Notorische Kundentäuscher

Die Buchmacher Malte Krüger ging Undercover in die Welt der Finanzdienstleister
Ausgabe 26/2018
„Wie Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter Ihre Rente ruinieren und was Sie dagegen tun können“
„Wie Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter Ihre Rente ruinieren und was Sie dagegen tun können“

Foto: imago/Hermann J. Knippertz

Lustvoll öffnen wohl nur wenige dieses Kuvert mit dem Logo der Deutschen Rentenversicherung: „Ihre Renteninformation“ steht über der Auflistung bis dato eingezahlter Beiträge, gesammelter Punkte und der daraus resultierenden Perspektiven für die eigene Altersvorsorge. Weil Arbeit für viele heute prekär, die Erwerbsbiografie brüchig und der Lohn niedrig ausfällt, scheint in jenen Bescheiden die Altersarmut am Horizont auf – das Mantra, unbedingt zusätzlich privat vorzusorgen, wirkt da alternativlos.

580 Euro gesetzliche Rente im Monat sind es bei Malte Krüger, Jahrgang 1968 und in der Erwachsenenbildung tätig. Krüger hat sich ausgerechnet, dass er bis zum Ruhestand noch mindestens 250.000 Euro privat ansparen muss, um einen einigermaßen auskömmlichen Lebensabend verbringen zu können. Aber wie? Um das herauszufinden, hat er Undercover in der Finanzindustrie eine Recherche gestartet, deren Erkenntnisse im so betitelten Buch nun erschienen sind. Schon der Untertitel lässt sein klares Urteil erkennen: Wie Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter Ihre Rente ruinieren und was Sie dagegen tun können.

Vermögensverwalter, Versicherungen und Banken nimmt Krüger ins Visier, indem er etwa unter falschem Namen bei einem Finanzdienstleister anheuert und nachzeichnet, wie fix und unter welchen Prämissen er auf ahnungslose Kunden losgelassen wird: Fachwissen zählt nichts, Verkaufen ist alles. Sein Betreuer verlangt von Krüger, Analysen der Finanzdaten von drei Menschen aus dem Bekanntenkreis zu schreiben, die der Neuling bald liefert – indem er sich drei Profile ausdenkt. Der Betreuer ist begeistert von den – gefälschten – Analysen und hat sogleich Pläne für den Absatz von Finanzprodukten: „Eine fondsgebundene Rürup-Basis-Rente für 100 Euro monatlich für die Designerin, eine Riester-Premium-Rente und einen freien Investmentfonds für den Kaufmann und noch einmal eine Riester-Rente für den Dozenten.“ Der zweifelhafte Mehrwert für die drei Bekannten spielt keine Rolle. Malte Krüger soll möglichst schnell raus und Umsatz für seine Firma generieren. Da kann er noch so oft anmerken, dass ihm an die Hand gegebene Schulungsmaterialien fachlich zu wünschen übrig lassen und Fortbildungsseminare wenig mehr als verkaufspsychologische Plattitüden zu bieten haben. Ähnlich verhält es sich mit Beratung, wie sie Krüger erfährt, wenn er in Bankfilialen als potenzieller Kunde auftritt und nur blumige, fachlich nicht belastbare Schwärmerei für gewisse Produkte zu hören bekommt.

Das Buch verharrt nicht bei solchen Schilderungen, sondern kennzeichnet der privaten Finanzdienstleistungsbranche zugrunde liegende Strukturen; das liegt vor allem daran, dass Krüger auf den Bankbetriebswirt und Börsenhändler Alexander Schmidt stößt und lange Interviewpassagen mit ihm einspeist. Schmidt ist ein Aussteiger, der als Grund für seinen Bruch mit der Branche „die innere Entleerung aufgrund der ewigen Kundentäuschung“ bezeichnet, aber ebenso aufzeigt, dass eine erfolgreiche private Altersvorsorge kein Ding der Unmöglichkeit ist.

Das aber ist nicht die Erkenntnis der Lektüre. Die steht im Vorwort des Undercover-Journalisten Günter Wallraff, dessen Stiftung Krügers Recherchen mit ermöglicht hat. „Auch die Politik, zumindest die sozial orientierte, wäre gut beraten, die Enthüllungen dieses Buches zu berücksichtigen“, schreibt Wallraff. „Sie sind nämlich ein weiterer Beleg für die Notwendigkeit des staatlichen Rentensystems und einer längst überfälligen Bürgerversicherung.“

Info

Undercover in der Finanzindustrie Malte Krüger, Alexander Schmidt FinanzBuch Verlag 2018, 272 Seiten, 19,99 €

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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