Schäuble-Groupies in den Redaktionen

Medien Ein Jahr nach dem Höhepunkt der Eurokrise zeigt ein Forscherteam wie undifferenziert deutsche Medien über Griechenland berichteten
Ausgabe 13/2016
Protest gegen die Griechenland-Berichterstattung des Axel-Springer-Verlags
Protest gegen die Griechenland-Berichterstattung des Axel-Springer-Verlags

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Ja, dieser Stinkefinger war ohne jede Frage doctored: Im Februar 2010 zierte die Aphrodite von Milos den Focus, mit ausgestrecktem Mittelfinger, Unterzeile „Betrüger in der Euro-Familie“. Die damit eröffnete Anti-Griechenland-Kampagne hiesiger Medien fand ihren Höhepunkt in der Bild-Selfie-Aktion genau fünf Jahre später: „Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen“ – just an dem Tag, an dem die neue Syriza-Regierung den anderen Euro-Staaten zum ersten Mal eigene Reformvorschläge zur Lösung der Staatsschulden-Krise präsentierte.

Ein unfassbar kurzes Jahr ist seitdem vergangen, und wer nachvollziehen will, wie sehr sich die deutsche Berichterstattung über Syriza mit der Position der Bundesregierung deckte, kann dies nun auf 100 Seiten tun: Ein Team um Kim Otto, in Würzburg Professor für Wirtschaftsjournalismus, hat 1.442 im ersten Halbjahr 2015 in FAZ, SZ, taz, Welt, Bild und Spiegel Online erschienene Artikel einer quantitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Das Resultat ist wenig überraschend: Ebenjene griechischen Reformvorschläge etwa spielten in 558 der Texte überhaupt keine Rolle. Vor allem Bild und Welt ließen den griechischen Premier Alexis Tsipras und seinen damaligen Finanzminister Yanis Varoufakis kaum selbst zu Wort kommen, trafen aber so häufig wie kein anderes Medium Aussagen über beide – meist negative: In 82 Prozent der Bild-Texte kam die Syriza-Regierung schlecht weg. Derweil konnte sich die deutsche Regierung über meist ausgewogene Beurteilungen freuen.

Was aber nützt der sachliche Beweis des ohnehin Offensichtlichen? Zumal zur medialen Gemengelage in Sachen Griechenland ja nicht nur die Treue zur deutschen Regierung auf der einen, sondern auch das dankbare Aufgreifen jenes medialen Versagens auf der anderen Seite gehörte: Die Bild wurde gegenüber Griechenland ausfällig, woraufhin unter anderem der Freitag erzürnt den Zeigefinger erhob, um viele Zeilen auf das zu verwenden, was alle sehen konnten, die es wollten – lauter Wolfgang-Schäuble-Austeritätsgroupies da in den Redaktionen!

Die Aufregung unter Journalisten war nun einmal groß: eine Regierung, die das dumme deutsche Dogma, sich aus einer Krise heraussparen zu müssen, tatsächlich angreift, jubelte die Linke. Unerhört, Motorrad fahren und einen Schuldenschnitt fordern, hysterisierte die Rechte – mit Erfolg: In Deutschland sank die Zustimmung zu Griechenlands Euro-Zugehörigkeit von 55 Prozent im Januar auf 41 Prozent im Juni.

Interessanter wäre nun eine Analyse der Berichterstattung nach dem Juni 2015: Denn schon im Juli, als der Grexit durch Schäubles Taktieren eine reale Option wurde, fuhr vielen Journalisten der Schreck lesbar in die Glieder. Die europäische Dimension der Krise, ihre Ursprünge in der Rettung privater Banken, die Folgen deutscher Exportüberschüsse für europäische Nachbarn – dass über all das nun nicht mehr nur im Freitag zu lesen ist, ist die vielleicht merklichste Folge der Syriza-Wahl.

Wer glaubte, Syriza werde im Nu den der Zukunft entgegenkriselnden Kontinent vom Fetisch ausgeglichener Haushalte befreien, war naiv. Ein Epochenwandel kommt nicht über Nacht. Und vielleicht brauchte es ja erst eine greifbarere Herausforderung als die komplexe Finanzkrise, um Sinn und Notwendigkeit europäischer Einigkeit zu erkennen: In der gegenwärtigen Flüchtlingssituation macht die Bild mit Hymnen auf die griechische Küstenwache, die Flüchtlingen das Leben rettet, von sich reden.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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