In den Händen des Marktes

Autoindustrie Im Zeichen des Verkaufs von Opel an den französischen PSA-Konzern müht sich die Politik um staatlichen Einfluss. Den Abbau von Arbeitsplätzen wird sie kaum verhindern
Es bleibt nicht viel, worauf sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Rüsselsheim und anderswo nun verlassen können
Es bleibt nicht viel, worauf sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Rüsselsheim und anderswo nun verlassen können

Foto: Sache Schürmann/AFP/Getty Images

Schon an diesem Donnerstag, in zwei Wochen, vielleicht in drei – so plötzlich General Motors den Verkauf seines Europa-Geschäftes angekündigt hat, so schnell gedenkt der Konzern diesen zu exekutieren. Den Arbeitnehmervertretern bei Opel mit mehr als 18.250 Mitarbeitern in Deutschland bleibt keine Zeit mehr, einen mutmaßlichen Verstoß gegen Paragraph 106 des Betriebsverfassungsgesetzes zu prüfen, der gewisse Informationspflichten im Falle der Übernahme eines Unternehmens vorsieht. Dem Vernehmen nach wusste bis Mitte vergangener Woche ja nicht einmal Opel-Vorstandschef Karl-Thomas Neumann von den laufenden Gesprächen mit dem designierten Käufer Peugeot Société Anonyme (PSA).

So üben sich Betriebsräte und Gewerkschafter wie Neumann in Zweckoptimismus. Es entstünden ja der zweitgrößte Autohersteller Europas hinter Volkswagen und somit Skaleneffekte, bisherige Kooperationserfahrungen Opels mit PSA seien durchaus positiv konnotiert und in Richtung Elektromobilität wollen der Rhetorik nach ja beide.

Vor allem Letzteres sollte nachdenklich stimmen. Ende Januar, bei der Jahrespressekonferenz der IG Metall, sagte deren Erster Vorsitzender Jörg Hofmann zum Thema "konventionelle Antriebstechnik im Fahrzeugbau": "Hier arbeiten zirka 260.000 Beschäftigte. Allein in Folge der vorliegenden Pläne zur E-Mobilität der deutschen Fahrzeughersteller wird ein Drittel dieser Beschäftigten in 15 Jahren eine andere Tätigkeit ausführen als heute. Das sind 80.000 Beschäftigte."

Fragen der Transformation

Wie aber "eine andere Tätigkeit ausführen" nicht zum Euphemismus werden soll für den schnöden Verlust des jetzigen Arbeitsplatzes, das weiß keiner so genau. Es verhält sich ähnlich mit anderen, ohne jeden Zweifel dringend notwendigen Transformationen, der in der Energiewirtschaft etwa, wo ein endgültiger Kohleausstieg weiter in den Sternen steht, weil kein Verantwortungsträger in Wirtschaft wie Politik eine konkrete, Sicherheit gebende und somit teure Antwort geben will auf die Frage, was denn hernach mit den letzten Kohle-Kumpel des Landes geschehen soll.

Sicher, von Qualifizierungsoffensiven ist in der Automobilwirtschaft die Rede, was aber die Damoklesschwerter Elektrifizierung und Digitalisierung nicht stumpfer werden lässt. In ihrem Zeichen droht dem Rückgrat der hiesigen Volkswirtschaft, der Industrie, der Verlust vieler, vieler Arbeitsplätze.

"Substantielle Synergien"

Und so verhält es sich ganz im Allgemeinen auch mit Fusionen und Übernahmen, Epochen-übergreifend. Mag PSA mit Opel-Vauxhall wertvolles Know-How, Patente, Mengenrabatte beim Einkauf von Zulieferern sowie Marktanteile in Europa gewinnen – am Ende geht es bei derlei Zukäufen immer um das, was die Ratingagentur Moody's mit dezidiertem Blick auf PSA und Opel-Vauxhall schon "substantielle Synergien" nennt: Abbau von Doppelstrukturen – ergo: Arbeitsplätzen – zur Einsparung von Kosten.

Dabei mögen die Opelaner hierzulande gegenüber den Kolleginnen und Kollegen bei der Unternehmensschwester Vauxhall in Großbritannien noch die besseren Karten besitzen, weil die deutsche Mitbestimmung den Arbeitgebern beim Abbau von Stellen teure Sozialpläne zu diktieren vermag. Beschäftigungs- und Standortgarantien – bei denen nun auch die Frage geklärt ist, warum Arbeitnehmer in jüngster Vergangenheit vergebens auf eine Verlängerung warteten – reichen jedoch kaum weiter als ins Jahr 2018. Lang genug für die deutsche Regierung; die Bundestagswahlen sind für den 24. September 2017 datiert.

Dennoch fliegt Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) natürlich an diesem Donnerstag nach Paris. Was sie im Gespräch mit Frankreichs Regierung erreichen kann, ist absehbar: nicht viel. Der französische Staat verfügt über Anteile von gerade einmal 13 Prozent an PSA und kann damit allenfalls mit der Peugeot-Familie und den chinesischen Investoren als Miteigentümern auf Augenhöhe agieren. Das Gros des Konzerns befindet sich in Streubesitz, die Schicksale der 38.000 bisher bei General Motors (GM) Europa Beschäftigen damit in den Händen des Marktes.

Gelegenheit Trump

Dessen allgemeine Logik hat GM-Aufsichtsratschef Dan Ammann, ein früherer Morgan-Stanley-Investmentbanker, schon vor Wochen auf den Punkt gebracht, mit einer Äußerung, die nun als ex-ante-Erklärung für den Opel-Vauxhall-Verkauf gelten kann: "Wir werden weiter rücksichtslos in unseren Entscheidungen sein und nicht Geschäfte, Märkte und Gelegenheiten verfolgen, die für uns keinen überzeugenden Gewinn abwerfen." Seit 18 Jahren schreibt Opel rote Zahlen, 2016 waren es trotz kräftigen Aufwärtstrends noch 257 Millionen Euro.

Der neue US-Präsident mag mit seinem "America-First"-Slogan nun für die Trennung vom Europa-Geschäft, welche 2009 noch misslang, eine Gelegenheit liefern, wie sie GM-Vorstandschefin und Donald-Trump-Beraterin Mary Barra nicht verstreichen lassen kann, zumal ihr Unternehmen im Gegensatz zu Konkurrent Ford noch in größerem Umfang seine Pick-ups in Mexiko produzieren lässt.

In Europa läuft indessen das Rennen, wer bei Opel-Vauxhall noch wie lange Standorte und Arbeitsplätze halten kann. Die britische Premierministerin Theresa May wird in Frankreich vorstellig, um die dortigen Nachteile gegenüber deutscher Mitbestimmung und Sozialplänen wettzumachen. Sie könnte PSA hierfür üppige staatliche Gratifikationen offerieren, wie sie das schon gegenüber der britischen Dependance des japanischen Autobauers Nissan getan hat, als der seine Sorgen im Zeichen des bevorstehenden Brexits zum Ausdruck gebracht hatte.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

Sebastian Puschner

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