Letzte Hoffnung Bundesrat

Kapital Der Bundestag hat 13 Grundgesetzänderungen auf den Weg gebracht und öffnet dabei der Privatisierung der Autobahnen Tür und Tor. Deren Gegner protestieren am Freitagmorgen
Wenn dann die Maut für alle kommt, mag es noch Verkehrsmittel geben, um sie zu umgehen
Wenn dann die Maut für alle kommt, mag es noch Verkehrsmittel geben, um sie zu umgehen

Foto: Jörg Koch/Getty Images

Ist es eine Privatisierung oder nicht? Um diese Frage mit Blick auf die Zukunft der deutschen Autobahnen zu beantworten, lohnt es sich zu lesen, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die an diesem Donnerstag von Union und SPD beschlossene Gründung einer Infrastrukturgesellschaft Verkehr kommentiert: "Das Bekenntnis der Koalition zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften als einer wirtschaftlichen Beschaffungsvariante ist wegweisend für die Infrastrukturpolitik in Deutschland", erklärte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. Erst jetzt beginne die Arbeit. Und: "Umfassende Privatisierungsverbote zum Teil des Grundgesetzes machen zu wollen offenbart ein problematisches Verhältnis zu einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung.“

Wohlgemerkt: "machen zu wollen".

Was die Große Koalition da gerade innerhalb von 48 Stunden als Änderung von 13 Grundgesetzartikeln zur Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen durch Bundestag und Bundesrat peitscht, ist nichts anderes als der Einstieg in den Ausstieg des Staates aus der Daseinsvorsorge, was die Verkehrsinfrastruktur angeht. In Artikel 90 des Grundgesetzes steht künftig: "Der Bund ist Eigentümer der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs. Das Eigentum ist unveräußerlich. Die Verwaltung der Bundesautobahnen wird in Bundesverwaltung geführt. Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen. Diese Gesellschaft steht im unveräußerlichen Eigentum des Bundes. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Das "Wegweisende"

Was der Satz "Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen" bedeutet, erklärt der Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig, Christoph Degenhart: „Es handelt sich hier um eine formelle oder Rechtsform-Privatisierung, die allerdings auf der Projektebene durchaus Effekte einer materiellen Teil-Privatisierung haben könnte.“ Das ist es, was dem BDI als "wegweisend" gilt: dem Instrument öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) wird für die Autobahnen via Grundgesetz, über die Schaffung einer privatrechtlichen Infrastrukturgesellschaft, Tür und Tor geöffnet – "unveräußerliches Eigentum des Bundes" hin oder her.

ÖPP kosten den Staat mehr und bescheren Konzernen Profite. Kommt außerdem eines Tages die Maut für alle, worauf von der Berliner Zeitung veröffentlichte Strategiepapiere hinauslaufen, so wird deren Höhe kaum nach Einkommen differenzieren. Sie wird wirken wie die Mehrwertsteuer: Die Ärmsten trifft sie am meisten.

Wagenknechts Worte

Linken-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht sagte am Donnerstag im Bundestag: "Letzte Sitzungswoche ist es der SPD angeblich gelungen, eine echte Privatisierungsbremse durchzusetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben offenbar gar nicht gemerkt, wie verräterisch schon der Begriff Privatisierungsbremse ist. Bremsen muss man etwas, was bereits im Rollen ist. Und ins Rollen kommt die Autobahnprivatisierung aber überhaupt nur durch Ihre geplanten Grundgesetzveränderungen – ohne diese Veränderungen wäre sie nämlich schlicht komplett ausgeschlossen."

An diesem Freitag soll nun der Bundesrat das Vorhaben durchwinken. Letzte Hoffnungen von Privatisierungskritikern beruhen auf den Länderregierungen mit Grünen- und Linken-Beteiligung. Die Nichtregierungsorganisation Gemeingut in BürgerInnenhand ruft zu einer Protest-Aktion von neun Uhr morgens auf, in der Leipziger Straße 3-4 in Berlin-Mitte, vor dem Bundesrat.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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