Gemach, gemach!

Wahlrechtsreform Reformbedarf gibt es seit Jahren. Doch wieder einmal verschieben Union und SPD die Lösung eines Problems in die Zukunft und an eine Kommission
Ausgabe 35/2020
Die beiden Volksparteien wollen auch nicht zum Wohle der Demokratie auf eigene Macht verzichten
Die beiden Volksparteien wollen auch nicht zum Wohle der Demokratie auf eigene Macht verzichten

Foto: AFP Contributor/Kontributor

Hand aufs Herz, wer kann sofort erklären, was ein Überhang- und was ein Ausgleichsmandat ist? Fix, als Einstieg in die Debatte um den Bundestag als zweitgrößtes Parlament der Welt nach dem chinesischen und die von Union und SPD einmal mehr in Aussicht gestellte Reform des Wahlrechts: Gewinnt eine Partei mehr Wahlkreis-Direktmandate als ihr qua Zweitstimmenanteil Sitze im Bundestag zustehen, dürfen die siegreichen Direktkandidaten dennoch einziehen, dies sind „Überhangmandate“. Um das Zweitstimmenergebnis trotzdem zur Geltung kommen zu lassen, erhalten die anderen Parteien „Ausgleichsmandate“.

Alles kompliziert, aber gerecht und nunmehr problematisch: Mehr kleinere Parteien schaffen es ins Parlament, einstige Volksparteien verlieren an Zweitstimmen, gewinnen aber weiter die meisten Wahlkreise, vor allem CDU und CSU. Daraus folgt ein Reigen aus Überhang- wie Ausgleichsmandaten, und der Bundestag wächst, heute sind es 709 Abgeordnete, vielleicht bald schon mehr als 800.

Seit 2013 ist das Thema virulent, kein Norbert Lammert und kein Wolfgang Schäuble im Amt des Bundestagspräsidenten brachte Schwarz-Rot mit sehr eindringlichen Mahnungen zum Handeln. Nur Grüne, Linke und FDP präsentierten einen fundierten Vorschlag, der 250 statt 299 Wahlkreise vorsieht, was das Problem lösen würde.

Nun aber bleibt es bis 2025 bei 299 Wahlkreisen, 2021 sollen bis zu drei Überhangmandate nicht ausgeglichen werden, was zulasten der kleinen Parteien – auch der SPD – gehen dürfte. So passt es der GroKo, die ansonsten im üblichen Modus verfährt, das Problem also vertagt, in eine „Kommission“, welche jetzt aber sicher schnell ins Handeln kommen wird. Immerhin: 2025 soll es nur noch 280 Wahlkreise geben.

Das ist weniger eine Reform als Ausdruck des Unwillens der beiden einstigen Volksparteien, zum Wohle der Demokratie auf eigene Macht zu verzichten und den Veränderungen des Parteiensystems Rechnung zu tragen. Dafür entschädigen soll ein breit gehaltener Arbeitsauftrag für die Kommission: Sie soll gleich die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre prüfen sowie Wege zur gleichberechtigten Repräsentanz von Frauen und Männern auf den Kandidierendenlisten und im Bundestag. Super! Jetzt brauchen wir alle nur noch ein paar Jahre mehr Geduld.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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