Ist da jemand?

Wirtschaftsspionage Thomas R. Köhler verzweifelt über die Naivität von ausgespähten Unternehmen
Ausgabe 41/2014
Die Bilder dieses Spezials sind Arbeiten des Streetfotografen Siegfried Hansen
Die Bilder dieses Spezials sind Arbeiten des Streetfotografen Siegfried Hansen

Foto: Siegfried Hansen

Spione lauern überall. Hinter dem Anhang einer harmlosen Mail, die ein Bekannter geschickt hat und die Spähsoftware auf den eigenen Rechner spielt. An der Steuerung einer Minidrohne mit HD-Kamera, die es für einen dreistelligen Betrag in jedem Onlineshop zu kaufen gibt. Oder am anderen Ende des Smartphonekabels einer öffentlichen Gratisladestation.

Keinen verwundert, dass Wirtschaftsspionage Hochkonjunktur hat. Die zunehmende Vernetzung unserer Welt, die Masse von noch so gut abgesicherten, aber eben doch mit dem Internet verbundenen Daten, die nahezu komplette Digitalisierung unserer Kommunikation: Der technische Fortschritt hat natürlich auch den Datendieben, Saboteuren und Hackern ganz neue Türen geöffnet, und er setzt dieses Türöffnen tagtäglich fort.

Thomas R. Köhler ist Edward Snowden ziemlich dankbar, das wird er in seinem gerade erschienenen Buch Vernetzt, Verwanzt, Verloren. Die unglaublichen Methoden der Wirtschaftsspionage nicht müde zu verdeutlichen. Endlich einer, der Bewusstsein schafft für die real existierenden Überwachungs- und Manipulationsmöglichkeiten, die existenzielle Bedrohungen bedeuten. Nein, hier geht es nicht um Freiheitsrechte. Hier geht es um Unternehmen, denen die Insolvenz des kanadischen Netzwerkausrüsters Nortel eine Mahnung sein soll: Ausgerechnet ein Unternehmen, das Telekommunikationsfirmen mit Technik versorgte, war jahrelang ausgespäht worden. Selbst als die Firma entdeckte, dass Unbekannte seit Langem Informationen absaugten, änderte sie nur die Passwörter. Die Angreifer aber hatten längst gut verborgene Spionagesoftware installiert, die weiter Daten lieferte.

Die Bilder des Spezials

Was für viele Menschen nur ein Brückenpfeiler ist, ein Rohr aus Stahl oder ein Riss im Beton, ist für Siegfried Hansen ein Motiv.

Hansen, geboren 1961 in der Nähe von Hamburg, gehört zu den bekanntesten Streetfotografen der Welt. Seine Arbeiten sind vielfach präsentiert in Gruppen- und Einzelausstellungen, nicht nur in Europa, auch in den Vereinigten Staaten kennt man sie.

Die Sujets findet der Fotograf auf Streifzügen durch deutsche Großstädte. Schatten, Ausschnitte, Linien, Farben – im Zentrum von Hansens Kunst stehen der urbane Kosmos und die Ästhetik des Zufalls.

Menschen, Gesichter, vorbeilaufende Passanten werden zu Statisten im Raum. Dabei bestechen Siegfried Hansens Bilder durch ihre Mischung aus Intuition und dem Vermögen, das nächste Motiv vorherzusehen.

siegfried-hansen.de

Mit Hinweisen auf die gegenwärtige Naivität der allermeisten Unternehmen gegenüber den gewachsenen Gefahren der Wirtschaftsspionage schreit Köhler seine Leser das Buch über geradezu an. Die Leichtfertigkeit hat einen systemimmanenten Grund: Investitionen in interne Sicherheitssysteme haben keinen konkreten return of investment. Sie bringen keinen unmittelbaren Profit. Der Autor berät selbst Firmen beim Aufbau sicherer Informations- und Telekommunikationstechnologie. Sein Buch ist aber mitnichten einfach nur Werbung für das eigene Metier. Hier schreibt jemand, den wirklich die Angst umtreibt und der entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, wenn der Mittelständler oder Großkonzern überhaupt nicht mitbekommt, dass die Konkurrenz aus China oder den USA schon längst über Konstruktionspläne, Kostenstrukturen und Angebote auf öffentliche Ausschreibungen informiert ist.

Ziel ist jeder

„Alles, was gemacht werden kann, wird auch gemacht“, schreibt Köhler über die wachsenden Möglichkeiten technikbasierter Spionage, ob sie nun von staatlichen Stellen wie der Spezialabteilung „Großaufträge für andere Staaten“ in Frankreichs Auslandsgeheimdienst, dem mindestens 100.000 Mitarbeiter starken technischen Nachrichtendienst Chinas oder der NSA ausgeht. Oder von privaten Konkurrenten. Es kann jeden treffen. Spionage sei „eines der wichtigsten Themen unserer Zeit“, meint Köhler.

Ein Thema an sich war es jedenfalls in allen Zeiten. Im Jahr 522 unterminierten zwei Mönche Chinas Monopol auf die Seidenproduktion, indem sie in den Hohlräumen ihrer Wanderstöcke Eier von Seidenraupen nach Byzanz schmuggelten und so die Seidenproduktion im Mittelmeerraum einläuteten. Ein jesuitischer Missionar war es, der den Chinesen im 18. Jahrhundert die Hoheit über das Porzellan entriss, er verriet Produktionsgeheimnisse nach Frankreich.

So ist das Buch ein Sammelsurium großartiger Geschichten. Es fehlt ein Blick in die Zukunft. Was bedeutet es etwa, wenn jetzt der Autobauer Tesla seine Patente vollständig offenlegt, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen? Ist das nicht ein vielversprechender, weil kooperativer Begriff von Innovation, der Industriespionage (und Spionageabwehr) überflüssig machen könnte?

Vernetzt, Verwanzt, Verloren. Die unglaublichen Methoden der Wirtschaftsspionage Thomas R. Köhler Westend 2014, 256 S., 19,99€

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

Sebastian Puschner

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