„Kein Sprint, sondern ein Marathonlauf“

Energiewende Claudia Kemfert, die wohl einflussreichste Ökonomin in Deutschland, spricht über Lobbyismus in der Energiebranche, staatliche Vorgaben bei der Frauenquote und Klimaschutz
Ausgabe 39/2014
„Zurück zu Pferd und Wagen? Da bin ich nicht dabei“
„Zurück zu Pferd und Wagen? Da bin ich nicht dabei“

Foto: Uwe Aufderheide

Vom Aufzug zum Vorzimmer sind es vier Schritte, und eine der beiden Sekretärinnen leitet sofort weiter in Claudia Kemferts Büro: Berlin-Mitte, gleich beim Gendarmenmarkt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, vierter Stock – dort arbeitet die Frau, die eine Studie gerade auf Platz 13 der 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands gesetzt hat. Vor ihr landeten zwölf Männer, von den 100 sind acht Frauen. Konkurrenzlos bleibt Claudia Kemfert auf ihrem Spezialgebiet: Wo für ein Podium ein Experte gesucht wird, um die Vorteile der Energiewende einfach zu erklären, ist Kemfert erste Wahl.

der Freitag: Frau Kemfert, es war einmal ein Land, das große Euphorie für seine Energiewende hegte. Die Euphorie ist längst verflogen. Warum?

Claudia Kemfert: Es gibt Kräfte, die sehr, sehr stark sind und die nicht wollen, dass die Energiewende so schnell umgesetzt wird oder sie am liebsten sogar ganz verhindern wollen. Diese Kräfte, leider immer wieder auch die großen Energiekonzerne, sind Lobbyisten der Vergangenheit. Ihretwegen haben die Energien der Zukunft ein Imageproblem.

Ist sie denn noch zu retten, die Energiewende?

Der Wechsel zu einer klimafreundlichen Versorgung findet früher oder später ohnehin statt, weil uns irgendwann die Kosten des Klimawandels oder die Öl- und Gaspreise über den Kopf wachsen. Es ist schlicht volkswirtschaftlich vernünftig, den Wandel jetzt so schnell wie möglich anzutreiben.

Aber jetzt sitzen die Kohlebarone fest im Sattel, den Ausbau der erneuerbaren Energien hat die Regierung begrenzt, und Klimaschutz ist zum politischen Nebenschauplatz geworden.

Mal langsam! Das Ganze ist kein Sprint, sondern ein Marathonlauf, und wir stehen jetzt vielleicht bei Kilometer fünf. In dieser wichtigen Startphase läuft jedoch leider vieles falsch: Kohlekraftwerke passen nicht in die Energiewende, trotzdem machen Landesregierungen ihren Betreibern neue Versprechen. Die Limits für den Ausbau erneuerbarer Energien sind kontraproduktiv, Nachfrage und Speicherung von Energie werden zu wenig betrachtet. Andererseits haben wir schon etliche Treibhausgase reduziert und den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf 25 Prozent gesteigert. Das könnte alles viel schneller und damit volkswirtschaftlich billiger gehen. Wenn man nur wollte.

Sie meinen damit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der politisch für das Projekt zuständig ist. Wenn Sie eine halbe Stunde unter vier Augen mit ihm hätten: Was würden Sie ihm sagen?

Ich würde mir wünschen, dass er nicht ausschließlich auf den Stromsektor schaut. Energiepolitik muss ebenso die Wärme, nachhaltige Mobilität, verbesserte Effizienz und die Steuerung der Energienachfrage sowie Speicherung im Blick haben. Als Gabriel noch Bundesumweltminister war ...

... in der Großen Koalition von 2005 bis 2009 ...

... hat er energiepolitisch wirklich viele gute Dinge bewirkt. Er hat die Energiewende konsequent unterstützt und euphorisch über ihre Vorteile gesprochen. Er weiß es also besser. Leider hört er nun als Wirtschaftsminister zu sehr auf vereinzelte Lobbygruppen.

Zur Person

Claudia Kemfert , 45, hat Wirtschaftswissenschaften studiert und leitet seit zehn Jahren die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

2012 berief sie Norbert Röttgen (CDU) als Energieministerin in sein Schattenkabinett für Nordrhein-Westfalen, 2013 machte sie Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) im hessischen Landtagswahlkampf zur Energiebeauftragten. Zur Regierungsbeteiligung brachten es beide nicht

Sie haben sich von der SPD in Hessen und davor von der CDU in Nordrhein-Westfalen als Schattenministerin aufstellen lassen. Warum wollen Sie unbedingt in die Politik?

Ich bin nicht aktiv auf die Politik zugegangen, ich wurde gefragt und habe zugesagt. Wenn es ein Politiker ernst meint mit der Energiewende, dann unterstütze ich ihn gern. Das würde ich immer wieder so machen.

Selbst wenn die Lage aussichtslos scheint? Nehmen wir an, Sie bekämen eine Einladung in Angela Merkels Kabinett: Sie glauben doch nicht wirklich, dort die Dinge in Ihre Richtung beeinflussen zu können?

Doch! Genau das wäre doch jetzt die spannende Aufgabe. Die Politik wäre gut beraten, sich wieder mehr auf die wissenschaftlichen Fakten zu berufen und nicht so sehr auf das, was man ihr aus Lobbyecken täglich zuruft. Ein Festhalten an Kohle und Öl ist ökologisch wie ökonomisch gefährlicher Unsinn, das ist völlig evident.

Sie betreiben selbst Lobbyarbeit: für die Energiewende. Was unterscheidet Sie von Eon- und RWE-Vertretern?

Halt, nein, ich bin keine Lobbyistin! Lobbyisten werden dafür bezahlt, dass sie bestimmte Interessen vertreten und ausschließlich dafür geeignete Argumente vortragen. Das tue ich nicht. Ich bekomme kein Geld aus der Wirtschaft, sondern vermittle als unabhängige Wissenschaftlerin empirische Fakten. Lobbyisten hingegen stellen ausschließlich Behauptungen auf. All dem kann ich sehr leicht entgegentreten, indem ich einen Blick in die Statistik und in die volkswirtschaftliche Empirie werfe. Dann sehe ich, dass es natürlich vor allem der Kohleindustrie hilft, wenn die Erneuerbaren jetzt nur noch mit angezogener Handbremse wachsen dürfen. Der Neubau von Kohle-kraftwerken und die Erweiterung des Kohle-Tagebaus sind volkswirtschaftlich ineffizient und verhindern den notwendigen Strukturwandel für die Energiewende. Ich möchte, dass die Menschen nachvollziehen und verstehen, dass hier ein Kampf verschiedener Kräfte stattfindet.

Die Wirtschaftswissenschaften sind eine durch und durch von Männern dominierte Disziplin, Sie haben dort als Frau Karriere gemacht. Wie?

Ich habe mich früh mit Energieökonomie beschäftigt, das entsprach meinem Interesse an Wirtschaftsthemen in der Schule. Also habe ich das studiert, und war sogleich fasziniert davon, wie präzise man das Verhalten einzelner Akteure beispielsweise am Ölmarkt bewerten kann. Später habe ich mich dann auch mit den volkswirtschaftlichen Kosten aller anderen Energieformen beschäftigt. Und in meiner Karriere hatte ich stets persönliche Unterstützer und Förderer. Ich bin meinen Weg so gegangen, wie es möglich war.

Wenn Sie es so geschafft haben, warum sollten wir dann eine verpflichtende Frauenquote für Spitzenpositionen brauchen?

Meine berufliche Karriere ist nicht gerade typisch für das, was sich gesamtgesellschaftlich empirisch messen lässt. Kolleginnen und Kollegen am DIW beschäftigen sich intensiv mit Genderfragen. Sie stellen immer wieder fest, dass es weniger Frauen in Führungspositionen gibt, als es volkswirtschaftlich vernünftig wäre. Eine Frauenquote könnte das durchaus ändern.

Einer Ihrer Kollegen hat gerade nachgewiesen, dass Frauen im Durchschnitt nicht nur 37 Prozent weniger Gehalt bekommen, sondern nach Einbezug von Vermögen aus Kapital, Renten und Pensionen sowie Steuersätzen insgesamt durchschnittlich halb so viel Einkommen haben. Machen Sie solche Zahlen wütend?

Ungerechtigkeit empört mich genauso wie viele männliche Kollegen. Leider nehmen viele Unternehmen freiwillige Selbstverpflichtungen nicht ernst. Das gilt bei der Frauenquote wie beim Klimaschutz. Darum sollte der Staat verpflichtende Vorgaben machen.

Die Forderung nach mehr staatlicher Regulierung der Wirtschaft ist heute Mainstream.

Aber jahrelang wurde uns die reine Ausrichtung auf immer mehr Markt mit wenig Staat als etwas Gutes verkauft. Doch wenn tiefgreifende Veränderungen wie die Energiewende nötig werden oder eine schwere Finanzkrise zu bewältigen ist, dann sehen wir: Mit reiner Marktwirtschaft kommen wir nicht weit. Wir müssen eingreifen, die Rahmenbedingungen für die Marktakteure sind entscheidend. Nur mit gezielten Instrumenten lassen sich Fehlentwicklungen des Marktes beheben.

Die Wachstumskritiker um den Volkswirt Niko Paech sagen: Wir brauchen dafür einen radikalen Wandel unseres Systems.

Niko Paech ist ein sehr guter Freund von mir, aber in dieser Sache sind wir unterschiedlicher Meinung. Er zweifelt das heutige Wirtschaftsmodell grundsätzlich an, das tue ich in diesem Umfang nicht. Zurück zu Pferd und Wagen, da bin ich nicht dabei.

Und warum nicht?

Wachstum an sich ist eigentlich kein Problem. Problematisch sind der verschwenderische Umgang mit Ressourcen, die Umweltzerstörung sowie Gier und Maßlosigkeit. Dem kommen wir bei, wenn wir die Märkte auf grünes Wachstum, auf eine grüne Revolution hin ausrichten. Aber ich wünschte, wir hätten in der Öffentlichkeit einen ebenso fruchtbaren Diskurs, wie Niko Paech und ich ihn haben.

Ist Ihre Disziplin konfliktscheu?

In den USA werden viel schärfere sachliche Debatten geführt, da streiten sich Nobelpreisträger in Kolumnen laut und deutlich, wie man bei der Finanzkrise schön sehen kann. Es geht da nicht um emotionale, sondern um wissenschaftliche Schärfe. Das wird von vielen Kollegen in Deutschland leider missverstanden.

In Deutschland rumort es unter Ökonomen aber gerade auch ganz schön: Junge Studierende begehren auf, weil ihnen die Lehre zu eindimensional auf die Neoklassik ausgerichtet ist.

Ja, diese jungen Studenten haben recht. Es ist absolut notwendig, dass die volkswirtschaftliche Ausbildung alle Theorien umfasst. Aber an vielen Universitäten werden immer mehr Lehrstühle eingespart, welche in der Vergangenheit vor allem die Theorienvielfalt vertreten haben. Wir brauchen jedoch den kritischen Diskurs aller Denkmodelle. Das ist in der Wissenschaft die Luft zum Atmen!

Falls Ihnen diese Luft zu dünn ist, könnten Sie ja statt in die Politik in die Wirtschaft gehen. Bei RWE und Eon gäbe es einiges zu tun beim Thema grüne Revolution.

In die Wirtschaft zu gehen, das ist immer etwas, das man sich als Wissenschaftlerin überlegen kann. Ich hatte im Lauf meiner Karriere einige Angebote und habe darüber nachgedacht. Aber ich bin mit Leib und Seele Wissenschaftlerin und liebe meinen Beruf zu sehr.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Das Gespräch führte Sebastian Puschner
Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

Sebastian Puschner

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