Wer überzeugte Marxisten ärgern will, der schenke ihnen dieses Buch. „Die trockne Kathederweisheit des Marxismus hat es vermocht, im unterdrückten Volk jeden frohen Willen zu lähmen“, so ist dort von Erich Mühsam zu lesen, und weiter: „Die entsetzliche Theorie, dass sich die Zeit nach naturnotwendigen Gesetzen wandeln muss, in der Richtung wandeln muss, die Karl Marx und seine demagogischen Spießgesellen anweisen, hat in Millionen Menschen den Wahnsinn kultiviert, sie dürften nur zusehen, wie sich der Kapitalismus selbst auffrisst.“
Mit Sechs Tage im April. Erich Mühsams Räterepublik hat sich Markus Liske um ein Buch verdient gemacht, wie es unter der Vielzahl von Neuerscheinungen und Wiederentdeckungen zu 100 Jahren R
zu 100 Jahren Räterepublik in Bayern bisher gefehlt hat. Denn sosehr Mühsam in seiner schriftstellerischen Tätigkeit und mit seinem bärtig-zauseligen Äußeren den Epigonen jener rätedemokratischen Episode, allen voran Kurt Eisner, ähneln mag – der Anarchist steht in Darstellungen wie Volker Weidermanns Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen meist eher am Rande und dient der Belustigung, wenn ihm etwa das vergebliche Ringen um die Übernahme des Außenministeriums nachgesagt wird; weil es ihm an der „Beherrschung des Apparats“ fehle, wie wohl Gustav Landauer meinte.Barsche OffenheitDas eher Randständige in der Rezeption ist geblieben, im kapitalistischen Westen wie im kommunistischen Osten und nach 1989. Dagegen stemmt sich Liske, Schriftsteller und Musiker der Band Der Singende Tresen, nicht erst mit diesem neuen Band, einer Montage von Mühsam-Artikeln, -Buchauszügen, -Proklamationen und -Tagebucheinträgen vor, insbesondere während und nach der Revolution 1918/19. Deren Kommentierungen durch den Herausgeber hätten durchaus noch ausführlicher ausfallen dürfen, so erhellend sind seine Kontextualisierungen der Traktate und Wandlungen Erich Mühsams wie der Entwicklungen im damaligen Bayern. Mit seiner Bandkollegin, der Autorin Manja Präkels, hatte Liske 2014 das Mühsam-Lesebuch Das seid ihr Hunde wert! publiziert, begleitet von einer CD mit Vertonungen von Gedichten Mühsams, dann Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn? 2015.Bleiben aus dem Lesebuch vor allem die Schilderungen seiner Frau Zenzl über das sadistische Quälen Mühsams durch die SA bis hin zu seiner Ermordung im KZ Plötzensee 1934 in Erinnerung, so verdeutlicht Sechs Tage im April eindrucksvoll den Antrieb, der Mühsam noch im Angesicht der schlimmsten innerlinken Intrigen und des Heranrückens der konterrevolutionären Weißgardisten von Nürnberg, Berlin und Baden her so unglaublich beharrlich für die Räterepublik kämpfen ließ: Er ahnte früh, was dem Sieg der Konterrevolution und ihrer sozialdemokratischen Wegbereiter, der „bluttriefenden Sozialistenschlächter Ebert, Scheidemann und Noske“, einmal folgen könnte. Und so indigniert er sich über die mangelnde revolutionäre Entschlossenheit mancher seiner Mitstreiter, Eisners und Landauers vor allem, äußert, so barsch er dem Materialismus der Marxisten die „Gesinnung der Freiheit“ der Anarchisten, Würde, Recht auf Persönlichkeit und „lebendige Menschen“ entgegenhält: „Bis zu seinem Tode wird er der Überzeugung treu bleiben, dass Anarchisten und Parteikommunisten im Geiste der Revolution gemeinsam agieren müssen – zumal gegen den aufkommenden Faschismus“, schreibt Liske.KPD-Mitglied, aber ganz kurzEr eilt von Sitzung zu Sitzung, von Genosse zu Genosse, hält Rede um Rede und will den Glauben nicht aufgeben, dass bei allen Unterschieden der Erfolg der Revolution durch Einigkeit im Kampfe möglich ist. Im Überschwang angesichts der Ausrufung der Räterepublik in Ungarn kündet Mühsam vom Durchbruch der „bolschewistischen Welle“: „Sie hat die Grenzen Russlands durchbrochen, – kein Land der Welt wird ihr jetzt noch lange widerstehen.“Für kurze Zeit wird er sogar selbst Mitglied der KPD vor Ort – bis die der Verlockung nachgibt, die Machtergreifung des Proletariats nicht nur über Massenstreik, Massendemonstration und Aufstand anzustreben, sondern auch durch Teilnahme an Wahlen. Das parlamentarische Prinzip gilt Mühsam als „eine Absurdität, ein Humbug, ein Prinzip der Ungerechtigkeit“. Dieses bleibe „auch bei Zulassung der Frauen, Soldaten, Armen und Gefangenen und selbst bei Einführung des konsequentesten Proportionalwahlsystems bestehen“: „dass sich unter die Mehrheitsbeschlüsse eines Parlaments jede Minderheit zu beugen hat, die sich dadurch vergewaltigt fühlt“.Entsprechend schreibt Markus Liske im Vorwort über die verbreitete zeitgenössische Sicht auf das Ende des kurzen Frühlings vor 100 Jahren: „Da dieser von Arbeitern und Soldaten getragene Aufstand letztlich in eine repräsentative demokratische Verfassung mündete, und wir heute in Zeiten leben, in denen diese Form der Demokratie scheinbar ihren Glanz verloren hat, weltweit wieder autoritäre Regime auf dem Vormarsch sind, mag es nachvollziehbar sein, die sogenannte Weimarer Republik als wenn auch labiles, so doch strahlendes Ergebnis einer vollendeten Revolution umzudeuten. Falsch ist es dennoch.“Placeholder infobox-1Placeholder infobox-2