Rüstzeug gegen die liberale Steuerpropaganda

Die Buchmacher Norbert Walter-Borjans war sieben Jahre Finanzminister in NRW. Jetzt erklärt er in einem überzeugenden Buch die Ungereimtheiten des deutschen Steuersystems
Ausgabe 47/2018
Norbert Walter-Borjans als Finanzminister in NRW im Jahr 2014
Norbert Walter-Borjans als Finanzminister in NRW im Jahr 2014

Foto: Rüdiger Wölk/Imago

Es ist einerseits bedauerlich, dass es dieses Buch gibt. Denn Norbert Walter-Borjans konnte die Zeit, um es zu schreiben, wahrscheinlich nur finden, weil er aus der aktiven Politik ausgeschieden ist. In letzterer aber sind Sozialdemokraten wie der in Nordrhein-Westfalen zwischen 2010 und 2017 als Finanzminister wirkende Walter-Borjans dringend nötig, um der Propaganda der Reichen beim Thema Steuern etwas entgegenzusetzen.

Andererseits ist es erfreulich, dass es Steuern – Der große Bluff gibt. Nicht nur Sozialdemokraten bekommen damit ein Werk in die Hand, das aufklärt und rüstet – gegen eben jene Propaganda, wie sie vor allem der Bund der Steuerzahler und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft organisieren, indem sie „alternative Fakten“ streuen – von einer geschröpften „Mitte“, von all den überlasteten „Leistungsträgern“ und von einem Staat, der ja selbst schuld sei, wenn er Schlupflöcher lasse, die Vermögende dann ausnutzten. Cum-Ex und Cum-Cum erklärt Walter-Borjans nicht nur für alle verständlich, er stellt zudem klar, dass hier von Anfang an systematischer Betrug vorlag, und nicht etwa die Einladung des Staates, einen Raubzug gegen die Allgemeinheit zu starten, wie Bundestagsvizepräsident und Cum-Ex-Anwalt Wolfgang Kubicki (FDP) behauptet.

Wer dieses Buch gelesen hat, wird besser verstehen, warum „Korrekturen an unserem Steuersystem in der Vergangenheit fast immer zu besonders hohen Entlastungen bei den besonders Vermögenden und den besonders gut Verdienenden“ geführt haben und wie Konservative und Neoliberale „die Lufthoheit über den Stammtischen“ erlangt haben, mit „gut kaschierten Absichten, die den Interessen der meisten Stammtischteilnehmer zuwiderlaufen“. Dass dagegen nicht hilft, einfach nur nach einer wirksamen Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften zu rufen, wird dabei angenehm klar.

Linke mögen irritiert zusammenzucken, wenn Walter-Borjans, der für den Ankauf von Whistleblower-Steuer-CDs bekannt wurde, schreibt: „Das Engagement gegen die sogenannte aggressive Steuergestaltung ist eben keine Frage von links gegen rechts, unten gegen oben oder arm gegen reich. Es ist eine Frage von anständig gegen unanständig.“ Genau diese Jovialität aber hat den Mann erfolgreich wirken und Zuspruch von Benachteiligten wie von „anständigen“ Unternehmern erfahren lassen.

Am wichtigsten ist das Buch dort, wo es die Komplexität in Bezug auf die Art von Besteuerung reduziert, die stets im Zentrum der Propaganda steht: die Einkommenssteuer. Am interessantesten ist es, wenn der Autor seine Arbeit als Minister schildert: die Innovation, ein „persönlich gehaltenes Begleitschreiben des Finanzministers zum Steuerbescheid mit einem Dank für den geleisteten Steuerbeitrag und Beispielen für wichtige öffentliche Aufgaben“ zu verbinden, wirkt mehr als manche Parole. Die tatsächliche individuelle Steuerquote in jedem Bescheid auszuweisen, immunisiert gegen die mächtige Mär vom Spitzensteuersatz, der angeblich schon den Facharbeiter schmerzlich trifft. Und stete Rückendeckung für die eigenen Fahnder verhindert, dass diese den lukrativeren Jobangeboten privater Beratungsgesellschaften folgen.

Fromm hat der Autor dieser Zeilen in einem Interview vom Sommer 2017 Walter-Borjans angetragen, nach der Bundestagswahl möglichst für die SPD das Bundesfinanzministerium unter seine Fittiche zu nehmen (der Freitag 26/2017). Den Posten bekam dann Olaf Scholz. Auch er, sei verraten, kommt im Buch vor. Es geht um die Schweiz.

Info

Steuern – Der große Bluff Norbert Walter-Borjans Kiepenheuer & Witsch 2018, 288 Seiten, 15 € ebook: 12,99 €

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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