Vor der goldbraun gebratenen Hähnchenkeule standen fünf Trichter voller Blut. Die Trichter waren aus Blech und liefen nach unten spitz zu. Aus den Öffnungen ragten die Hälse der hineingesteckten Hühner gerade so weit heraus, dass man ihnen die Kehle durchschneiden und sie in ein Becken ausbluten lassen konnte.
Ich habe in Südafrika zum ersten Mal Tiere geschlachtet. Ausgerechnet während meines Freiwilligendienstes, eines Zivildienst-Ersatzes. Ich arbeitete damals an einer Internatsschule, zu der eine kleine Farm gehörte: Sie lieferte der Schule Gemüse, Obst – und eben Hühnerfleisch.
Mit vegetarischer Ernährungsweise sympathisierte ich zuvor zwar – Tieren Massenhaltung und quälende Transporte zuzumuten, ist Unrecht. Das Bewusstsein für dieses Unrecht reichte bei mir aber nur für eine Begrenzung meines Fleischkonsums auf ein- bis dreimal pro Woche. Dass Fleischesser wie ich einmal selbst ein Tier schlachten sollten, leuchtete mir daher sofort ein. Ich hatte einer veganen Freundin nicht widersprochen, als sie mich dazu aufforderte. Tiere zu essen, ohne einen Bezug zum Akt des Tötens zu haben – das ist dekadent.
Allein, ich musste erst ins ländliche Südafrika reisen, auf jene Farm bei der Schule, um mit der Aufforderung konfrontiert zu werden, doch bitte beim Schlachten zu helfen. 150 Hühner seien an diesem Tag dran, bevor neue Küken geliefert würden.
Sanftes Zureden
Die Farm-Arbeiter bereuten bald, mir die Aufgabe zu Beginn des Schlachtvorgangs zuerkannt zu haben: Ich sollte das Huhn bei Flügeln und Beinen greifen und den Nacken unter einen Eisenring an der Wand halten. Der dadurch fließende Strom betäubte die Hühner, bevor ich sie in die Trichter legte. Obwohl ich keine Ahnung hatte, inwiefern der Strom tatsächlich das Schmerzempfinden der Tiere ausschaltete, hielt ich sie für mindestens fünf Sekunden an den Elektroschocker und redete ihnen beruhigend zu. Mein Nebenmann James, zuständig für den Schnitt durch die Kehle, beschwerte sich schnell: „Du redest zu viel und brauchst zu lange.“
Dabei wollte ich den Hühnern nur ihr Martyrium erleichtern. Nachdem sie ausgeblutet waren, tauchte sie der nächste Arbeiter in heißes Wasser. So konnte die Entfederungsmaschine effektiver arbeiten. Je mehr Hühner durch meine Hände gingen, desto schneller arbeitete ich. Gleichzeitig stellte sich bei mir eine Irritation ein: Warum wurde mir nicht schlecht? Warum empfand ich keinerlei Beklommenheit? Warum höchstens ein wenig Bedauern, ein bisschen Mitleid?
Mit dem sanften Zureden hörte ich auch nach den ersten zehn Hühnern nicht auf. Aber da ich immer schneller arbeitete, konnte James nun darüber lachen: Er bekam die Hühner ohne Verzögerung weitergereicht und amüsierte sich über den seltsamen Europäer, für den Schlachten etwas Besonderes war. Für James war der Schnitt durch die Kehle nichts anderes, als Hühner zu füttern oder Spinat zu pflanzen.
So ähnlich musste das auch für meine Großmutter gewesen sein. „Immer Kondome und nie Drogen“ hatte sie mir auf eine Abschiedskarte geschrieben, die sie mir nach Südafrika mitgegeben hatte. Sie ahnte nicht, dass ich als deutsches Stadtkind dort etwas kennenlernen würde, was während ihrer Jugend auf einem Bauernhof selbstverständlich war: das Fleisch, das man isst, selbst zu schlachten.
Ich brachte hin und wieder Freunde zum Essen zu meiner Großmutter mit. Ein paar Mal waren Vegetarier dabei. Ich konnte meine Großmutter problemlos bitten, an diesem Tag Eierpfannkuchen zu machen. Verstanden hat sie es aber nie, warum sich jemand fleischlos ernährte. Eine abwehrende Handbewegung und ein verständnisloses Kopfschütteln war alles, was sie dafür übrig hatte.
Viele Großeltern können diese Geschichten vom Leben auf dem Land und vom Selbstschlachten erzählen. „Fleisch gab es einmal pro Woche, damals war das etwas Besonderes“ – ich bin nicht der einzige Enkel, der diesen Satz oft gehört hat. Und doch kennt meine Generation, die fast täglich Fleisch isst, es nur als glänzendes Stück in der Metzgertheke oder als fertigen Braten auf dem Teller.
Vor Kurzem traf ich bei der Nahrungsmittelmesse Anuga auf den Pressesprecher des Geflügelzüchters Wiesenhof. Um ihn waren Glasvitrinen aufgestellt, die verschiedene Variationen von Hühnergerichten zeigten: goldbraun glänzende Keulen und Geflügelwurst-Scheibchen. Ein scharfer Kontrast zu jenen Bildern, die Tierschützer in den Hühnerställen des Konzerns aufgenommen hatten: von Hennen ohne Gefieder, dafür mit gebrochenen Beinen. Von Arbeitern, die Tiere mit ihren Stiefeln zwecklos tot traten. Diese Bilder hatten mich mehr verstört als das Selberschlachten während meines Freiwilligendientes. Inwieweit ihm die Bilder schadeten, fragte ich den Pressesprecher. Er zuckte gleichgültig mit den Schultern: „Ach, hier geht es darum, die neuen Trends auszuloten.“
Die Keulen schmeckten
Geflügelwurst mag ich bis heute nicht, aber die goldbraun gebratenen Keulen damals in Südafrika, die schmeckten. Nicht, dass ich mir damit eine Absolution auf ewigen Fleischkonsum geholt zu haben meinte. Aber Huhn zu essen fühlt sich für mich heute trotzdem nicht anders an als vorher. Und am Abend des Schlachttages konnte ich wie James vom Hühnertöten sprechen wie von irgendeiner Tätigkeit, die man präzise und zuverlässig zu erledigen hatte.
Es dauerte allerdings länger, bis ein selbstgetötetes Huhn auf meinem Teller lag: Eines hatte ich zwar am selben Abend zuhause in den Kühlschrank gelegt. Doch dann fiel wegen eines Gewitters der Strom aus. Ich konnte das Huhn nicht auf dem Herd braten, der Kühlschrank kühlte nicht. Am nächsten Tag war es verdorben. Drei Tage später holte ich mir bei James ein weiteres unserer 150 geschlachteten Hühner.
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