Macht die Schulen nie wieder zu

Pandemie Die Rückkehr zum Präsenzunterricht war überfällig. Denn die Schäden der Schließungen sind zu gravierend
Ausgabe 07/2021
Macht die Schulen nie wieder zu

Illustration: der Freitag

Der Elfjährige, der immer stiller wird. Die Erstklässlerin, die ihre neuen Freundinnen schon seit Monaten nicht mehr gesehen hat. Oder der 14-Jährige, der jetzt wirklich nur noch am Zocken ist. Drum herum all das Corona-Geschrei zum Thema Schule, in dem Gerald Hüthers wohltuend leise, kluge Stimme fast verklingt. Dabei sollten alle zuhören, was der Neurobiologe zu sagen hat. So gut wie er kann hierzulande niemand erklären, was während der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geschieht. Von der Schule als „Ort, wo die Kinder ihre tiefsten und lebendigsten Bedürfnisse stillen“, sprach Hüther jüngst im Deutschlandfunk, und vom Lob der Erwachsenen dafür, wie brav die Kinder all die Regeln einhielten seit einem Jahr. Solches Lob zeige, wie wenig die Erwachsenen verstünden, was es bedeutet, dass Kinder alles, was am lautesten in ihnen ruft – Triff Freunde! Spiele! Tobe! –, unterdrücken. So sehr, dass im Hirn die entsprechenden Motivationszentren mit „hemmenden Verschaltungen“ überbaut würden, so Gerald Hüther, die für kindliche Lebendigkeit verantwortlichen Zentren würden „eingekapselt“. „Dann ist das Bedürfnis nicht mehr spürbar.“

Es ist gut und es war überfällig, dass die Schulen der Republik vom 22. Februar an behutsam wieder für Präsenzunterricht öffnen. Denn die Folgen des Lockdowns für Kinder und Jugendliche sind verheerend: ein „alarmierendes Bild von verstärkten Ängsten, Spannungen im häuslichen Umfeld, häuslicher Gewalt, Leistungsabfall und Versagensängsten, stark erhöhtem Medienkonsum und Gewichtszunahme“ ergab eine aktuelle Befragung des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten mit Blick auf Kinder und Jugendliche. Trennungsängste bei Kleinkindern hätten zugenommen, ebenso Schulängste bei frisch Eingeschulten oder Schulwechslern, Essstörungen bei den Pubertären, den bei allen Öffnungsplänen zuletzt Bedachten, für die zudem keine Notbetreuung greift. Mancherorts ist die Triage längst Realität – aber nicht die der an Covid Erkrankten, sondern die der Kinder und Jugendlichen mit psychosozialem Therapiebedarf.

All diese Schäden haben die Regierenden in Deutschland, anders als etwa in Frankreich, hingenommen, ohne sich dafür mit einer belastbaren Grundlage rechtfertigen zu können. Mögen Befürworterinnen der Schulschließungen noch so laut „Treiber der Pandemie!“ und „Omamörder!“ rufen: Die Quintessenz so gut wie aller Untersuchungen zum Thema klingt wie die des European Centre for Disease Prevention and Control: „Insgesamt wurden in Deutschland nur wenige und meist kleine Covid-19-Schulausbrüche gemeldet, was darauf hindeutet, dass die Eindämmungsmaßnahmen ausreichen, um ein Übergreifen auf die Bevölkerung zu verhindern.“

Altes Idealbild Kleinfamilie

Am Umgang mit den Schulen zeigt sich, was falsch läuft im Land: Ihre Schließung war der Schleichweg zu mehr Homeoffice, weil man Arbeitgeber und -nehmer hierfür nicht hart in die Pflicht nehmen wollte. Der Kollateralschaden gesamtgesellschaftlicher Kindeswohlgefährdung kümmerte ebenso wenig wie die Tatsache, dass das alte Ideal der behaglichen Kleinfamilie mit heutiger Realität, in der Schulen mehr und mehr Aufgaben in Bezug auf Heranwachsende übernehmen, nichts mehr zu tun hat. Trotzdem gingen die Regierenden wie selbstverständlich davon aus, dass diese Kleinfamilie nun schon einspringen werde. Ganz zu schweigen davon, dass gerade Kinder armer Familien den direkten Kontakt mit Lehrerinnen und Mitschülern unbedingt brauchen, um überhaupt eine Motivation für das Lernen zu entwickeln.

Was auch immer noch notwendig sein wird, um diese Pandemie zu beenden: Die Schließung der Schulen darf keine Option mehr sein. Ihre Weiterentwicklung aber ist oberste Pflicht, was nicht nur meint, endlich Schnelltests, Luftfilter, einladende Schultoiletten und die beste IT-Ausstattung zum Standard zu machen. Sondern auch, Schulen künftig nicht mehr nur als Institution zum Aufbewahren und Aussortieren zu begreifen, sondern als den zentralen Ort, an dem in lauter Spiel und Trubel die Lust am Lernen und am Leben sprießt.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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