russland, hat gerade an einen Interviewausschnitt mit dem früheren CIA-Beamten Frank Snepp von 1983 erinnert: Detailliert schildert Snepp dort, wie er während des Vietnam-Krieges berühmte Journalisten hochrangiger US-Medien gezielt mit Informationen versorgte, die meist mindestens in Teilen falsch waren, aber Interessen der CIA dienten. Sogar für den Fall, dass Journalisten die Infos nachprüfen würden, baute Snapp vor; Botschafter anderer Staaten bat er etwa, die Falschinformationen zu bestätigen, sollten sie gefragt werden. Was sie auch taten.

Es gibt sich Illusionen hin, wer glaubt, diese Praxis sei eine der Vergangenheit. Wie laut doch etwa das Schweigen ist von Regierungen und Medien, die eigentlich mit Kapazitäten für investigative Recherche ausgestattet sind, wenn es um den Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee geht! Doch auch Nachrichten, wie sie nun in US-Medien wie Wall Street Journal und Washington Post zu lesen sind und Hoffnung zu stiften vermögen, gilt es mit Vorsicht zu genießen. Wenn etwa die Post berichtet, Washington habe Kiew dazu aufgefordert, Bereitschaft zu Verhandlungen mit Wladimir Putin zu zeigen, dann berichtet sie dies unter Berufung auf „Personen, die mit den Gesprächen vertraut sind“. Und wenn das Wall Street Journal schreibt, Joe Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan sei in den vergangenen Monaten in Kontakt mit seinem russischen Gegenüber Nikolai Patruschew sowie mit dem Putin-Berater Juri Uschakow gewesen, dann sind „Beamte der USA und ihrer Verbündeten“ die Quelle.

Mindestens in letzterem Fall ist zu hoffen, dass es sich nicht um Falschinformationen handelt. Dass im Vergleich zur Kuba-Krise vor 60 Jahren keinerlei Gesprächskanäle zwischen Moskau und Washington existieren könnten, das ist die schlimmste Befürchtung, geht es um die Möglichkeiten einer atomaren Eskalation. Gibt es diese Kanäle tatsächlich doch, so ist dies zu begrüßen.

Die mutmaßliche Motivlage dafür, Washingtons Druck auf Kiew öffentlich zu machen, liefert die Washington Post mit: bei Beibehaltung der Position, verhandeln würde die Ukraine erst mit einem Nachfolger Putins, könne die Unterstützung anderer Staaten erodieren.

Darum ging es auch Charles A. Kupchan, Barack Obamas einstigem Europa-Berater, als er nun in der New York Times einen Text publizierte, der ohne „mit den Gesprächen vertraute Personen“ auskommt: Inflation und Rezessionsgefahr seien „ein fruchtbarer Boden sowohl für illiberalen Populismus als auch dafür, den transatlantischen Konsens in Sachen Ukraine zu sprengen“, schrieb er, angesichts des atomaren Risikos sei es ohnehin „an der Zeit, Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch zu bringen“. Kupchan zeigte dafür ein Szenario auf: „Moskau muss seine Absicht aufgeben, einen großen Teil der Ostukraine zu annektieren, und Kiew muss sich mit einem Ergebnis zufriedengeben, das weniger als die Rückgewinnung des gesamten Landes bedeuten könnte.“

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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