Gegen die Erb-Krankheit

Finanzen An der Steuerpolitik würde Rot-Rot-Grün auch 2017 nicht scheitern
Ausgabe 38/2017
Veronica Ferres und Carsten Maschmeyer: zwei Opfer des Cum-Ex-Skandals
Veronica Ferres und Carsten Maschmeyer: zwei Opfer des Cum-Ex-Skandals

Foto: Franziska Krug/Getty Images

Wo Carsten Maschmeyer bei diesen Bundestagswahlen wohl seine Kreuze macht? Bei den Grünen vielleicht? Deren Finanzpolitiker Gerhard Schick jedenfalls hat er schon kennengelernt.

An einem Donnerstagnachmittag im vergangenen November war Maschmeyer als Zeuge vor den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestages geladen. Der Finanzunternehmer parlierte in der Rolle des Geprellten. Er gab sich ahnungslos ob jener Cum-Ex-Geschäfte auf Kosten aller Steuerzahlenden, die die Schweizer Bank Sarasin mit seinen Millionen und den Millionen der Seinen machte: Auf das Sammelkonto bei Carsten flossen zu dessen sieben eigenen 20 weitere Millionen seines damals 21-jährigen und zehn seines da „ja noch nicht mal“ 18-jährigen Sohnes, zwei Millionen von seiner Ex- und jeweils eine halbe von seiner aktuellen Frau Veronica Ferres und von seinem Kumpel, dem Fußballtrainer Mirko Slomka. Nicht nur, dass irgendwann die eingeplanten Renditen – Kategorie, Zitat Maschmeyer, „was richtig Geiles“ – ausblieben, der Unternehmer musste auch noch entdecken, dass sein Kapital in kriminelle Netzwerke geflossen war! Da zeigte der Grüne Schick rührend Verständnis: Solche Geschichten könne er nachvollziehen, viele Kleinanleger hätten ihm ganz Ähnliches berichtet: mangelhafte Information, folgenreich falsche Beratung – Kunden der von Maschmeyer groß gemachten Finanzvertriebsgesellschaft AWD seien übrigens auch darunter gewesen.

Fetisch Einkommensteuer

Es war einer der ganz wenigen Momente, in denen Maschmeyer die Mundwinkel senkte, nicht mehr ganz so vornehm dreinblickte und das Wort „Wahlkampfgetöse“ zischte. Die Grünen bekommen seine Stimme also wohl eher nicht.

Dabei hätte der laut Schätzung des Wirtschaftsmagazins Bilanz mit 1,2 Milliarden Euro Vermögen 133.-reichste Deutsche von ihnen gar nicht so viel zu befürchten. Klar, in ihrem Wahlprogramm 2017 fordern sie eine „verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögenssteuer für Superreiche“. Doch in Maschmeyers Augen muss das ein Fortschritt sein gegenüber 2013, als die Grünen versprachen, „auf allen Ebenen“ für eine Vermögenssteuer zu kämpfen und in Bundesrat wie -tag Mehrheiten für deren „verfassungskonforme Wiedereinführung“ zu nutzen. 100 Milliarden Euro wollte die Partei durch eine Vermögensabgabe erzielen, zu zahlen vom reichsten Prozent, den Deutschen mit mehr als einer Million. 2017 heißt es nach dem Satz zur Vermögenssteuer: „Selbstverständlich legen wir dabei besonderen Wert auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Innovationskraft von Unternehmen.“ Da ließe sich für den mit der Teilprivatisierung der Altersvorsorge reich gewordenen Milliardär sicher etwas machen; investiert Maschmeyer doch längst auch in „Start-ups“ und also „Innovationskraft“?

Auch die Söhne müssten sich nicht groß sorgen, etwa wegen der Grünen und der Erbschaftssteuer. Den älteren – Economics-Studium in London, dann Deutsche-Bank-Traineeship – hat Vater Maschmeyer einst zwecks Geschäftsanbahnung zu jener Sarasin-Bank nach Zürich geschickt, er wollte ja Fondsmanager werden. Nach dem Cum-Ex-Drama kümmert er sich heute „als Asset-Manager“ um „ganz konservative Fonds mit deutschen Aktien“, erzählte der Vater im November. Und wäre der Verdienst dort nicht „so richtig geil“, aufs Erbe könnte er wohl auch bei den Grünen zählen: Die Wiedergabe der entsprechenden Passage aus dem Programm 2013 würde hier den Großteil der Spalte füllen und den Text mit einen adäquat wütenden Tonfall darüber bereichern, dass „Erben nichts mit Leistung zu tun hat“. Dieses Jahr heißt es nur lapidar: „Die Große Koalition hat die Erbschaftssteuer komplizierter und nicht gerechter gemacht. Sollte sie abermals vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern, werden wir ein einfaches und gerechtes Erbschaftssteuermodell entwickeln, das mit dem Grundgesetz übereinstimmt.“

Bei Carstens alten Freunden von der SPD sollte die Familie da mehr Muffensausen kriegen: „Wir werden sehr große Erbschaften höher besteuern“, versichern die Sozialdemokraten, „mit einer umfassenderen Erbschaftssteuerreform mit weniger Ausnahmen stellen wir sicher, dass endlich mehr Gerechtigkeit bei der Besteuerung der Erbschaften realisiert wird.“ Und die Partei macht sich ehrlich hinsichtlich des im Herbst 2016 von CSU und Reichenlobby durchgepressten Erbschaftssteuer-Kompromisses: „Wir konnten nicht alle unsere Vorschläge durchsetzen.“

Gelb-schwarze Ideen

Steuerpolitik Nach der Bremse für die Schulden soll jetzt die nächste in das Grundgesetz – die für Steuern und Sozialabgaben. Mehr als 50 Prozent soll kein Bürger und keine Bürgerin mehr abgeben müssen, so will es die FDP. Das steuerpolitische Wirken der CDU beschränkte sich in den vergangenen Jahren darauf, den unter Rot-Grün vorgenommenen Paradigmenwechsel zulasten der Einkommensschwachen und Armen zu konsolidieren, so etwa durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Jetzt will die CDU die „Mitte unserer Gesellschaft“, also „Familien mit Kindern, Arbeitnehmer, Handwerker und Mittelstand“, um 15 Milliarden Euro Einkommenssteuer entlasten, am Erbschaftssteuer-Kompromiss von 2016 festhalten und ganz sicher nicht die 1997 ausgesetzte Vermögenssteuer wieder einführen.

Die SPD will eine „Reichensteuer in Höhe von drei Prozent auf den Spitzensteuersatz zukünftig ab einem zu versteuernden Einkommen für Ledige von 250.000 Euro“ und hat – zumindest nach Maßgabe von Steuerexperten, die es gern gerechter und gemäßigt zugleich hätten – das durchdachteste Konzept für eine Einkommenssteuerreform. Das will etwas heißen, denn die Einkommenssteuer ist der deutsche Fetisch auf diesem Feld – sosehr das Land verdrängt, dass seine Ungleichheit steigt, dass über seine Hartz-IV-Empfänger alles und über seine Vermögenden statistisch fast nichts bekannt, dass die Privilegierung von Kapital- gegenüber Arbeitseinkünften völliger Irrsinn ist, so sehr redet es sich die Köpfe heiß über diese Einkommenssteuer, bei der fast alle das Gleiche wollen: untere und mittlere Einkommen entlasten, Spitzensteuersatz später einsetzen lassen und erhöhen, Familien entlasten. Wer seine Stimmabgabe wirklich von den paar Euro netto mehr auf dem Lohnzettel abhängig machen will, die ihm persönlich eine Partei verspricht, der greife auf den simplen „Steuerrechner“ von faz.net zurück.

Spoiler: Sollten Sie nicht in der Liga von SAP-Chef Bill McDermott (13,8 Millionen Euro 2016) und VW-Boss Matthias Müller (9,6 Millionen) spielen, zeigt der Rechner den meisten Menschen im Land die Linke als stärkste Kraft zur Erhöhung des eigenen Einkommens an.

Von Japan lernen

Managergehälter waren zuletzt eines der Themen, bei denen Rot-Rot-Grün hätte darangehen können, seine im von forschen Vorschlägen zur Besteuerung der Reichen geprägten Wahlkampf 2013 errungene Mehrheit doch noch zu nutzen: Im Februar stritt der Bundestag unterhaltsam über Wege zur Deckelung von Bezügen wie bei SAP und VW. Doch wie bei der Erbschaftssteuer im Herbst zuvor beließ es die SPD bei ihrem Credo großkoalitionärer, also kleiner Schritte und seitdem war von dem Thema nichts mehr zu hören.

An den Steuern würden rot-rot-grüne Koalitionsgespräche auch 2017 nicht scheitern, auch wenn die einen Roten wie die Grünen sich nicht mehr so entschlossen zeigen wie vor vier Jahren und auch wenn die fortbestehende Entschlossenheit der Linken – fünf Prozent auf Vermögen ab einer Million und auf betriebsnotwendige Vermögen ab fünf Millionen, 60 Prozent auf Einkommen ab 260.533 Euro und 75 auf solche oberhalb einer Million, fünf Milliarden mehr für die öffentliche Hand durch die Erbschaftssteuer – wohl nicht in Reinform Eingang in den Koalitionsvertrag finden würde. Ein bisschen Reichensteuer für die Linke, Entlastung der „hart Arbeitenden“ für die SPD, reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Reparaturdienstleistungen für die Grünen – und eine Erbschaftssteuer, die diesen Namen verdient, für alle. Dass Letztere der Königsweg zur Bekämpfung der Ungleichheit ist, weil die Erhebung nur einmal anfällt und so in besserem Verhältnis zum Ertrag steht als jede Vermögenssteuer, das meint sogar der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums von Wolfgang Schäuble (CDU).

Bis zu 400 Milliarden Euro jährlich werden hierzulande zwischen 2012 und 2027 vererbt, schätzte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Juli. „Japans Reiche verlieren ihr Vermögen typischerweise nach drei Generationen“, hatte die Wirtschaftswoche im Mai eine Politikerin aus Tokio zitiert, um den dortigen Umgang des Fiskus mit dem Erben zu beschreiben.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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