Ein wenig Durchzug schadet nie. Doch am Ende scheint das, was da vom Norden her durch die Republik weht, alles andere als ein Orkan zu sein. Die Bürgerschaftswahl in Hamburg stattet Rot-Grün wohl mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit aus, bestätigt das Verankerungspotenzial der Linken auch in westdeutschen Großstädten und hat mit CDU, FDP und AfD drei Verlierer. Letztere wird aber, so sagen es jedenfalls die Hochrechnungen mehr als vier Stunden nach Schließung der Wahllokale voraus, weiter in allen deutschen Parlamenten vertreten sein. Wer hoffte, die Hansestadt würde nach der Wahl eines Ministerpräsidenten mit Stimmen von Faschisten in Thüringen und nach dem mörderischen Rechtsterror in Hanau ein klares Signal senden, könnte sich enttäuscht sehen.
Beharrliche Affinität zum Rechtspopulismus gibt es eben nicht nur in ostdeutschen Flächenstaaten, sondern auch, wenngleich in niedrigerem Maße, in einer westdeutschen Metropole wie Hamburg, wovon schon einst die Regierungsbeteiligung der Schill-Partei zeugte und was nun ein AfD-Wahlergebnis bestätigt – welches im Vergleich zu den letzten Wahlen stabiler ausfällt als das der meisten anderen Parteien, ob nun am Ende knapp über oder knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde.
Ungeachtet dessen sieht sich in Hamburg „ein enges Bündnis zwischen gemäßigter Sozialdemokratie und aufgeklärtem Bürgertum“ bestätigt. Die SPD als „CSU des Nordens“ überflügelt mit wohl rund 39 Prozent sogar ihr südliches Pendant und dessen 37,2 Prozent bei den Landtagswahlen 2018 in Bayern, erzielt damit das beste sozialdemokratische Resultat aller Bundesländer – noch vor den zuletzt 36,9 Prozent in Niedersachsen 2017 und 36,2 Prozent in Rheinland-Pfalz 2016.
Die Grünen reüssieren als „sozialliberale Partei der Mitte“ und verdoppeln ihr Ergebnis auf etwa 24 Prozent. Wieder einmal aber wurden sie lange Zeit als stärkste Kraft gehandelt, verfehlen dieses Ziel am Ende aber deutlich. Ausschlaggebend ist dafür nicht zum ersten Mal ein lokal beliebter Frontmann in Person des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher, dessen Spitzenposition nicht einmal die Rolle seiner Partei beim größten Steuer-Raubzug der Geschichte, Cum-Ex, gefährden konnte. Mit einem stark auf den Landsvater zugeschnittenen Schlussspurt hatten die Sozialdemokraten zuletzt auch in Brandenburg das Ministerpräsidentenamt für Dietmar Woidke sichern können. Hier wie dort aber findet der Trend zum Niedergang der Volkspartein keinesfalls eine Umkehr: SPD wie CDU verzeichnen erneut deutliche Verluste, die SPD in Hamburg rund sieben Prozent.
Alles offen in Thüringen
Nichtsdestotrotz wäre ein Wahlergebnis wie jetzt in Hamburg noch vor kurzem dazu geeignet gewesen, den Bestand der Koalition von Union und SPD im Bund bis zum Ende der Legislaturperiode letztgültig zu versichern – stehen doch bis 2021 (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Bundestag) keine turnusgemäßen Wahlen mehr auf dem Programm. Doch seit der Kür eines Ministerpräsidenten durch die Stimmen von CDU, FDP und AfD in Thüringen am 5. Februar ist nichts mehr gewiss. Ob die am vergangenen Freitag zwischen Rot-Rot-Grün und CDU in Erfurt ausgehandelte Abmachung – Wahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten im ersten Wahlgang am 4. März, Verabschiedung von Landeshaushalt und Investitionspaket zugunster der Kommunen, Neuwahlen zum Landtag Ende April 2021 – Bestand hat, ist angesichts des offenen Widerstands aus der Bundes-CDU und diversen Landesverbänden offen – ebenso die Frage, wer Parteichef und Kanzlerkandidat wird.
Dass der 5. Februar eine derartige „Dynamik“ erzeugt, den Rücktritt Annegret Kramp-Karrenbauers erzwingt und sämtlichen Grundsatzfragen in der CDU eine solche Dringlichkeit verleiht, war wohl alles andere als die Folge eines Unfalls. Die handelnden Akteure, von der CDU-Landtagsfraktion in Erfurt bis zu FDP-Chef Christian Lindner wussten im Vorfeld des dritten Wahlgangs im Erfurter Landtag genau, sowohl wie sich die Höcke-AfD verhalten könnte als auch dass bald darauf in Hamburg ein rot-grüner Senat wiedergewählt werden würde. Das historisch schlechte CDU-Ergebnis wären demnach ebenso einkalkuliert gewesen wie der sich abzeichnende Fall der hanseatischen FDP unter die Fünf-Prozent-Hürde.
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