Holzbänke für den Bundestag!

Format 60 Minuten dauerte die Befragung der Bundeskanzlerin. Herausgekommen ist wenig – was den meisten genügen dürfte. So wird das nichts mit ungeschminkter Demokratie
Die Ruhe selbst
Die Ruhe selbst

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Ein paar mehr als sonst haben den Parlamentariern sicher zugesehen, bei der ersten direkten 60-Minuten-Befragung der Bundeskanzlerin im Deutschen Bundestag – oder zumindest Ausschnitte erhascht, in den Nachrichten. In Großbritannien, so verriet der Deutschlanfunk am Mittwoch, kommen die Befragungen der dortigen Regierungschefin auf durchaus beachtliche Reichweiten. Bis zu 54 Prozent der Briten sehen die Fragestunde zumindest in Ausschnitten.

Soll es in Berlin jedoch ähnlich unterhaltsam wie in London zugehen, dann braucht die deutsche Spielart des Formats mit je 30 Fragen und Antworten in 60 Minuten noch Modifikationen – so viel ließ die Premiere mit Angel Merkel am Mittwoch erkennen. Klatschen wäre wie bei der „Prime Minister´s Question Time“ zu verbieten, damit auch hier dieses vitale „Hört, Hört!“-Gegrolle erklingen kann. Und stellt die bequemen blauen Sessel aus dem Plenarsaal vor die Tür! (In Berlin kann die sicher wer gebrauchen.) Rein mit den Holzbänken, alle ganz eng zusammenrücken, das House of Commons steht Pate! Christian Lindner (FDP) direkt neben Leif-Erik Holm (AfD), mit ihrer Sicht auf den Euro haben die beiden gestrigen Fragesteller ein verbindendes Gesprächsthema.

Eingebetteter Medieninhalt

Nein, wenn zwei Neo-Merkantilisten Merkels neo-merkantilistische Euro-Politik angreifen, dann kann das nichts werden. Vielleicht ist auf der gelb-blauen Bank noch Platz für Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Die nutzte ihre Frage, um sich einzureihen bei den Heroen, die – ergebnislos – versuchten, Neues im vermeintlichen Riesenskandal um das BAMF zutage zu befördern, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

Die SPD säße natürlich Schulter an Schulter mit CDU und CSU – dann können beide wie diesen Mittwoch weiter diskutieren, wer sich den Riesenerfolg „Agenda 2010“ dicker auf die Fahnen schreiben darf: die früher mal den Kanzler stellenden Sozialdemokraten oder doch die damals aus der Opposition und im Bundesrat treibende Union.

Die Abgeordneten brachten die Kanzlerin nicht in die Bredoullie, was auf das Format zu schieben zu einfach wäre. Das souveräne Momentum des Nichtssagenden kann Merkel mühelos auch auf nur je eine Minute Redezeit erstrecken.

Kaum einer im Land glaubt wohl, dass die Lösung für millionenfache Kinderarmut, nach der der Linke Jan Korte fragte, in einer „massiven Verbesserung beim Kinderzuschlag“ – so Merkels Antwort – liegt. Aber zu vielen im Land genügen solche Antworten wohl, um erstmal doch alles in allem noch einigermaßen beruhigt zu sein in Bezug auf die Lage der Dinge.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

Sebastian Puschner

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