„In naher Zukunft droht keine neue Krise“

Interview Peter Bofinger ist einer der eigenwilligsten Wirtschaftsberater Deutschlands und mit seinen Ideen oft allein
Ausgabe 52/2015
Peter Bofinger ist der einzige Keynesianer unter den fünf Wirtschaftsweisen
Peter Bofinger ist der einzige Keynesianer unter den fünf Wirtschaftsweisen

Illustration: der Freitag; Material: Klaus Bürgle, Imago

Blau ist die Farbe Peter Bofingers: Seine Zeilen im aktuellen Gutachten der Wirtschaftsweisen stechen heraus, denn sie sind nicht wie der Großteil der 500 Seiten in schwarzer, sondern in blauer Schrift gehalten, stets überschrieben mit den Worten: „Eine andere Meinung“. Bofinger ist der Außenseiter im wirtschaftspolitischen Beratergremium der Bundesregierung, das ausbuchstabiert „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ heißt. Bofinger ist Keynesianer, für den Mindestlohn, für Eurobonds, für eine starke Rolle des Staates in der Wirtschaft. Und damit in ewigem Widerspruch zu den vier anderen Ökonomen des Gremiums, wenn dieses stets gegen Ende des Jahres Empfehlungen für die Zukunft vorlegt.

der Freitag: Herr Bofinger, nach Deutschland kommen mit den Flüchtlingen gerade viele neue Einwanderer. Das ist doch super für unsere Volkswirtschaft, oder?

Peter Bofinger: Erst einmal ist das eine schwierige Sache für unsere Gesellschaft. Gerade in den Städten konkurrieren künftig noch mehr Menschen um den ohnehin schon knappen Wohnraum. Gefährliche Parteien drohen stärker zu werden. Klar, die vielen jungen, wohl sehr motivierten Menschen bedeuten wegen der demografischen Lage in Deutschland auch ökonomische Chancen. Aber zunächst wird es schwer für die Gesellschaft, mit all dem zurechtzukommen.

Es gibt neue Investitionen für den Wohnungsbau. Und die schwarze Null im Haushalt, die Sie schon lange bekämpfen, wird 2016 Vergangenheit sein.

Ja, aber die schwarze Null hat ja an sich viel zu viel Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden. Sie ist zum Symbol geworden, als sei sie eine historische Leistung wie die Mondlandung. Dabei ist sie sehr viel eher Ausdruck fehlgeleiteter Wirtschaftspolitik. Gerade die niedrigen Zinsen derzeit bieten dem Staat die Möglichkeit, in zukunftsträchtige Bereiche zu investieren – nicht nur in Beton, gerade auch in Bildung.

In Deutschland schimpfen aber Bundesbank wie Kleinsparer auf die Niedrigzinsen.

Darin kommt zum Ausdruck, welch schizophrene Haltung wir hier gegenüber dem Finanzsystem haben: Schuldenmachen ist das Schlimmste, Sparen dagegen die höchste Tugend, gerade fürs Alter ist es ja auch nötig. Dass aber die Zinsen des Sparers wer bezahlen muss, der Kreditnehmer nämlich, das sehen wir nicht. Wenn dann auch noch der Staat, jahrelang ein guter Abnehmer von Spargeldern, sagt, dass er diese nicht mehr will und selbst seine Überschüsse an den Kapitalmarkt trägt, dann muss sich keiner wundern, wenn die Zinsen gegen null gehen.

Aber sind Niedrigzinsen und die expansive Geldpolitik nicht ein Ausdruck von Hilflosigkeit? Sie sollen die immer noch an Krisenfolgen laborierende Wirtschaft am Leben halten wie künstliche Ernährung die Sterbenskranken: ohne Aussicht auf nachhaltige Besserung.

Nein, ich sehe das anders. Es geht um ein tieferliegendes Problem der Weltwirtschaft durch die Umverteilung der letzten Jahrzehnte. Unternehmen und die Bezieher hoher Einkommen machen große Gewinne. Aber es lohnt sich für sie nicht zu investieren, was sie an Cash haben, weil die Nachfrage fehlt, die eben solche Investitionen lohnend machen würde. Und eben darauf zielt die Niedrigzinspolitik der Notenbanken in Europa, den USA, England oder Japan ab: Leute, die auf riesigen Geldvermögen sitzen und damit die Wirtschaft ausbremsen, mit Gewalt zum Ausgeben zu bringen. Das ist die Logik, und die ist gar nicht so schlecht.

Zur Person

Peter Bofinger, 61, hat an der Universität des Saarlandes bis 1978 Volkswirtschaftslehre studiert. Danach war er für drei Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im März 2004 wurde er selbst in das Gremium berufen und ist somit heute der dienstälteste der fünf Wirtschaftsweisen. An der Universität Würzburg hat er seit 1992 den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen inne

Kleinsparer trifft es trotzdem und die Vermögenssteuer gibt es hier in fünf Jahren immer noch nicht.

Diese Niedrigzinsen sind ja eine indirekte Vermögensbesteuerung. Dem kleinen Angestellten, der sich etwas spart, tun sie auch weh, ja. Aber die unteren 50 Prozent in Deutschland haben faktisch kein Vermögen. Daher sind die Niedrigzinsen gerade auch eine massive Besteuerung hoher Vermögen.

In Sachen expansive Geldpolitik sind Sie im Sachverständigenrat anderer Meinung als Ihre vier Kollegen, wie bei so vielem. Macht Ihnen die Rolle des ewigen Außenseiters eigentlich Spaß?

Ach, die meisten Dinge, die man im Leben regelmäßig tut, sind eine Mischung. Man wird über das Gremium in der öffentlichen Debatte sicher mehr wahrgenommen als wenn man einfach nur Professor ist, und die Auseinandersetzung mit den vier Kollegen ist fruchtbar, das macht überwiegend Spaß. Aber klar, es wäre mir lieber, hätte ich noch zwei Kolleginnen oder Kollegen, die ähnlich denken wie ich. Dann ließe sich die Gesamtprägung dieser Gutachten stärker beeinflussen.

Viele Studierende und Lehrende der Wirtschaftswissenschaften revoltieren gerade gegen den Mainstream der Disziplin. Auch Laien meinen, Ökonomen hätten nichts aus der Krise gelernt.

Das Problem der Ökonomie ist, dass sie viele Dinge eben nicht mit naturwissenschaftlicher Exaktheit herleiten kann. Es bleiben immer Einschätzungsfragen, und daraus ergibt sich letztlich Dissens.

Die Kritik wirft dem Mainstream ja vor, dass dessen Protagonisten vorgaukeln, es gäbe diese naturwissenschaftliche Exaktheit.

In der Tat sollte wir Ökonomen da demütig und bescheiden auftreten und nicht mit dem ganz großen Anspruch, ausnahmslos alles sehr genau zu wissen. Nehmen Sie das Beispiel Mindestlohn.

Den haben Sie stets befürwortet.

Aber im Herbst 2014 hätte ich ebenso wenig wie andere sagen können, welche Folgen genau der Mindestlohn haben würde. Meine Kollegen im Sachverständigenrat sahen das Risiko, dass er Arbeitsplätze vernichten würden. Ich wusste, dass branchenspezifische Mindestlöhne bis dahin in Deutschland keine Jobs gekostet hatten. Nach der Einführung hat es keinen Beschäftigungseinbruch gegeben, ich konnte mich bestätigt fühlen. Aber das war ja vorher nicht exakt zu prognostizieren. Hätte es eine andere Entwicklung gegeben, dann wäre ich schon sehr verunsichert gewesen.

Der Mindestlohn ist da, die schwarze Null fällt bald und von Sparpolitik kann in Europa kaum mehr die Rede sein, abgesehen von Griechenland. Die Dinge könnten schlechter laufen, oder?

Oh ja, das kann man so sagen. Wir haben im Euroraum gesehen, wie überzogenes Sparen das System in eine zweite Rezession gedrückt hat. Seit 2013 wird nicht mehr konsolidiert und dazu hat die EZB das Ganze noch richtig geldpolitisch geflutet. Es ist faszinierend, wie manche Ökonomen Spanien als Musterschüler darstellen. Spanien hat heute das zweitgrößte Defizit der hochentwickelten Länder nach Japan, sein Aufschwung kommt von öffentlichen Ausgaben, etwa für Auto-Abwrackprämien. Nur die Griechen mussten konsequent durchsparen. Was dabei herauskommt, das sieht man ja.

Steht im Rest der Eurozone dann alles zum Besten, oder wie?

Natürlich nicht. Das Problem ist, dass sich die Politik zurücklehnt und EZB-Präsident Mario Draghi den Ausputzer spielen lässt: Seine Amtszeit geht bis 2019, das ist für die Politik eine Ewigkeit. Natürlich wäre ein gemeinsames Programm, wo jedes Land etwa ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Zukunftsinvestitionen ausgeben kann, besser als diese expansive Geldpolitik auf Dauer. Und es tut Not, sich mit Fragen nach Eurobonds oder einem europäischen Finanzminister zu beschäftigen. Aber das ist eben unbequem.

Was, wenn bald der nächste Schock kommt, eine neue Krise?

Es gibt heute mehr Regulierung und Überwachungsmechanismen, mehr Eigenkapital bei den Banken. Das ist jetzt zwar gewagt, aber ich sage es trotzdem: Dass eine Krise von Art und Ausmaß wie nach 2007 in absehbarer Zeit aus dem Finanzsystem über uns hereinbricht, das glaube ich nicht.

Manche Ökonomen sehen das anders und fordern ein Vollgeldsystem. Privatbanken würde das die Möglichkeit nehmen, Geld und Kredite aus dem Nichts zu schöpfen. Was halten Sie davon?

Nichts.

Warum nicht?

Es ist unstrittig, dass die private Kreditschöpfung große Schäden angerichtet hat. Aber ein marktwirtschaftliches System lebt von Krediten. Bei aller Liebe: Es ist wie mit dem Straßenverkehr und den tödlichen Unfällen. Deretwegen müssen wir nicht das Autofahren verbieten und nur noch Kutschen nehmen. Sondern es viel sicherer machen. Vollgeld würde bedeuten, dass alle Kredite Staatskredite sind und Politiker über sie entscheiden.

Den Vollgeld-Leuten schwebt ja eher mehr direkte Demokratie vor: Bürgerinstitutionen, die über Kredite entscheiden, wenn es um Bereiche von öffentlichem Interesse geht.

Bei aller Kritik am Markt: Ob eine Firma einen Kredit erhält oder nicht, das sollte von Märkten und privaten Menschen entschieden werden. Der Straßenverkehr ist auch sicherer geworden, durch Tempolimits, Airbags, Leitplanken.

Die Finanztransaktionssteuer wäre eine solches Tempolimit. Jede Wette, dass es die Ende 2016 immer noch nicht geben wird.

Ich glaube auch nicht, dass diese Steuer solch eine tolle Lösung ist.

Warum nicht?

Es gibt zwei Arten von Finanztransaktionen: spekulative, die neue Risiken schaffen, und solche, mit denen etwa ein Unternehmen Risiken absichern kann. Eine Firma verkauft eine Maschine in die USA, die Zahlung dafür in Dollar wird in einem Jahr fällig, also sichert sich die Firma am Terminmarkt gegen eine Aufwertung des Dollars ab. Das zu besteuern ist unsinnig.

Keine Finanztransaktionssteuer, kein Vollgeld, keine Krisengefahr – keinerlei Reformbedarf also?

Es ist ja schon vieles reformiert worden. Mir macht vor allem die große Vernetzung der Banken untereinander Sorgen. Derzeit sind rund ein Drittel aller Bankaktiva des Euroraums Kredite an andere Banken. Das sollten wir dringend reduzieren, um im Krisenfall Dominoeffekte zu verhindern. Aber darüber wird derzeit leider kaum gesprochen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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