„Sicherheit, Wohlstand, Blabla“

Interview Ein aufgeklärter Kapitalismus ist dem Soziologen Harald Welzer näher als linke Rhetorik für eine alternative Wirtschaftsweise
Ausgabe 25/2021
„Sicherheit, Wohlstand, Blabla“

Illustration: der Freitag

Wer dem Pessimismus anheimfällt, kann zur Aufmunterung sein Buch Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen (2019) zur Hand nehmen. Harald Welzer blickt aber auch der Dystopie ins Auge: Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit (2017). Was die Bundestagswahl im Herbst angeht, neigt sein Pendel wohl gerade eher zum Skeptischen.

der Freitag: Herr Welzer, haben Sie denn schon einen digitalen Impfnachweis?

Harald Welzer: Nein.

Könnten Sie aber haben. Ist es nicht irre, wie schnell in dieser Corona-Krise Dinge real wurden, die man eben noch allenfalls für ferne Zukunft hielt? Einige dachten ja, das würde jetzt auch mit entschlossener Klimapolitik so.

Ich habe diese Blütenträume der ökologisch Engagierten nie geteilt – weil sich an den Interessen- und Machtlagen einer Gesellschaft ja wenig ändert, wenn es so eine Krise gibt. Warum sollten sich die Autoindustrie und andere Lobbys neu aufstellen, weil es ein Virus gibt?

Es gab keine Abwrackprämie im Corona-Konjunkturpaket!

Ja, das ist so ungefähr das einzige Revolutionäre. Wir werden sehen, dass diese Verhaltensänderungen, etwa mehr Fahrrad zu fahren, bei einigen Bevölkerungsgruppen nachhaltig sind, im Großen und Ganzen aber nicht viel verändern werden. Große Umorientierung in Sachen Gesellschafts- und Klimapolitik ist fern, Sie brauchen ja nur anschauen, in welch unfassbarer Art und Weise jetzt im Wahlkampf auf die Grünen eingeschlagen wird, wie da Verbotsfantasien kommuniziert werden, weil Notwendigkeiten mittlerweile sehr deutlich geworden sind.

Wäre das mit einem Kanzlerkandidaten Söder für die Union anders gelaufen? Nehmen Sie dem ab, dass er Nachhaltigkeit und Wohlstand versöhnen möchte?

Durchaus. Wohl nicht aus innerer Überzeugung heraus, aber weil er Modernisierungsnotwendigkeiten sieht und auf diese einsteigen möchte. Ganz im Unterschied zu Herrn Laschet, der ja nun in den 1960ern stehengeblieben ist, also praktisch in seinem Geburtsjahr.

Laschet kommt eben aus einem Bundesland, das die Herausforderungen einer Transformation gut kennt, und moderiert zwischen denen, die sich bedroht fühlen, und denen, die Radikales fordern.

Aber die Transformation ist doch im Ruhrgebiet niemals gelungen! Trotz Höchstsubventionen ist dort nach Stahlindustrie und Bergbau nie etwas wirtschaftlich und kulturell Tragfähiges entstanden.

Gibt es in Deutschland denn diesbezüglich Orte des Gelingens?

In einzelnen Städten, auf lokaler Ebene: die Versuche, öffentlichen Nahverkehr zu modernisieren und integrierte Preissysteme zwischen verschiedenen Verkehrsträgern zu etablieren. Ansätze, Stadtviertel autofrei zu machen. Im Lokalen gibt es sogar eine ganze Reihe von Beispielen.

Ist dann die Bedeutung der Bundestagswahl für die Transformation überbewertet, kommt der Wandel aus dem Kleinteiligen?

Nein, die Bedeutung ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Daher ist es ja so tragisch, dass rückwärtsgewandte Kräfte wie die Union wohl sehr gut abschneiden werden, weil sie eine Wirtschaftspolitik favorisieren, die dem vergangenen Jahrhundert entstammt und Sicherheit, Wohlstand, Blabla verspricht – unter Vermeidung aller möglichen Folgen einer Bekämpfung des Klimawandels.

Ist doch erstaunlich, oder? Diese Politik liegt im Interesse weniger Reicher, nicht der Mehrheit.

Na ja, klassisch marxistisch könnte man fragen, ob die Leute über ihre objektive Lage richtig orientiert sind, warum sie gegen ihre eigenen Interessen wählen. Aber sehen Sie sich die Umfragen zur Lebenszufriedenheit an, etwa in Sachsen-Anhalt vor der Wahl, die ist sehr groß. Insofern kommt man mit dieser linken Rhetorik für die Erniedrigten und die Geknechteten nicht weiter.

Zur Person

Foto: Gerhard Leber/Imago Images

Harald Welzer, 62, Soziologe und Sozialpsychologe, ist Direktor von Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit und Honorarprofessor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. Im Oktober erscheint sein Buch Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens

Aber die Linken haben bei einer anderen Transformation eine wichtige Rolle gespielt – der vom Manchester-Kapitalismus zum Sozialstaat.

Der Unterschied ist ganz einfach: Damals gab es durch ein entstehendes Fabriksystem gleichzeitig eine Organisationsstruktur – die gibt es heute nicht mehr. Deshalb ist alles aufgeteilt in unterschiedlichste, partikulare Interessenlagen. Es gibt kein Gemeinsames.

Um so etwas zu schaffen, ist es wohl nicht hilfreich, ständig im Duktus des Apokalyptischen zu reden, wie Fridays for Future: dieses Drängende, Anklagende.

Die Fridays wurden politisch schlagkräftig, als sie das wissenschaftliche Argument in ein Gerechtigkeitsargument übersetzt haben: „Es geht um unsere Zukunft, nicht um eure!“ Das leuchtet ein, das mobilisiert – mehr als der datengestützte Alarmismus, wie er seit knapp 30 Jahren vorgetragen wird, während die Autos immer größer und die Flugreisen immer weiter wurden – Alarmismus bringt keine Verhaltensänderung, im Gegenteil.

Als der Kapitalismus zum Post-Fordismus überging, gab es die 68er, die auf einer kulturellen Ebene zum Wandel beitrugen. Wäre das nicht ein Erbe für die Fridays: spannende, provokative, positive Bilder zu erzeugen?

Ich will die ja nicht überfordern! Ihre Rolle für die Aktivierung von Klimapolitik ist riesig, für solch eine junge Bewegung ein gigantischer Erfolg. Die historische Tragik liegt darin, dass das durch die Pandemie unterbrochen wurde – aber, klar, generell kommt die Klimaschutzbewegung nur weiter, wenn sie positive Zukunftsbilder erzeugt.

Linken-Chefin Janine Wissler hat jüngst im „Freitag“ an Hermann Scheer erinnert: Energiewende heißt nie nur, den Energieträger auszutauschen, man müsse an die Eigentumsverhältnisse ran.

Ich glaube überhaupt nicht, dass man vor dem Hintergrund der DDR-Geschichte und davon, wie negativ alles Sozialistische besetzt ist, auf diese Weise viel Publikum gewinnen kann.

Gegen Corona haben nicht zuletzt Linksliberale eine Zero-Covid-Strategie gefordert: mit harter Hand des Staates gegen das Virus durchgreifen und dabei die schädliche Wirtschaftsweise gleich mit erledigen.

Hat ja super geklappt. Für so etwas bin ich gar nicht zu haben. Wenn wir das Klima schützen, geht es nicht um das Klima, sondern um die Aufrechterhaltung einer Gesellschaftlichkeit, die Freiheit zum Ziel hat. Insofern finde ich diese sich ins Autoritäre übersetzende Dringlichkeitsforderung idiotisch. Mir ist eine freiheitliche Gesellschaft mit Klimawandel lieber als eine unfreiheitliche ohne.

Ist aber doch faszinierend, wie Chinas Regierung, etwa in der Klimapolitik, durchgreifen kann.

Ich finde daran nichts nachahmenswert. Für mich ist das die Antithese zu allem, was eine moderne, freiheitliche Gesellschaft tun sollte und könnte.

Dann ist die Antithese zu dieser Antithese hierzulande vielleicht die FDP: Freiheit, und das mit dem Klima erledigt Technologie.

Nichts von dem, was die FDP sagt, beruht auf Denken. Überhaupt nicht satisfaktionsfähig.

Die Grünen lassen sich von der Union gerade aber auch ziemlich leicht ins Bockshorn jagen.

Ja, und sie werden in den nächsten drei Monaten konturlos, harmlos und furchtsam bleiben, weil die Grünen wahnsinnige Angst haben, als die zu erscheinen, als die sie Union und FDP hinstellen.

Mit mehr Radikalität wären sie erfolgreicher?

Auch mehr Wahrheit, das wäre wohl meine Politik, aber ich bin kein Politiker und weiß aus vielen Gesprächen, dass das noch weniger Aussicht auf Erfolg hätte. Zugleich nehme ich ein Bedürfnis nach atmosphärischem Wechsel wahr – weg von diesen älteren Herren und ihren Schlipsen und ihrer immer gleichen Rhetorik hin zu mehr Haltung, zu einem anderen Ausdruck. Das kriegen die Grünen gerade nicht besonders gut hin.

Fridays-for-Future-Aktivisten kandidieren auf Grünen-Listen für den Bundestag!

Ganz wenige. Finde ich aber okay. Deshalb würde ich ja auch die Grünen wählen, wen denn sonst?

Hängt noch dieses Kapitalismus-Plakat in Ihrem Büro, wie war der Spruch gleich noch mal?

„Es war nicht alles schlecht im Kapitalismus“. Das ist die historische Falle, in der wir sitzen: Der Kapitaismus hat sehr vielen Menschen sehr spürbare Verbesserungen ihrer Lebensverhältnisse gebracht und war dabei völlig blind für die Zerstörungen, auf denen diese Erfolge basieren. Und das ist im 21. Jahrhundert nicht fortsetzbar. Die Aufgabe besteht jetzt darin, den Kapitalismus ökologisch aufzuklären und ein anderes Naturverhältnis zu entwickeln. Ob er das kann, steht in den Sternen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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