Es soll Klassenzimmer geben in Deutschland, in denen Lehrpersonal die geimpften Schüler aufstehen und für sie klatschen lässt. Zwei Autorinnen schilderten dies jüngst in der Welt. Und selbst wenn sich ihre Anekdote so nicht zugetragen hätte, die Überschrift des Textes bliebe dennoch gültig: „Die Spaltung der Gesellschaft ist in den Schulen angekommen“.
Geimpfte und Ungeimpfte – für manche scheint es keine schärfere gesellschaftliche Demarkationslinie mehr zu geben. Wer wissen will, welches Ausmaß von Mobbing derzeit ungeimpfte Schülerinnen trifft, muss nur in die Schulen hineinhorchen. Und dies bei der Altersgruppe, die an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie am schwersten zu tragen hatte und bei der die Sinnhaftigkeit einer Impfung infrage zu stellen erlaubt sein muss: angesichts dessen, dass die Angst vor einer schweren Erkrankung von Kindern weitgehend irrational ist – übrigens nach den bisher nur sehr bruchstückhaft vorliegenden Erkenntnissen zur Omikron-Mutation auch in Südafrika –, die Möglichkeit zur Impfung gesundheitlich oder sozial vulnerabler Jugendlicher außer Frage steht und zudem die Ständige Impfkommission (STIKO) allerbeste Gründe hat zu schreiben: „Die STIKO spricht sich ausdrücklich dagegen aus, dass bei Kindern und Jugendlichen eine Impfung zur Voraussetzung sozialer Teilhabe gemacht wird.“
Eine Voraussetzung für soziale Teilhabe ist die Impfung bei Erwachsenen längst. Und von der einhergehenden gesellschaftlichen Spaltung braucht man nicht mehr viel zu erzählen – sie begegnet jeder und jedem im Alltag. Mein Lieblings-Beispiel für die damit einhergehende Groteske ist das eines Theater-Kollektivs, selbst erlebt: dessen Hausmeister durfte einem lang ersehnten Festival nicht zusehen, weil er ungeimpft ist und einigen Geimpften ein negativer Corona-Test nicht ausreichte. Ein ungeimpftes Darsteller-Duo hingegen, das seinen Impfstatus zum Thema der eigenen Performance machte, hingegen schon.
Ausschluss, Ächtung, Geldstrafen, die zeitweilige Kostenpflichtigkeit von Corona-Tests: Können wir nach zwei Jahren Pandemie nur noch im Strafe- und Verbots-Modus denken?
Kein Moralismus, bitte
Nein, es gibt Alternativen. Zum Beispiel Belohnung statt Bestrafung. Klatschen aber, das wissen wir von den Pflegekräften deutscher Krankenhäuser (und es wird vielleicht in den Klassenzimmern nicht anders sein), reicht nicht aus. Es braucht das, was die Linksfraktion längst im Bundestag beantragt hat: Geld. Eine Impf-Prämie.
300 Euro für jede Erstimpfung und weitere 200 Euro bei Boosterung in adäquatem Zeitintervall fordert der Linken-Bundestagsabgeordnete Christian Görke. Wobei der neue Bundesgesundheitsminister, Karl Lauterbach (SPD), erst einmal dieses adäquate Zeitintervall realpolitisch exekutieren müsste. Zur Zeit werden ja tatsächlich noch Über-60-Jährige nach stundenlangem Warten „ungeboostert“ heimgeschickt, weil ihre Zweitimpfung ein paar Tage weniger als sechs Monate her ist. Am Impfstoff kann das Ganze aber nicht scheitern – davon gibt es laut Lauterbach genug. Bliebe die Logistik. Aber um die kümmert sich ja jetzt ein Generalmajor der Bundeswehr.
Angenehmes Detail des Görke-Vorschlags: Die Impfprämie soll auch rückwirkend bezahlt werden! Jede und jeder bereits Geimpfte würde sie bekommen. Gut so. Wir brauchen jetzt nicht auch noch einen moralischen Streit darüber, wann sich wer hat impfen lassen. Hauptsache geimpft, um schwere Verläufe zu vermeiden und das weiterehin unterbezahlte und ausgedünnte Pflegepersonal in den Krankenhäusern zu entlasten.
Inflation? Eher nicht
Mit 37,5 Milliarden Euro beziffert Görke, zuvor Finanzminister in Brandenburg, die Kosten seines Vorschlags. Sollte uns das dieser Versuch nicht wert sein, in einer Zeit, in der der deutsche Staat mitunter dafür bezahlt wird, dass er Kredite aufnimmt? Am ehesten zu bedenken sind vielleicht die Effekte einer solchen Auszahlung auf die Inflation. Wobei der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dahingehenden Befürchtungen widerspricht und sogar eine noch höhere Prämie als Görke fordert: „Wir wissen aus Lotterien in den USA und anderswo, dass finanzielle Anreize wirken, um Menschen zum Impfen zu bewegen“, so der Ökonom.
Das sollte er wohl mal einigen Genossinen und Genossen Görkes verklickern: denn in den Reihen der Linkspartei ist die Prämien-Idee hochumstritten. In den Bundestags-Antrag der Fraktion haben es statt Sätzen von 300 und 200 Euro nur 100 und 50 Euro geschafft. Prominente Parteivertreter – inklusive der Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow – verwenden lieber sechs klug beschriebene Seiten auf das Plädoyer für eine allgemeine Impfpflicht. Zu deren Lektüre dürften die Marginalisierten dieser Republik eher keinen Zugang finden.
Die Kritik am Prämien-Vorschlag von außerhalb der Linken fällt derweil erwartbar, meist moralisch grundiert und insgesamt ziemlich schwach aus: „Es widerstrebt mir aufs Äußerste, dass ich jemanden bezahlen soll, damit er sich impfen lässt“, zitiert t-online.de die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar.
Lasst Hartz IV aus dem Spiel
Für Skepsis mag die bar der Evidenz weit verbreitete Annahme verantwortlich sein, dass sich das Gros der heute Ungeimpften aus ideologischen Gründen verweigert. Doch so gewaltig und gewalttätig die Bilder von Fackelmärschen vor dem Haus einer Ministerin auch sind: nach den vorliegenden Erkenntnissen ist nicht das Ausmaß hartnäckiger Impfgegnerschaft maßgeblich, von zentraler, aber weiter öffentlich unterbeleuchteter Bedeutung ist die soziale Dimension der Corona-Krise. Für den Status „ungeimpft“ gibt es häufig Gründe, die in Armut, Ungleichheit und einer für manches durchgeimpfte bürgerliche Milieu nicht vorstellbaren Institutionen-Ferne bestehen.
Würde die Kunde von einer 500-Euro-Prämie diese Ferne überwinden können? Durchaus vorstellbar, 500 Euro sind für viele Menschen eine Menge Geld, gerade in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Erschütterungen durch Lockdowns. Das Ganze sollte nur bitte nicht an logistischen Schwierigkeiten bei der Auszahlung scheitern. Und wehe, es kommt einer mit der Idee, den Betrag auf Hartz IV und andere Sozialleistungen anzurechnen!
Ganz unabhängig von der sozialen Dimension aber: Wäre es nicht einfach an der Zeit und schwer in Ordnung, dieses lästige, streitbehaftete, spaltende Thema Impfen mit etwas Positivem zu verbinden? 500 Euro Belohnung, wer würde die nicht gern nehmen und sich über sie freuen?
In der Slowakei sind sie schon soweit, zumindest teilweise: dort hat das Parlament statt einer Impfpflicht eine Impfprämie von 300 Euro für Über-60-Jährige beschlossen – sogar zwischen Regierung und Opposition herrschte dabei Eintracht.
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