„Ich habe niemals eine Steuer-CD gekauft“

Interview Norbert Walter-Borjans hat Fiskaltouristen gejagt und ist nun nicht mehr der Herr über die Finanzen in NRW
Ausgabe 26/2017
„Denken Sie an Gustl Mollath: So sollten meine Fahnder nicht enden“
„Denken Sie an Gustl Mollath: So sollten meine Fahnder nicht enden“

Foto: Daniel Seiffert für der Freitag

Jetzt ist er weg. Sieben Jahre war Norbert Walter-Borjans Finanzminister Nordrhein-Westfalens (NRW), sorgte für den Ankauf von CDs und Sticks, deren Daten Steuerbetrüger auffliegen ließen, und brachte so etwa die Aufklärung des Cum-Ex- und Cum-Cum-Skandals ins Rollen. Nach der Landtagswahl Mitte Mai regieren nun CDU und FDP in NRW.

Walter-Borjans, SPD, ist sein Amt los, was vor allem in der Schweiz die freut, die ihrem Bankgeheimnis nachtrauern. Zuletzt hatte das Land sogar seinen Geheimdienst auf die an Daten stets interessierten NRW-Steuerfahnder angesetzt. Ihr Ex-Chef könnte sich nun ganz seinem Hobby widmen, der Bildhauerei.

der Freitag: Herr Walter-Borjans, wie gefällt es Ihnen denn hier in Berlin?

Norbert Walter-Borjans: (lacht) Ich werde es sehr vermissen, zwei- bis dreimal pro Monat in der Stadt zu sein. Das Hotel, in dem ich immer absteige, ist für mich zur festen Größe geworden, das wird mir schon fehlen.

Sie könnten sich dauerhaft hier niederlassen. Martin Schulz hat das Bundesfinanzministerium für die SPD reklamiert und Sie gleich im nächsten Satz genannt.

Er hat gesagt, dass ich den Kampf gegen Steuerhinterziehung in NRW vorangetrieben habe. Das freut mich. Wenn ich etwas zur Unterstützung beitragen kann, das Sinn und auch ein bisschen Spaß macht, werde ich das machen. Aber nach sieben herausfordernden Jahren schiele ich mit knapp 65 definitiv nicht auf Ämter.

Die SPD müsste auch erst einmal aus dem Umfragetief kommen. Wird das Steuerkonzept, das Sie mitentwickelt haben, da helfen?

Ja. Im Gegensatz zur Union haben wir ein Konzept und machen nicht nur inhaltsleere Versprechungen. Wir entlasten damit untere wie mittlere Einkommen und streben eine stärkere Beteiligung derer an, die sehr wohlhabend sind.

Warum nur will die SPD keine Vermögensteuer?

Ich selbst bin sicher kein Gegner der Vermögensteuer. Aber mir geht es um die Praktikabilität. Die Vermögensteuer wurde 1997 ausgesetzt, weil die Immobilien nicht adäquat bewertet werden konnten. Und das Problem haben wir noch immer. Seit vorigem Jahr gibt es zwar einen Bundesratsbeschluss für ein Bewertungsgesetz, aber es wird Jahre dauern, bis die 45 Millionen Immobilien in diesem Land durchbewertet sind. Ich bin sehr dafür, dass wir das Thema auf der Agenda lassen. Aber wenn wir heute sagen, wir machen 2019 eine Vermögensteuer, dann wird das nicht funktionieren.

Was ist mit der Erbschaftsteuer?

2016 saß ich dazu mit am Verhandlungstisch, trotzdem halte auch ich das von der Union durchgedrückte Ergebnis für schlecht. Es trägt die Handschrift des Pariser Platzes. Die Familienunternehmerlobby hat dort ihren Sitz, sie hat diesen Kompromiss über die CSU und Horst Seehofer geprägt. Darum braucht es eine stärker von der SPD geprägte Regierung, damit wir da als Erstes herangehen und dieses Gesetz grundlegend verbessern können. Es wird allerdings dauern, bis das dann wirkt.

Warum das denn?

Weil es vor Inkrafttreten jenes Kompromissgesetzes wahnsinnige Vorzieheffekte gegeben hat. Da sind 14 Monate alten Kindern per Schenkung ganze Unternehmen überschrieben worden. Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer werden deshalb viele Jahre auf niedrigem Niveau bleiben. Wir müssen das trotzdem unbedingt auf der Agenda behalten. In der nächsten Legislaturperiode aber wird die Gegenfinanzierung für Entlastungen der unteren Einkommen hier nicht zu holen sein.

Ein Teil der Gegenfinanzierung soll aus einem höheren Spitzensteuersatz auf Einkommen von mehr als 250.000 Euro kommen: 48 statt 45 Prozent. Die Linke will 60 Prozent, und nach der ersten Million sogar 75 Prozent.

Wie François Hollande. Der musste das auch wieder beerdigen. Ich habe ja nichts dagegen, wenn die Linke hier so in die Debatte geht, halte 75 Prozent aber für völlig unrealistisch. Diese kommunikative Außenseiterposition wird man nicht durchhalten können. Ich halte mehr davon, klarzumachen, dass sich eine Menge Leute und Unternehmen vor ihrer finanziellen Verantwortung drücken. Die können tatsächlich erheblich stärker zur Kasse gebeten werden.

Das haben Sie ja gemacht, viele CDs gekauft und Steuerbetrügern das Handwerk gelegt. Jetzt regiert Schwarz-Gelb in NRW. Ist dieses Thema den Leuten egal?

Sicher nicht. Mir haben die Leute überall gesagt: Macht bloß weiter damit, gerade auch solche aus der Wirtschaft, die sicher keine SPD-Stammwähler sind. Zuletzt wurde ich eher gefragt, warum wir das im Wahlkampf nicht viel stärker zum Thema gemacht haben.

Gute Frage.

Es ging in diesem Wahlkampf viel um Bildung und Sicherheit. Wir hätten wohl durchaus ein Stück deutlicher herausstellen sollen, dass die Finanzierung von Schulen und Polizisten deutlich schwieriger wird, je mehr Menschen sich ihre eigene Steuergesetzgebung schaffen und so die Einnahmen der öffentlichen Hand schmälern.

Zur Person

Norbert Walter-Borjans, 64, studierte an der Uni Bonn Volkswirtschaftslehre und arbeitete als Produktmanager bei Henkel. 1984 wechselte er in die NRW-Staatskanzlei, wurde bald Sprecher von Ministerpräsident Johannes Rau, später Staatssekretär im Saarland, unter anderem im Kabinett Oskar Lafontaines. Er war Wirtschaftsdezernent und Kämmerer in Köln, bevor er 2010 Finanzminister von NRW wurde. Walter-Borjans hat vier Kinder und gehört zu den Gründern des ökologischen Verkehrsclubs VCD

Vielleicht denken Wähler: Bei all den Erfolgen, am Ende wird es nie aufhören mit diesem Betrug. Weil dafür alle Staaten weltweit mitziehen müssten.

Nein, meine Erfahrung ist eine ganz andere. Wir haben elf Datenträger für 19 Millionen Euro gekauft und damit für Bund und Länder sieben Milliarden an Mehreinnahmen ausgelöst. Dass wir heute in Deutschland ein hohes Steueraufkommen haben, das hat auch damit zu tun, dass 130.000 Steuerhinterzieher Selbstanzeige erstattet haben. Denn ich vermute mal, die zahlen nun ihre Steuern und werden das in Zukunft tun.

Warum sagt dieser Staat nicht: Jede Art von Steuergestaltungsmodell ist fortan melde- sowie genehmigungspflichtig?

Es gibt eine solche Initiative der Länder im Bundesrat. Aber was der Bundesrat beschließt, wird vom Bundesfinanzministerium noch lange nicht aufgegriffen. Wolfgang Schäuble hat, nachdem wir sein Steuerabkommen mit der Schweiz 2012 endgültig gestoppt hatten, eines gelernt: Er kann Maßnahmen gegen Betrug nicht mehr mit Verweis auf angeblichen internationalen Steuerwettbewerb abwehren, sondern er muss die Rhetorik des Kampfes dagegen übernehmen.

Aber eben nur die Rhetorik.

Ganz genau. Ein Beispiel: die Manipulation, die es in unglaublichem Maße mit Registrierkassen und Taxametern gibt. Schäubles Staatssekretär Michael Meister hat erst überall und gerade in Journalistenkreisen herumerzählt, die NRW-Berechnungen zur Höhe des Schadens von bis zu zehn Milliarden Euro seien völlig übertrieben. Obwohl Kassenhersteller sie eher für untertrieben hielten. Dann hieß es Mitte 2014 plötzlich: In drei Monaten wird es ein Gesetz geben. Das kam dann Anfang 2016. Doch es ist voller Lücken, total zahnlos.

Wie erklären Sie sich Schäubles Verhalten?

Mein Fazit nach sieben Jahren Zusammenarbeit mit ihm lautet: Entweder es ist ein abgekartetes Spiel zwischen ihm und seinem Haus, eine zur öffentlichen Darstellung konträre Politik zu betreiben. Oder Schäuble hat durchaus Prinzipien, ist aber sehr einsam in seinem Ministerium. Ich glaube an Letzteres. Die Aufarbeitung des Cum-Cum-Betrugs mit Dividenden ist ein weiteres Beispiel. Offensichtlich wollte das Ministerium per Rundschreiben an die Finanzbehörden der Länder Banken vor Steuernachzahlungen schonen, die in die Milliarden gehen könnten.

Sitzen die im Ministerium auf dem Schoß des Bankenverbands?

Wir haben im Bundestagsuntersuchungsausschuss jedenfalls erfahren, dass es da einen Herrn gab, der für seine Arbeit sowohl vom Finanzministerium als auch vom Bankenverband bezahlt wurde.

Das geschah aber auch zu der Zeit, als Peer Steinbrück von der SPD Minister war. Der meinte, dieser Herr habe auf solch einer unteren Ebene im Haus gearbeitet – über die könne ein Minister unmöglich komplett Bescheid wissen.

Das ist auch nicht ganz falsch. Aber wenn ich als Minister eine Chance habe, dann ist es die, eine gewisse Kultur zu entwickeln. Auf dieses Cum-Cum-Rundschreiben vom Herbst 2016 wäre ich nie aufmerksam geworden, wären meine Leute nicht zu mir gekommen, um Alarm zu schlagen. So konnten wir eine ungerechte Schonung der Banken stoppen. Oder die Ideen unseres Peter Beckhoff ...

... Deutschlands berühmtester Schwarzgeldjäger, 14 Jahre Leiter der Steuerfahndung Wuppertal, seit diesem Monat in Rente ...

Ja, nachdem sich allein in NRW mehr als 23.000 Personen selbst angezeigt hatten, schlug er vor: Wir könnten die doch noch mal besuchen und fragen, ob sie beraten worden sind. Durchaus heikel, denn die hatten ja reinen Tisch gemacht. Wir sind trotzdem an die Leute herangetreten, einige haben mit uns geredet und wir konnten nachweisen: Das sind nicht 23.000 einzeln agierende Steuerhinterzieher gewesen, sondern die wurden immer wieder von den gleichen Leuten bei den gleichen Banken beraten, da steckte ein Geschäftsmodell dahinter. So sind wir an die Banken rangekommen, konnten Hausdurchsuchungen machen und eine Menge mehr Material finden. Ich persönlich habe nie eine Steuer-CD gekauft oder ausgewertet. Ich habe nur dafür gesorgt, dass meine Fahnder Rückendeckung haben und nicht wie einst Gustl Mollath oder die hessischen Steuerfahnder für unzurechnungsfähig erklärt werden.

Jetzt führt die CDU wieder das Finanzministerium in NRW.

Das ist zumindest besser, als wenn die FDP das Ressort übernommen hätte. Immerhin schließt die neue Koalition den Ankauf von Datenträgern entgegen ihrer Haltung in der Opposition nicht völlig aus. Das ist erklärbar, denn die wissen ja, wie die Menschen das sehen. Angeblich überlegen deshalb auch die Bayern schon, nach meinem Weggang diesen Ansatz für Steuergerechtigkeit zu übernehmen – wohl eher als Marketing. Genau da liegt die Gefahr: dass es am Ende nur ums Reden und nicht ums Handeln geht, wie bei Schäuble.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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