Schaut den Kleinen zu – und wählt sie!

Bundestagswahl Die Leere des Wahlkampfs der beiden großen Parteien macht die Alternativen um so interessanter
Ausgabe 36/2017
Deutlich interessanter als das Merkel-Schulz-Duell: Der TV-Fünfkampf der kleinen Parteien
Deutlich interessanter als das Merkel-Schulz-Duell: Der TV-Fünfkampf der kleinen Parteien

Foto: Müller-Stauffenberg/Imago

Sahra Wagenknecht und Christian Lindner werden sich wohl kaum in einer Koalition finden, nach dem 24. September. Schade eigentlich: Nicht nur, dass der Liberale an der Seite der Linken beweisen müsste, wie ernst es ihm mit seiner Forderung nach einer Entspannungspolitik gegenüber Russland ist; so galant, wie die beiden im Duett gerade AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel vorgeführt haben, gerät die hiesige Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus noch viel zu selten.

Jene Szene gehörte zu den erfreulich vielen Höhepunkten des TV-Duells der fünf kleineren Parteien am Dienstag. Wie halten Sie es mit den „Halbnazis“ in Ihrer Partei, wollte Wagenknecht von Weidel wissen, was Letztere prahlen ließ, die AfD besitze das höchste Akademisierungsniveau aller Parteilisten – eine Steilvorlage, die Lindner verwandelte: „Hier geht’s aber nicht um Doktortitel, sondern um Charakter.“ Chapeau!

Schon klar: Linke und FDP Seit’ an Seit’, im Allgemeinen ist das Blödsinn. Erstere steht für die Rückgewinnung staatlicher Gestaltungsmacht für Aufgaben der Daseinsvorsorge, Letztere für einen Privatisierungskurs der übelsten Sorte. Der Ausbau des Breitband-Internets? Klappt schon, meinte Lindner – wenn der Bund sich nur von seinen Anteilen an Telekom und Post trennt. Hier – und das war ein Verdienst des „Fünfkampfes“ in der ARD – passt zwischen FDP und AfD kein Blatt: Wohnungsnot wegen steigender Mieten? „Langfristig müssen wir das schon dem Gleichgewicht des Marktes überlassen“, sagte die in Goldman-Sachs-Büros sozialisierte Weidel zu öffentlichem Wohnungsbau.

Viele, vor allem in linken Spektren, erregen sich gern über die angebliche Nähe des Wagenknecht-Lagers zur AfD – und verlieren dabei aus dem Blick, welche beiden Parteien sich da tatsächlich ähneln. In Berlin sind es FDP und AfD, die mit generöser Unterstützung der Ausbeuter-Airline Ryanair gerade für die Offenhaltung des Flughafens Tegel und gegen den rot-rot-grünen Senat kämpfen.

Zum Bedienen der Interessen des Kapitals und dem Rückbau des Staates zu Lasten der Armen gibt es eine klare Alternative, etwa in der Wohnungspolitik: Die Linke fordert eine an die Inflation gekoppelte Deckelung der Mietpreise, Bündnis 90/Die Grünen werben für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, um die Notwendigkeit eines Obdachs der Logik des Profits zu entziehen. Ein schnelles Ende des Verbrennungsmotors wollen beide – im Gegensatz zu FDP und AfD. Letztere fordert für Benziner und Diesel einen Bestandsschutz bis 2050.

Ach ja, die CSU war auch dabei am Dienstag – mit Joachim Herrmann. Er wäre in der Ödnis zwischen Angela Merkel und Martin Schulz tags zuvor besser aufgehoben gewesen. Den Wahlberechtigten haben er und seine bayerische Regionalpartei so wenig Belastbares zu sagen wie CDU und SPD. Bezeichnend, dass Herrmann bald Bundesinnenminister werden soll.

Dies nach Kräften zu verhindern und gar einer Fortsetzung der Großen Koalition jegliche rechnerische Grundlage zu entziehen, das wäre doch noch ein Ziel für den 24. September. Darum: Wählt die Kleinen! Bei wem von ihnen die Grundrechte auf Wohnen und Gesundheit am besten aufgehoben sind, entscheide jeder und jede selbst.

Sollten die Zeichen dann doch wieder auf Schwarz-Rot stehen und in vier Jahren alle die Langeweile im Wahlkampf beklagen, empfählen sich zumindest neue Zweikampf-Formate, etwa: Wagenknecht gegen Merkel. Schulz gegen Lindner. Özdemir gegen Weidel.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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