Ein Goldman-Sachs-Banker als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium: warum eigentlich nicht? Vielleicht entpuppt sich der von Olaf Scholz (SPD) berufene Jörg Kukies ja als Glücksgriff für den deutschen Fiskus. Ein Staat, der endlich auf Augenhöhe mit privaten Finanzmarkt-Akteuren agieren und diese wirksam regulieren soll, braucht Expertise. Und wo soll diese Expertise besser zu bekommen sein als bei einem der global mächtigsten und erfolgreichsten Häuser für Investmentbanking und Wertpapierhandel? Ist ein Seitenwechsel dieser Art nicht besser als andersherum? Erst kürzlich ließ die neue scharz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zwei Beamte der unter Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) bundesweit erfolgreichsten Bekä
Norbert Walter-Borjans (SPD) bundesweit erfolgreichsten Bekämpfer von Steuerkriminalität ziehen – zur Beratungsgesellschaft Deloitte.Mit derartigen Argumenten verteidigt Jörg Kukies‘ Verpflichtung, wer diese für einen cleveren Schachzug von Olaf Scholz hält. Und zeigt so, wie sehr er schon selbst in das Gewebe des heutigen Finanzmarktkapitalismus verstrickt ist. Natürlich wird Kukies sich nicht zum Ritter der Definanzialisierung aufschwingen, eine effektive Finanztransaktionssteuer durchsetzen, Gestaltungsmodelle von Finanzmarktakteuren von vornherein meldepflichtig machen und mit dem Credo brechen, dass Staaten sich „den Märkten“ gefügig zu machen haben. Der Mann ist Teil einer „finanzkapitalistischen Spielanordnung“, bei der es kaum mehr einen Unterschied macht, ob jemand seinen Dienst im Namen des Staates oder für einen privaten Marktakteur versieht. Bei der völlig egal ist, ob jemand in der Position, wie sie Kukies antreten wird, SPD-Mitglied ist und einst Vorgänger von Andrea Nahles als Juso-Chef von Rheinland-Pfalz war. Eine Spielanordnung, die das Narrativ von „denen da oben“, die in Regierung und Banken eh machen was sie wollen, weiter nährt.Nicht der ganz große FischAls Teil eines Tandems mit Wolfgang Fink folgte Kukies 2014 an der hiesigen Goldman-Sachs-Spitze auf Alexander Dibelius, der in der Branche als exzentrisches Genie gilt; im Handelsblatt war damals von der Rückkehr alter Tugenden im Sinne von Teamfähigkeit und der Vermeidung von Reputationsschäden die Rede. Insofern gilt Kukies im Vergleich zu Dibelius manchen als zu unspektakulär, zu langweilig, zu sehr gewollter Politiker denn gewiefter Banker. „Seit seiner Zeit bei den Jungsozialisten hält sich Jörg Kukies für eine politische Begabung und kokettiert damit, dass er in Rheinland-Pfalz einst Vorgänger der SPD-Ministerin und designierten Vorsitzenden Andrea Nahles gewesen sei“, schrieb der Wirtschaftsjournalist Bernd Ziesemer im Februar im Magazin Bilanz. „In der Branche hält man ihn dagegen für den typischen Trader mit Geschäftssinn, aber noch nicht voll entwickeltem strategischem Verstand.“Den ganz großen Fisch hätte Scholz demnach nicht an Land gezogen; doch über Expertise, Branchenkenntnisse und -kontakte verfügt der designierte Staatssekretär für Finanzmarkt- und Europapolitik nach 17 Jahren bei Goldman Sachs, in denen er zum Co-Chef für Deutschland und Österreich sowie zum üppigst vergüteten Partner aufgestiegen ist, unbestritten. Vielleicht punktet er im gegenwärtigen Buhlen um Brexit-Flüchtlinge und holt ein paar mehr Banker aus London nach Frankfurt; in die entsprechenden Gedankenspiele der Branche über Verlagerungspläne war er bei seinem letzten Arbeitgeber schließlich aktiv involviert. Kukies kennt sich mit dem dieses Jahr zur Praxis werdenden Regulierungsprojekt Mifid II für Banken und Vermögensverwalter bestens aus, weiß ebenso über das insbesondere zwischen Europa und den USA umstrittene globale Baseler Regulierungsgroßprojekt Bescheid.Doch er wird diese Expertise eben ganz im Korridor des herrschenden Paradigmas exekutieren.Von der Wirtschaftswoche vor einem Jahr nach den zahlreichen Goldman-Sachs-Leuten in der US-Regierung und deren mutmaßlich bankenfreundlicher Politik gefragt, sagte Kukies: „Die Annahme ignoriert die Tatsache, dass schon große Teile der bisherigen Regulierung nicht gegen die Banken, sondern im Konsens mit ihnen entstanden sind.“ Und weiter: „Auch bei uns will niemand das Rad in die Zeit vor der Finanzkrise zurückdrehen. Es ist doch offensichtlich, dass es da falsche Anreize gab. Wir sind für mehr Stabilität und klarere Regeln.“ Genau das ist der Sound seit 2008: Im Grunde läuft alles weiter wie bisher, nur der komplette Exzess soll mittels stabilem, seriösem Erscheinungsbild schön fern scheinen. Die Finanzwirtschaft konsensual hätscheln und ihr die Realwirtschaft ausliefern, das ist der Status quo. Warum Kukies in der Euro-Politik irgendetwas anderes tun sollte als unbeirrt am deutschen Egoismus festzuhalten, ist nicht bekannt. Der bisherige Kurs wird beibehalten, wofür Olaf Scholz mit den Worten „Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister, da spielt die Parteizugehörigkeit keine Rolle“ bürgt.Brandstifter als FeuerwehrMit Kukies‘ Nominierung, so der Linken-Finanzpolitiker Fabio De Masi, imitiere Scholz Donald Trump und mache die Brandstifter zur Feuerwehr: „Mit Jörg Kukies wird Deutschlands Goldman-Sachs-Boy Nr. 1 beamteter Staatssekretär. Dann kann man auch gleich Bankster die Gesetzentwürfe schreiben lassen.“ Was ja in der Vergangenheit, beim Cum-Ex-Skandal, ohnehin schon der Fall war.Der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick erinnert sich an ein Treffen mit Kukies vor einigen Jahren: „Er hat damals voll und ganz in der Logik der Branche argumentiert. Und war nicht in der Lage, die Schattenseiten kritisch zu sehen.“ Die Progressive Soziale Plattform um den SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow nennt Kukies Nominierung ein „fatales Signal“. „Die Menschen und nicht die Banken sollten eine Lobby in der Regierung haben. Wir erwarten vom Finanzminister eine soziale und progressive Finanzpolitik und eine Abkehr von der Schwarzen Null.“Diese Erwartung wird vergeblich sein. Als weiteren Staatssekretär holt Olaf Scholz Werner Gatzer ins Ministerium zurück. Der wirkte dort schon unter Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble, er gilt als Architekt der „Schwarzen Null“. Gatzer ist übrigens Sozialdemokrat.